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Wenn gleichgeschlechtliche Paare Kinder bekommen, sind die Bedenken nach wie vor groß. Annette Ernst hat zwei Mütter und ihre drei Söhne zwölf Jahre lang begleitet. Herausgekommen ist eine Langzeitbeobachtung, die sich alle Bedenkenträger dringend ansehen sollten.

Mutter Mutter Kind – Let’s do this differently (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein etwas anderer Familienroman

Kinematografische Langzeitbeobachtungen sind ebenso aufwendig wie selten. So wichtig wie diese war lange keine mehr. Denn Regisseurin Annette Ernst zeigt in ihrem Dokumentarfilm über zwei Frauen, deren Kinderwunsch und dessen Umsetzung mühelos auf, wie unbegründet das „diffuse Unbehagen“, wie Ernst es nennt, von Teilen der Gesellschaft gegenüber alternativen Lebensmodellen ist.

„Let’s do this differently“ heißt Ernsts Langzeitdoku im Untertitel. Und Anny und Pedi, die beiden Frauen, um die es geht, packen ihren Kinderwunsch tatsächlich anders an. Der Gang zu einer Samenbank kommt für sie nicht infrage, also geben sie 2004 eine Annonce auf. Die Resonanz ist überwältigend. Unter all den Rückmeldungen suchen sie den Heilpraktiker Eike aus. Der kommt zur Befruchtung (die allerdings ganz anders als in feuchten Männerträumen abläuft) eigens nach Haus. Eike hat nicht nur ein ruhiges Naturell und eine Vorliebe für Asien, die er seinen Kindern vererbt, sondern bis zum Filmende auch noch einige Überraschungen auf Lager.

Die Idee zu ihrem Film kam Annette Ernst über eine Freundin, die mit ihrer Frau selbst zwei Kinder bekam. „Ich wollte wissen, wie sie durch die ethisch-moralischen Wellen einer Gesellschaft kommen, die für sie keine Vorbilder kennt“, erinnert sich Ernst. Sie suchte und fand Anny und Pedi, war 2009 bei der Geburt ihres dritten Sohns mit der Kamera dabei und hat die Familie und deren Verwandte bis 2021 immer wieder besucht und befragt. „Was dann in den zwölf Jahre passiert ist, hätte ich mir nie ausdenken können“, bringt es die Regisseurin auf den Punkt. Ihre Langzeitbeobachtung gleicht einem schrägen, sich ständig erweiternden Familienroman, der zwischendurch beinahe zu einer Seifenoper gerät.

Dramaturgisch klug montiert, wie der Film überhaupt toll von Anja Lüdcke geschnitten ist, holt Ernst immer dann den nächsten Hammer raus, wenn das Publikum nicht mehr damit rechnet. Gerade als es sich mit Anny, Pedi und ihren drei Söhnen Linus, Lou und Pino häuslich eingerichtet hat, biegt die kleine Linn um die Ecke. Auch sie ist Eikes Tochter, denn der Heilpraktiker hat auch anderen Frauen seinen Samen gespendet. Acht Kinder mit fünf Paaren hat er insgesamt. Das haut nicht nur die Zusehenden im Kinosaal, sondern auch die Frauen um. In der Rückschau erinnern sie sich an unbegründete Eifersucht auf die anderen Frauen. Doch es kommt noch doller.

Nach Linn, die Kontakt zu ihren Halbbrüdern aufnimmt, will auch Eikes Mutter Elke die ihr bislang unbekannten Enkelkinder kennenlernen und lädt sie zu ihrem Geburtstag ein. Eine Familienfeier voll spannender Familienkonstellationen, die mit einer weiteren Überraschung, Eikes eigene Familie betreffend, aufwartet.

