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Hong Sang-soo beschert uns in „Walk Up“ weitere fein beobachtete, alkoholselige Gesprächssituationen mit Meta-Momenten und interessanten Figuren.

Walk Up (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Noch eine Flasche?

„Es ist schon so lange her“, heißt es zu Beginn von „Walk Up“, wenn der Filmemacher Byung-soo (Kwon Haehyo) mit seiner Tochter Jeongsu (Park Mi-so) in einem kleinen, in die Jahre gekommenen Auto bei seiner alten Bekannten Ms. Kim (Lee Hyeyoung), einer Innenarchitektin, eintrifft. Und sobald die Figuren ins Gespräch kommen, sind wir auch schon wieder mittendrin im dialogreichen Universum des südkoreanischen Autorenfilmers Hong Sang-soo („Right Now, Wrong Then“), der sich irgendwo zwischen den melancholisch-heiteren Quassel-Werken des Franzosen Éric Rohmer („Der Freund meiner Freundin“) und Woody Allens Diane-Keaton-Zyklus seine ganz eigene Kino-Nische geschaffen hat.

Natürlich geht es wieder um Frauen, Männer – und sehr viel Alkohol. Statt Bier (wie in den meisten von Hong Sang-soos Arbeiten) wird hier überwiegend Wein in ausgiebiger Menge konsumiert. Und diesem ist es dann auch geschuldet, dass die Stimmung innerhalb der diversen Gespräche zuweilen gerne recht abrupt vom Ausgelassenen zum Bitter-Traurigen (und wieder zurück) wechselt.

Während die äußere Handlung, wie üblich, überschaubar bleibt, sorgen jene Schwankungen immer wieder für emotionale Spannung, da wir kaum einschätzen können, welchen Verlauf die Wortwechsel wohl noch nehmen werden. Und selbst wenn sich die Unterhaltungen mal im Alltäglich-Banalen aufhalten, stellt sich keine Langeweile ein. Dem Regisseur und seinem Ensemble gelingt es ganz wunderbar, zwischen peinlichen Pausen und albernen Höflichkeitsfloskeln die uns allen vertraute Unbeholfenheit in der zwischenmenschlichen Kommunikation spürbar werden zu lassen.

Walk Up wird in vier Abschnitten erzählt, in denen es jeweils zu längeren, ohne das gängige Schuss-Gegenschuss-Prinzip eingefangenen Dialogpassagen kommt. In jedem Kapitel halten wir uns hauptsächlich auf einer Etage des Hauses von Ms. Kim auf. Zwischendurch begleiten wir die Figuren durch das Gebäude, das aus einem Arbeitsplatz im Keller, einem Restaurant und Kochstudio sowie einer Wohnung und einer Art Atelier auf dem Dachboden besteht. Gelegentlich geht es auch auf die Straße – etwa um neuen Wein zu kaufen. Zwischen den einzelnen Abschnitten zieht jeweils einige Zeit ins Land, in der sich die Beziehungen zwischen allen Beteiligten gewandelt haben.

Der Regisseur Byung-soo ist selbstverständlich ein Alter Ego von Hong Sang-soo. Auch diese Beschäftigung mit sich selbst stellt gewiss kein Novum im Œuvre des Filmemachers dar. Die uneitle, teilweise ziemlich larmoyante Art der Figur („Filme kosten so viel!“), macht das Ganze indes immer wieder sympathisch und verhindert eine allzu narzisstische Wirkung.

Ebenso angenehm ist die kantige Zeichnung der Frauenfiguren, die den Protagonisten umgeben. Byung-soos Tochter Jeongsu erweist sich als überaus unbeständig. Während sie anfangs versucht, den Kontakt zu Ms. Kim für einen Start in die Innenarchitektur-Branche zu nutzen, scheint sie später schon wieder andere Ziele zu verfolgen. Ihre Schilderungen des Lebens mit einem berühmten Vater sind erfrischend ehrlich. Und auch Ms. Kim ist eine komplexe Persönlichkeit, mal äußerst großzügig, dann wieder rücksichtslos – und stets ein bisschen zu neugierig. Sie möge keinen Widerspruch, wird Jeongsu von dem jungen Kellner Jules (Shin Seok-ho) bei einer kurzen Zigarettenpause heimlich gewarnt.

Die einstige Malerin Sunhee (Song Seon-mi), die das Restaurant und Kochstudio im Haus betreibt, meint an einer Stelle zu Byung-soo, dass sie dessen Filme brüllend komisch finde und, natürlich, am liebsten mit Alkohol genieße. Ein bisschen Filmgucken, dann wieder ein Schlückchen Wein – so mache sie das. Ms. Kim wirft hingegen ein, dass sie Byung-soos Werke sehr ernst nehme. Auf Walk Up lässt sich all das mühelos anwenden: Die minimalistisch gestalteten Dialogsituationen sind witzig – und doch haben manche Momente, wenn von Einsamkeit, Beziehungsproblemen oder finanziellen Sorgen die Rede ist, sowie die sporadischen Gefühlsausbrüche auch etwas Melancholisches, was zudem durch die Schwarzweiß-Aufnahmen der von Hong Sang-soo persönlich geführten Kamera unterstrichen wird.

Relativ gegen Ende liegt Byung-soo auf dem Bett und umklammert traurig ein Kissen. Wir hören einen Dialog zwischen Sunhee und ihm, bei dem unklar bleibt, ob es sich um ein zukünftiges Gespräch oder um eine Fantasie von Byung-soo handelt. Abermals können wir hier unschwer Hong Sang-soo selbst erkennen – wie er vielleicht schon den nächsten Film erträumt (obwohl das ja leider so verdammt teuer ist). Sicher werden wir dann wieder lachen und nachdenken – und ja, auch trinken.

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