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Martin Suter schreibt Unterhaltungsliteratur, aber mit einer ansprechenden, bildhaften und unprätentiösen Sprache. Dem Schweizer Autor widmet der deutsche Regisseur ein vielseitiges Porträt, das nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber für Neugierde und Respekt gegenüber seinem Protagonisten sorgt.

Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit. (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Biografien sind fiktiver als Fiktion

Es gibt Literaturverfilmungen und Filme über Schriftsteller. Bei beiden Genres ist es schwer, dem Stoff oder dem Menschen gerecht zu werden. Die Fallhöhe bei den Zuschauern ist groß. Das Wesen des Lesens ist es nun mal, sich eigene Vorstellungen und Bilder zu schaffen. Mit dem Film zwingt der Filmemacher oder die Filmemacherin einem seine eigenen auf. Und was will ein Autor oder eine Autorin außerhalb seiner oder ihrer Werke überhaupt noch mitteilen?

André Schäfer wagt sich mit seinem Dokumentarfilm an das Porträt des Schweizer Autors Martin Suter. Seine große Stärke ist die Vielfalt der genutzten dramaturgischen und formalen Mittel. Es ist also nicht ein klassisches, und damit vorhersehbares Werk, das dabei entstanden ist. Nicht jede künstlerische oder erzähltechnische Entscheidung ist dabei vollumfänglich überzeugend, doch insgesamt ist Alles über Marin Suter. Ausser die Wahrheit kurzweilig, informativ und unterhaltend. Martin Suter hat eine große Leserschaft, nicht nur in seinem Heimatland, in der Schweiz, sondern auf internationaler Ebene.

Gerade in Deutschland sind seine Romane beliebt. Einige davon wurden verfilmt. Zu den bekanntesten gehört Lila, Lila, in der Daniel Brühl die Rolle des schüchternen Möchtegernschriftstellers übernimmt. Der Stoff ist herausragend, der Film eher auf der Höhe einer etwas reißerischen TV-Produktion. Es gibt bessere Verfilmungen wie etwa Small World durch den französischen Regisseur Bruno Chiche, in der unter anderem Gérard Depardieu und Alexandra Maria Lara mitspielen. Doch insgesamt ist es verständlich, weswegen Schäfer sich nicht an bereits fiktionalisierte Versionen von Suters Texten bedient hat. Die meisten werden seinen Arbeiten nicht gerecht.

Zum Konzept von Schäfers Film gehört es, Suter als Schöpfer seiner Protagonisten durchs Bild spazieren zu lassen, während einzelne seiner literarischen Figuren zum Leben erweckt werden und parallel zu Suter ihren Aktivitäten nachgehen. Es ist nicht Suter, der die inszenierten Szenen kommentiert und es sind auch nicht die Figuren, die miteinander oder zum Publikum sprechen. Ein neutraler Erzähler, die Stimme von Andreas Fröhlich, bekannt unter anderem durch die Hörbücher der Drei ???, liest Originalzitate aus den entsprechenden Büchern vor. So wechseln sich die verschiedenen Ebenen und Etappen des Schreib- und Leseprozesses ab und gehen ineinander über. Der Dokumentarfilm eignet sich sowohl für Menschen, die Suters Werke kennen als auch für die, die sie noch nicht kennen. Er ist auf seine Art eine Sammlung von Leseproben, die einen guten Eindruck von der Sprache und Ideenwelt des Autors vermitteln. Die Bücher stehen dabei ganz eindeutig im Mittelpunkt des Interesses des Regisseurs. Von ihnen geht er aus, sie haben ihn dazu gebracht, sich überhaupt mit dem Autor zu beschäftigen.

Das Verhältnis zwischen Regisseur und Autor kann man nicht als distanziert bezeichnen, aber dennoch bleibt ein gewisser höflicher Abstand zwischen ihnen spürbar. Suter lässt sich nur schwer in die Karten schauen. Seine äußere Contenance ist weitgehend auch eine innerliche. Dennoch gelingt es dem Regisseur, vielleicht nicht unbedingt intime, aber zumindest gelöste Momente einzufangen. Eindrücklich ist die trockene Schlagfertigkeit und die große Selbstironie, die teilweise aus Suters Aussagen herauszulesen ist. Dazu gehört eine Szene am Strand, als Suter meint: „Am fiktivsten sind meist die Biografien und noch mehr die Autobiografien“.

Um Kontext zu Suter zu schaffen, lässt der Film verschiedene Personen zu Wort kommen. Das sind Suters Verleger, ein Schriftstellerkollege, der Musiker Stephan Eicher, für den Suter Liedtexte schreibt und einen Literaturkritiker, der nicht gerade zimperlich mit Suter umgeht. Wer das genau ist, muss der Zuschauer entweder wissen oder am Ende im Abspann nachlesen, denn Schäfer verzichtet darauf, wie in einer klassischen Interviewsituation die unterschiedlichen Gesprächspartner zu etikettieren. Das gilt auch für Suters Frau und seine Adoptivtochter. Überhaupt geht der Regisseur sehr assoziativ und suggestiv in der Zusammenstellung des Materials vor. Dies macht den Film besonders abwechslungsreich.

Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit. (2022)

Dieser Film ist kein klassisches Portrait, sondern ein Dokumentarfilm, der über die Fiktion nicht nur die Romane Martin Suters zum Leben erweckt, sondern uns auch den Autoren hinter den Geschichten auf einer ganz neuen Ebene näherbringt. „Die Fantasie stimmt ja meistens mehr, als die Realität“, sagt Martin Suter.

Er spaziert durch seine Geschichten, filmisch und ästhetisch eindrücklich inszeniert, beleuchtet seine Protagonist:innen und ihre Geheimnisse – und insbesondere auch seinen eigenen, privaten Kosmos: Eine Welt, die von Gegensätzen durchtränkt und von der Sucht nach Geschichten geprägt ist.

„Schreiben hat viel mit weglassen zu tun“, sagt der Schweizer Bestsellerautor. Dieser Film zeigt uns alles über Martin Suter – alles, ausser die Wahrheit.

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