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Schon in Michael Hanekes Remake seines eigenen Films „Funny Games“ (1997) stand Naomi Watts vor der Kamera. Nun spielt sie in einer weiteren Neuauflage eines österreichischen Horrorschockers. Fällt das Ergebnis diesmal besser aus?

Goodnight Mommy (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Grusel in der Light-Version

Remakes sind eine seltsame Sache. Wirklich besser als das Original sind nur wenige. Ein großes Plus haben sie dennoch. Im Idealfall weckt eine Neuauflage das Interesse am Original. Das amerikanische Publikum ist gemeinhin ja als lesefaul verschrien. Fremdsprachige Filme mit Untertiteln haben es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach wie vor schwer. Den österreichischen Horrorhöhepunkt Ich seh, ich seh (2014) dürften in Übersee die wenigsten gesehen haben. Das Remake mit Naomi Watts, das in den USA wie in Deutschland zeitgleich bei Prime Video startet, könnte das nun ändern.

Watts spielt eine namenlose Mutter, die mit ihren Zwillingen Elias (Cameron Crovetti) und Lukas (Nicholas Crovetti) einige Tage in ihrem abgelegenen Landhaus verbringt. Fern der Augen der Öffentlichkeit erholt sie sich von einer Schönheitsoperation; das Gesicht in eine medizinische Maske gehüllt. Ihr Schlafzimmer ist für die Jungs tabu. Auch Schnappschüsse mit dem Smartphone sind nicht erlaubt. Denn die Mutter – so viel wird, auch ohne es auszusprechen, klar – ist ein alternder Filmstar, der darauf bedacht ist, den chirurgischen Eingriff geheim zu halten.

Elias und Lukas ficht das zunächst nicht an. Sie tollen im angrenzenden Getreidefeld, spielen auf dem Heuboden einer nahegelegenen Scheune, zocken Computerspiele oder schauen zusammen mit Mommy einen Film. Ganz allmählich beschleicht die Zwillinge aber ein Gefühl: Was, wenn sich unter der Maske nicht ihre Mutter, sondern eine Fremde verbirgt? Seit der OP verhält sie sich seltsam. Sie raucht, singt den Brüdern kein Gutenachtlied mehr vor und wirft deren selbstgemalte Bilder aufgebracht in den Mülleimer. Und waren ihre Augen nicht eigentlich grün? Jetzt sind sie blau …

Wie schon im österreichischen Original unter der Regie von Veronika Franz und Severin Fiala führt auch Matt Sobel, der Regisseur des Remakes, sein Publikum lange Zeit auf falsche Fährten. Wer Augen und Ohren aufsperrt und ein Näschen für Wendungen hat, wird den Braten aber auch in seinem Film früh riechen. Kyle Warrens Drehbuch bleibt nah an dem von Franz und Fiala und erreicht dennoch nie dessen Klasse. Von den wenigen Änderungen, die er vornimmt, überzeugen nicht alle, aber doch einige.

Dass Watts eine Schauspielerin spielt, die an den übersteigerten Schönheitsansprüchen ihrer Branche verzweifelt, ist ein gelungener Kniff. Der führt zu einer der schaurigsten Szenen des Films. Scheinbar unbeobachtet, jedoch unter Elias’ Augen führt die Mutter mit verhülltem Gesicht und im Unterrock ein laszives Tänzchen vor dem Schlafzimmerspiegel auf. Filme wie Blue Velvet (1986) von David Lynch, für den Watts in Mulholland Drive (2001) vor der Kamera stand, lassen grüßen. Später bekommt die 1968 geborene Schauspielerin auch noch ihren Shining-Moment.

Weniger geglückt ist hingegen die Entscheidung, Schockmomente durch eingeschobene Traumsequenzen zu erzeugen. Elias träumt davon, dass seine Mutter innerlich verfault. Das verrottete Muttermonster sieht zwar beängstigend aus, wirkt aber wie ein Fremdkörper. An diesen Stellen drängt sich der Verdacht auf, dass Matt Sobel der Grundstimmung seines Films nicht vollends vertraut hat. Die Sorge ist berechtigt, denn an das Unbehagen, das wie eine amorphe Masse durch das Original waberte, will sich im Remake nie recht einstellen. Die Gründe dafür sind wie die Stimmung des Originals nur schwer zu greifen. Denn visuell sieht Goodnight Mommy bestechend aus. Und auch die Musik – mitunter zwar zu dick aufgetragen – kann sich hören lassen.

Einer der Gründe ist das Ensemble. Watts und die Crovetti-Zwillinge machen ihre Sache gut, an Susanne Wuest und Elias und Lukas Schwarz, die im Original Mutter und Söhne spielten, reichen sie aber nicht heran. Das liegt mitunter an solch simplen Dingen wie der Physiognomie. Allein Wuests Gesicht mit den tief sitzenden Augen, dem leeren Blick und der straffen Haut wirkt wie aus einer anderen Welt, wie eine Mischung aus Frau und fremdem Wesen.

Ein anderer Grund ist die Entscheidung, Dinge abzuschwächen. Ich seh, ich seh war drastischer, vor allem im Finale. Im Remake sieht bereits die medizinische Maske, die Naomi Watts Figur auf dem Gesicht trägt, wie die entschärfte Variante einer medizinischen Maske aus. All die Narben, die bei Franz und Fiala zu sehen waren, sind bei Sobel verdeckt. Da wundert es fast ein wenig, dass der Schluss der Handlung so konsequent durchgezogen wurde wie im Original. Ein anderes, kathartisches Ende hätte sich eigentlich eher angeboten.

Auch dieses Remake ist eine seltsame Sache. Schlecht ist es nicht, ganz im Gegenteil kann es sich sehen lassen. Dem Original kann es trotzdem nicht das Wasser reichen. Es bleibt also zu wünschen, dass durch das Remake noch mehr Horrorfilmfans auf das Original aufmerksam werden.

 

Goodnight Mommy (2022)

Ein Remake des österreichischen Horrorfilms „Ich seh, ich seh“ von 2014

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