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Potato und seine Mutter wollen mit dem Fall des Eisernen Vorhangs von Russland in die USA auswandern. Dort glaubt Potato, endlich zu seiner Homosexualität stehen zu können. Mit viel Sinn für Humor verarbeitet der US-amerikanische Regisseur Wes Hurley mit russischen Wurzeln eigene Erlebnisse.

Potato Dreams of America (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Wladiwostok–Seattle einfach

Noch immer hält sich bei einigen die Vorstellung, die USA sei das Land der unendlichen Möglichkeiten. Hier kann man vom Tellerwäscher zum Millionär werden. Und einfach sein, wer man will. Es ist schließlich „the Land of the Free“, wo man persönliche Freiheit lebt. Viele werden dieser Illusion heute nicht mehr aufsitzen, doch in den 1990er Jahren in Russland war sie auf jeden Fall sehr präsent.

Es sind die USA aus den US-amerikanischen Filmen, die Potato (Hersh Powers), wie der junge Protagonist von allen genannt wird, kennt. Filme, die sich von den sowjetischen Filmen markant unterscheiden. In letzteren gewinnen die Bösen immer, es passiert nie etwas Gutes. In den amerikanischen, stattdessen, finden am Ende alle ihr Glück. Das suchen Potato und seine Mutter Lara (Sera Barbieri) auch. Sie träumen, nachdem der Eiserne Vorhang gefallen ist, von einer Zukunft, in der man nicht in kleinen Wohnungen friert, für seine Arbeit richtiges Geld verdient, mit dem man sich einen Farbfernseher kaufen kann und sich vor allem von konservativen, fremdenfeindlichen und selbstgerechten sozialen Zwängen befreien kann.

Doch ob es dann tatsächlich so wird wie in Pretty Woman, wenn Potatos Mutter einen Amerikaner heiratet, ist zu bezweifeln. Regisseur Wes Hurley verarbeitet in Potato Dreams of America seine eigene Lebensgeschichte. Er verbrachte seine Kindheit in Wladiwostok, bevor er mit 16 Jahren mit seiner Mutter in die USA immigrierte. Mit viel Humor und einer ziemlichen Portion an Zynismus beschreibt er die beiden Welten, die er gegeneinander ausgetauscht hat. Grob besteht auch der Film daher aus zwei Teilen, wobei der erste, in dem es um Potatos Kindheit geht, etwas dichter und bei aller Härte der dargestellten äußeren Umstände auch unterhaltsamer ist.

Das liegt unter anderem an der außergewöhnlichen schauspielerischen Leistung des jungen Hersh Powers, der einen ausgeprägten Sinn für Komik beweist und die pointierten Dialoge trocken interpretiert. Er spielt einen etwas frühreifen, abgeklärten Jungen, der sich bei gewissen Themen doch seine kindliche Naivität bewahrt. So gehört die Szene, in der er mit seinem imaginären Freund über Masturbation spricht, wohl zu den mit Abstand lustigsten und „unpeinlichsten“ dieser Art. Im übrigen ist sein Freund niemand anderes als Jesus, ein ziemlich fauler allerdings. Nach ein paar abgedroschenen Motivationsfloskeln hat der Heiland nichts mehr zu bieten, stattdessen sitzt er vor dem Fernseher und kommentiert das Programm vor sich hin.

Schon früh weiß Potato, dass er nicht auf Mädchen steht, sondern auf Jungs. Wohlweislich behält er dies aber für sich, da die offene Homophobie, gepaart mit einer ausgesprochenen Fremdenfeindlichkeit und allgemeinen konservativen Haltung seiner Großmutter erahnen lässt, wie sie und die restliche russische Gesellschaft auf diese Information reagieren würden. Dass seine Mutter in den USA ausgerechnet an eine Art Alter-Ego seiner Großmutter gerät, hätte Potato nicht gedacht. So lässt das Coming-out auch auf der anderen Seite der Welt auf sich warten – bis es schlichtweg nicht anders geht. Es kommt dann ganz anders als gedacht.

Das ist nicht nur einer der vielen Spannungselemente, die der Film geschickt aufbaut und auch auf eigene, originelle Weise bedient. Tatsächlich folgt er formal einem ungewöhnlich stimmigen, in den Mitteln sehr reduzierten und äußerlich schon fast starren Konzept. Jede Szene ist wie ein eigenständiger Sketch aufgebaut. Die Dialoge stehen dabei im Mittelpunkt. Die feste Kamera bildet den Rahmen für die in kleinen Stücken vorgetragene Handlung. Es entsteht eine Atmosphäre wie im Theater. Jede Einstellung wirkt wie ein perfekt ausbalanciertes Tableau. Außenszenen gibt es nicht, auf überflüßige Füllbilder, die dramaturgische oder ästhetische Übergänge markieren, verzichtet der Film fast vollständig. Nur einmal, bei der Ankunft Potatos in den USA, sieht man die Silhouette Seattles. Das fällt sofort als Stilbruch auf, kann aber, angesichts der sonstigen eingehaltenen Einheitlichkeit, auch verziehen werden.

Es ist erstaunlich, wie authentisch und ungekünstelt das Drehbuch, das Spiel der Darsteller und vor allem der Film in seiner Botschaft und Haltung wirken, wenn man bedenkt, dass seine Form genau für das Gegenteil steht. Der Kontrast ist aber herausfordernd und charmant. Im Dekor spiegelt sich eine gewisse melancholische Sicht des Regisseurs auf andere Zeiten wider, der vermutlich nun die Distanz zu den Ereignissen hergestellt hat, die er für die Auseinandersetzung mit ihnen auch benötigt. Dazu passt seine trockene und satirische Sprache. Dass er trotzdem Themen bespricht, die heute genauso relevant und aktuell sind wie damals, stimmt nachdenklich, macht den Film aber auch zum universellen Werk.

Potato Dreams of America (2021)

Die Ärztin Elena und ihr schwuler Sohn „Potato“, die in den turbulenten Jahren der Perestroika in der UdSSR ums Überleben kämpfen, flüchten täglich in die Fantasiewelt der Filme, die vom großen amerikanischen Traum erzählen.

Aber bald reichen die Filme als sicherer Ort nicht mehr aus und Elena beschließt, eine sogenannte „Versandhandelsbraut“ zu werden, um einen Mann aus Amerika zu finden. Und das mit Erfolg: Es dauert nicht lange bis Elena den weitaus älteren und sehr exzentrische John aus den USA kennenlernt und schließlich auch heiratet. Mutter und Sohn verlassen ihre Heimat, bereit für ihren ganz eigenen amerikanischen Traum. Doch der Neuanfang bedeutet nicht nur viel Kraft und Arbeit, sondern auch einige Überraschungen, die die beiden nicht erwartet hätten. 

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