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Der afroamerikanische Regisseur Elegance Bratton verarbeitet in seinem Spielfilmdebüt seine Zeit im Bootcamp der Marines. Wie sein filmisches Alter Ego musste auch er seine Homosexualität verleugnen und wurde dennoch dafür schikaniert. 

The Inspection (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Das Drama eines schwulen Rekruten

Ellis French (Jeremy Pope) ist ein Schwarzer Amerikaner, schwul und obdachlos. Ein alter Leidensgenosse, der es gut mit ihm meint, sagt ihm, er sei jung und klug, er könne alles erreichen. Ellis antwortet: „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt.“ Doch Ellis, den seine Mutter Inez (Gabrielle Union) wegen seiner sexuellen Orientierung rauswarf, als er 16 war, hat einen Plan: Er will zu den Marines und bewirbt sich für ein dreimonatiges Ausbildungscamp. Es ist die Ära „Don’t Ask, Don’t Tell“ beim US-Militär, die bis 2011 dauerte und in der Homosexuelle in der Truppe nur geduldet waren, solange sie ihre Orientierung verleugneten und verschwiegen.

Viele junge Amerikaner, die keine andere oder bessere Perspektive für sich sehen, zu Ausbildung und Arbeit zu kommen, gehen zum Militär. Der Regisseur und Drehbuchautor Elegance Bratton (Pier Kids) wählte selbst diesen Weg nach zehn Jahren Obdachlosigkeit. Bei den Marines drehte er Einsatzfilme, dann ging er an die Universität, um Filmemacher zu werden. In seinem autobiografisch geprägten Spielfilmdebüt erzählt er von seiner schweren Selbstbefreiung, die ihn durch die Hölle des Bootcamps führte und ihn dort wachsen und einen Sinn im Leben finden ließ. Bratton bezieht in sein Drama auch Erfahrungen anderer Rekruten ein, die Schikanen, Brutalität und Diskriminierung erlebten wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Orientierung.

Ellis verneint bei der Bewerbung für das Bootcamp gezwungenermaßen die Frage, ob er homosexuell sei. Doch unter den Rekruten gerät er bald in den Ruf, schwul zu sein. Beim Duschen sieht jemand seine Erektion und schon schlagen ihn, geduldet vom Drill Sergeant Laws (Bokeem Woodbine), andere Rekruten zusammen. Dann wird er aus dem Schlafraum gedrängt. Beinahe kommt er bei einer Schwimmprüfung zu Tode. Der Drill Sergeant Rosales (Raúl Castillo) rettet ihn und nimmt ihn fortan unter seine Fittiche, so gut das eben unter dem Oberkommando von Laws geht. Rosales geistert fortan durch Ellis’ Träume. Das Drama weist einige Ähnlichkeiten mit dem in Österreich spielenden Film Eismayer auf. Dazu gehört das Thema einer schwulen Romanze, wenngleich sie hier lange nur als Sehnsucht der Hauptfigur in der Schwebe bleibt. Parallelen gibt es auch in der Darstellung der Drills, die mit Beschimpfungen und der Drohung, die Rekruten zu brechen, einhergehen. 

Ellis will durchhalten, und je länger das Bootcamp dauert, desto differenzierter werden seine Wahrnehmungen und Erfahrungen. Es gibt Solidarität unter den Rekruten, gegenseitige Anerkennung, ja sogar Widerworte und Befehlsverweigerung, wenn Laws wieder einmal verlangt, dass einem Kameraden Unrecht getan wird. Der Drill Sergeant ist letztlich nicht als Unmensch gezeichnet, Marines sind für ihn dann doch nicht nur menschliches Material. Auch in dieser ambivalenten Schilderung des Militärs, das den Rekruten auch eine positive Erfahrung, Zugehörigkeit und Stolz vermittelt, ähneln sich die Filme Eismayer und The Inspection. Bratton bleibt authentisch, verweigert sich jeder klischeehaften Einfärbung. Wenn man zu befürchten beginnt, das Militär werde zu positiv geschildert, liefert eine prägnante, gesellschaftskritisch entlarvende Szene den Gegenbeweis: Die Soldaten beten, und zwar um eine „klare Schusslinie“, sie hören, dass Gott ihnen Leben gebe, damit sie den Feind töten. Die Rauheit des frischen, offenen Blicks auf das Geschehen spiegelt sich im auch experimentellen Score der Band Animal Collective und ihren schrägen Klängen und Rhythmen.

Beim Militär gewinnt Ellis innere Stärke, aber der Schmerz, von seiner geliebten Mutter abgelehnt zu sein, wird dadurch nicht kleiner. Die Mutter Inez wird von Gabrielle Union als rätselhaft zwiespältige, aber würdevolle Frau gespielt. Auch das bittersüße Mutter-Sohn-Drama geht unter die Haut. Ellis kann sich nur emanzipieren, indem er mit seiner Trauer ringt. Dieser aufrichtige, aussagekräftige Spielfilm über soziale Benachteiligung, Diskriminierung und emotionales Wachstum ist ein starkes Stück Kino.

The Inspection (2022)

Ein junger, schwuler, schwarzer Mann, der von seiner Mutter verstoßen wurde, tritt den Marines bei. Auch wenn er hier gegen tief sitzende Vorurteile kämpfen muss und die täglich gleichen Dinge in seiner Grundausbildung zermürbend sind, findet er in dieser neuen Gemeinschaft unerwartete Kameradschaft und erfährt Unterstützung. All das gibt ihm ein Zugehörigkeitsgefühl, das ihn prägt und sein Leben für immer verändern soll.

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