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Ein immaterielles Kulturerbe ist in Gefahr. Gestiegene Grundstücks- und Mietpreise setzen dem portugiesischen Liedgut zu. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, zeigen Judit Kalmár und Céline Coste Carlisle in ihrem Dokumentarfilm.

Fado - Die Stimmen von Lissabon (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Weltschmerz im Wandel

Lässt sich das Lebensgefühl einer ganzen Stadt in einem Lied ausdrücken? Der Fado versucht es. Doch dieser generisch portugiesische Musikstil, der vornehmlich von Sorgen und Nöten handelt, ist in Gefahr. Mit den Altstadtvierteln Lissabons wird auch der dort gespielte Fado gentrifiziert. In ihrem Dokumentarfilm nehmen uns Judit Kalmár und Céline Céline Coste Carlisle mit in die engen Gassen und vollbesetzten Restaurants der portugiesischen Hauptstadt, um dem Fado zu lauschen. Coste Carlisle gibt die Reiseführerin, allerdings nicht wie eine Touristin, sondern wie eine Einheimische.

Ende der 1990er-Jahre kam die Co-Regisseurin nach Portugal und ist geblieben. Der Fado habe sie verändert, sagt sie als Erzählerin aus dem Off. Wie so viele andere in ihrem Film vorgestellte Ausländer, die in Lissabon eine neue Heimat gefunden haben, will auch sie dem geliebten Musikstil etwas zurückgeben. Ihre gemeinsam mit Judit Kalmár realisierte Doku ist eine Liebeserklärung an Lissabon, dessen Musik und Interpret:innen.

Der Film ist ganz anders als der Fado. Den schwermütigen Melodien und Texten setzen Coste Carlisle und Kalmár eine agile Kamera und eine schwungvolle Montage entgegen. Wie die Stadt und ihre Bewohner:innen steht dieser Film nie still. Mal begibt sich Coste Carlisle mit der Sängerin Ivone Dias auf Stippvisite durch ihr altes Viertel Alfama, mal fährt sie mit der Sängerin Marta Miranda von Alfama mit der Fähre auf die andere Seite des Tejo. Die Mietpreise im berühmten Altstadtviertel können sich Ivone und Marta schon lange nicht mehr leisten. Nun droht auch noch dem „Tasca Beat“, einem von Marta und ihrem Lebensgefährten in Alfama betriebenen Lokal und Kulturtreff, das finanzielle Aus. Davon lassen sich die zwei Sängerinnen aber nicht unterkriegen.

Ohne jegliches Archivmaterial zieht das Regieduo in ihrer Doku eine kleine Kulturgeschichte des Fado auf. An den Biografien ihrer zwei Hauptakteurinnen lassen sich auch die Geschichte des Landes und der gesellschaftliche Wandel ablesen. Ivone wünschte sich schon als Mädchen nichts sehnlicher, als den Fado zu singen, bekam es von den männlichen Autoritätsfiguren in ihrem Leben aber untersagt. Zum ersten Mal aufgetreten ist sie erst in ihren Sechzigern. Heute, mit inzwischen mehr als 80 Jahren, singt sie immer noch. Marta wiederum lässt die unterschiedlichsten kulturellen Strömungen in ihren Fado einfließen. Sie steht für eine neue Generation, die die Tradition bewahrt, sich vor neuen Einflüssen aber nicht verschließt – und die das zunehmend internationaler werdende Klima um sie herum auch als Chance begreift.

Vor den Problemen, die mit dieser Internationalisierung einhergehen, verschließen Judit Kalmár und Céline Coste Carlisle nicht die Augen, sie verteufeln sie aber auch nicht. Ein Fado-singender Tuktuk-Fahrer, der Coste Carlisle Rede und Antwort steht, bringt es auf den Punkt. Wie jede Medaille habe auch der Tourismus und die damit verbundene Gentrifizierung zwei Seiten. Der Tourismus bringe Geld und fördere den Fado auch. Ältere Generationen sehen es kritischer. Geht es nach ihnen, wird in Alfama schon lange kein echter Fado mehr gesungen, sondern nur noch die für den Tourismus weichgespülte Version. Was eine Grande Dame des Fado wie Ivone Dias wohl dazu sagen würde?

Im Original trägt der Film den schönen Titel Silêncio – Vozes de Lisboa, weil vor jedem vorgetragenen Lied um Ruhe gebeten wird. Manchmal werden sogar kleine Tafeln, auf denen „Silêncio“ geschrieben steht, für die Gäste gut sichtbar in die Höhe gehalten. Dass es diese Kunstform, die seit 2011 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit zählt, nicht mehr geben wird, wenn sich deren Interpret:innen ihre Stadt nicht mehr leisten können, ist evident. Dass der Fado nicht nur den Einheimischen gehört, ist ebenso offensichtlich. An Wegen aus diesem Dilemma wird intensiv gearbeitet. Auch das zeigt dieser Film. Solange die Sängerinnen kraftvoll ihre Stimmen erheben, besteht Hoffnung.

Fado - Die Stimmen von Lissabon (2020)

Fado — Die Stimmen von Lissabon ist ein Dokumentarfilm, der vor dem Hintergrund eines entfesselten Wohnungsmarktes in der Alfama Lissabons spielt, dem ursprünglichsten Altstadtviertels der portugiesischen Hauptstadt. Auf den Spuren von Céline – einer einheimischen Ausländerin, die seit 20 Jahren in Portugal lebt – lernen wir Ivone Días und Marta Miranda kennen, zwei Künstlerinnen aus verschiedenen Generationen, die für das Überleben ihrer Kunst, ihrer Gemeinschaft und Nachbarschaft kämpfen. Ihre gemeinsame Sprache ist Fado, ein traditioneller Musikstil, der vom täglichen Kampf des Lebens erzählt. Mit den Texten und dem Klang von Fado-Liedern, die uns durch die Geschichte führen, bringt uns der Film die Beziehung zwischen Fado-Sängerinnen und Sängern und der sich ständig verändernden Welt um sie herum näher, und wärmt unser Herz für die einzigartige Kultur des Fado. (Quelle. Arsenal Filmverleih)

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