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Micheal Krüger war nicht nur jahrzehntelang Chef des Hanser-Verlages. Er hat auch nebenher selbst geschrieben, vor allem Gedichte. Aus welchen Quellen sich diese speisen, erspürt Dokumentarfilmer Frank Wierke in einem Porträt von großer Poesie. 

Verabredungen mit einem Dichter - Michael Krüger (2022)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Vom Zauber der Bäume

Michael Krüger gehört zu den Großen im deutschen Literaturgeschäft. Sein Einfluss als langjähriger Leiter des Carl Hanser Verlages ist mit dem von Siegfried Unseld (Suhrkamp) oder Klaus Wagenbach zu vergleichen. Was könnte man ihn nicht alles fragen über seine Begegnungen mit Nobelpreisträgern wie Herta Müller oder Orhan Pamuk? Ihm Anekdoten entlocken über schillernde Gestalten und durchgesoffene Nächte? Aber der Dokumentarfilmer Frank Wierke interessiert sich dafür nicht. Sondern für die stilleren, nachdenklicheren Aspekte im Wirken von Michael Krüger: für dessen eigene schriftstellerischen Arbeiten, vor allem als Lyriker. Und so wirkt sein visuelles Porträt wie ein heiterer Sommerabend am See. Aber auch wie das Gewitter, das die Wellen ans Ufer peitscht und in den Tiefen des Wassers wühlt, auf der Suche nach dem Geheimnis, das die glatte Oberfläche verbirgt.

Der Dramatiker und Dichter Bert Brecht liebte Bäume. Er beklagte die Zeiten, in denen das Gespräch über die grünen Riesen fast ein Verbrechen gewesen sei. In dieser Hinsicht ist Michael Krüger (Jahrgang 1943) Brechts Bruder im Geiste. Vor dem Fenster des Verlagsgebäudes in München steht ein Baum, über den er sich schon viele Gedanken gemacht hat. „Wenn man alle Wurzeln hintereinander legen würde, ergäbe das eine Strecke von hier bis Danzig“, erzählt er dem Filmemacher. Der Baum werde seine Arbeit hier überleben und Zeugnis davon geben, wie sie einander jahrzehntelang anblickten, er den Baum und der Baum ihn. „Wenn die Menschen vergesslich sind, der Baum ist es nicht.“ Das sei doch ein tröstlicher Gedanke. Auf jeden Fall ist es eine schöne Metapher für Krügers sinnliches Verhältnis zur Natur.

Es ist, als wäre die Kamera, die von Regisseur Frank Wierke selbst geführt wird, ein ähnlich stummer, aber doch aufmerksamer Zeitgenosse wie der Baum. Nur selten sind die Fragen zu hören, auf die Michael Krüger antwortet. Dadurch wirkt der intime Film, als würde er dem Dichter beim Denken zuschauen. Anders, als man vielleicht vermuten würde, redet der vielgereiste und belesene Literat und Dichter nicht über die großen Fragen unserer Zeit, sondern erzählt von persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen. Also von Erlebnissen, die wir alle teilen, auch wenn wir sie nicht so poetisch in Worte fassen können. Ein Beispiel: „Es braucht hoffnungslos lange, bis man so ungefähr ahnt, wer man ist.“

Der Film begleitet den Dichter vom Jahr 2013, als er bei Hanser in den Ruhestand geht, bis zum Februar 2020. Er hangelt sich an wichtigen biografischen Wendepunkten entlang, schaut nach, was aus den Plänen für den Lebensabend geworden ist, wie sich das geliebte Spazierengehen und Schreiben stören lässt durch die Arbeit als Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und durch viele andere Verpflichtungen. Dabei kreist die Neugier von Frank Wierke, der sich einen Namen als Spezialist für literarische Themen gemacht hat, auch um die Frage, aus welchen Quellen Lyrik eigentlich entspringt. 

Allerdings umkreist der Filmemacher das Thema eher, als dass er es benennt. Denn Michael Krüger sagt ganz klar: „Wenn man wüsste, wie Gedichte entstehen, würden keine mehr geschrieben werden.“ Aber man kann, das sagt Krüger, und dem spürt auch der Film nach, sich in eine bestimmte Stimmung bringen, die den kreativen Prozess fördert. Regisseur Wierke schaut in die Schreibwerkstatt, indem er das Verhältnis des Dichters zur Kindheit beleuchtet, zur Natur und zum Warten auf den Kuss der Muse. „Nicht-Schreiben ist die Bedingung für Schreiben“, sagt Krüger. Und erzählt, wie er während langer Spaziergänge manche Gedichtzeilen immer wieder hin und her wägt.

In vielen Großaufnahmen und begleitet von der wehmütigen Musik des norwegischen Geigers Erlend Apneseth wird der Film selbst zur Poesie. Er verzichtet auf alles störende Beiwerk wie Expertengespräche oder Off-Kommentare und fokussiert sich ganz auf den Fluss des Lebens, auf seine schönen wie tragischen Seiten. Die Dokumentation öffnet einen Gedankenraum, ohne Schlüsse zu ziehen und Ergebnisse zu liefern. Einmal heißt es: „Gedichte sind misstrauisch, sie behalten für sich, was gesagt werden muss.“ Ähnliches gilt für Filme: Je mehr sie ausbuchstabieren, desto fragwürdiger werden sie manchmal.

Verabredungen mit einem Dichter - Michael Krüger (2022)

Michael Krüger gilt als einer der bedeutendsten Verleger und Literaturvermittler in Deutschland und weltweit — aber vor allem ist er Dichter. Wir sind verabredet in den inoffiziellen Bereichen, wo sich seine Gedichte und ein unkonventionelles, schicksalhaftes Leben berühren.  

„Wie ein Gedicht wirklich entsteht? Wenn man es wüsste, würden keine Gedichte mehr entstehen. Das ist für mich ganz klar.“ 

Unvoreingenommen folgt der Filmemacher Frank Wierke den Gedankengängen Michael Krügers bei ihren Verabredungen — von Krügers letztem Monat im Verlag bis in die Zeit, in der eine lebensbedrohliche Erkrankung tiefe Fragen aufwirft. In der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, im Garten bei den vertrauten Bäumen  und auf seinen täglichen Wegen sind es oft die gegenwärtigen Momente, in denen sich Michael Krügers Gedanken über das Leben entwickeln. (Quelle: Real Fiction Filmverleih)

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