So lustig das alles klingt, ist es freilich nicht immer. Zwischendurch eingestreute Informationen zur historischen und juristischen Lage Homosexueller rufen ins Gedächtnis, wie kurz die Freiheiten, die Anny und Pedi nutzen, erst bestehen. Und Archivaufnahmen von Demonstrationen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe führen vor Augen, wie brüchig diese Freiheiten sind. Annette Ernst blendet den Hass, die Homophobie und das „diffuse Unbehagen“, das Familien wie Annys und Pedis entgegenschlägt, also nicht aus. Dafür musste sie gar nicht lange suchen. Annys Eltern und ihr jüngerer Bruder Karsten lehnten Annys Lebensweise zunächst ab, haben ihre Einstellung aber inzwischen gewandelt. Diejenigen Familienmitglieder, die bis heute Probleme damit haben, nahmen vor der Linse von Kamerafrau Nina Werth erst gar nicht Platz. Um deren Bedenken aber nicht einfach beiseite zu schieben, hat Ernst auch noch eine fiktive Ebene in ihren Film eingebaut.

In einer in Schwarz-Weiß gefilmten Bühnensituation tauschen zwei Schauspieler, die eine Mutter und einen Therapeuten geben, ihre Ansichten zu dem Thema aus. Die Bedenken sind die üblichen, schon tausendmal gehörten und beim ersten Hören womöglich sogar einleuchtenden: Fehlt den Kindern, vor allem den Jungen nicht eine Vaterfigur? Werden die Kinder nicht unter den Hänseleien in der Schule leiden? Unzählige weitere Bedenken ließen sich hier in Endlosschleife aufführen. Das Schöne ist, dass Ernst diesen Bedenken keine hochtrabenden Gegenargumente anderer Experten entgegensetzt, sondern einfach den Kindern das Wort erteilt. Die haben schon in ganz jungen Jahren viel Kluges zu sagen.

Über die Jahre hinweg sind Linus, Lou und Pino wiederholt im Kreis von Gleichaltrigen zu sehen, die sich für ihre Familienkonstellation interessieren. Mal in der Kita, mal in der Schule, mal beim Sport. Und ja, klar, die ewig gleichen Fragen nach ihren zwei Müttern und dem Verbleib ihres Vaters können ganz schön nerven. Was bei den fragenden Kita-, Klassen- und Sportkameraden dabei aber nie aufkommt, ist Spott, Häme oder gar Hass. Bei den Kids überwiegen eine ehrliche Neugier und aufrichtige Aufgeschlossenheit. Die Sorge, dass Kinder anderen Kindern Grausamkeiten antäten, sagt am Ende wohl mehr über deren Eltern aus.

Vorgeschützten Argumenten zum (vermeintlichen) Schutz der Kinder und noch böseren, auf Demonstrationen eingefangenen Kommentaren setzt die Regisseurin dementsprechend kommentierende Bilder von kläffenden und zähnefletschenden Hunden entgegen, um zu zeigen, was sie davon hält. Auch hier gilt für ihren Film also das Motto „Let’s do this differently“.

Mutter Mutter Kind – Let’s do this differently (2021)

2004 erscheint eine Zeitungsannonce: Die beiden Frauen Pedi und Anny suchen einen Samenspender. Eine Familiengeschichte beginnt, an deren Anfang ein großer Kinderwunsch steht. In einer Zeit, in der das Familienbild aus Mutter, Vater und Kind(ern) besteht und die Gesellschaft mit großer Ablehnung auf alles andere reagiert, geht Pedis und Annys Traum mit Eike endlich in Erfüllung, sie bekommen drei Söhne. Jahre später taucht plötzlich ein Mädchen auf, das ihre Brüder kennenlernen will. Hat Eike noch anderen Familien geholfen? Alte und neue Familiengeheimnisse werden gelüftet, Liebe kommt und geht und der ganz normale Wahnsinn zwischen Windeln wechseln und Fußballspielen nimmt seinen Lauf. (Quelle: jip Film & Verleih)

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Meinungen

B. Loup · 22.11.2022

Die Schwarz- Weiß gefilmte Bühnensituation zwischen Mutter und Therapeuten hat mir überhaupt nicht gefallen : so eine düstere Atmosphäre.. Fast wie im Besucherzimmer eines Gefängnisses...Diesen Dialog hätte man m. E: in hellerer freundlicher Atmosphäre führen können.
Der eigentliche Film ist großartig ! Ich bin 81 Jahre alt und fand es sehr interessant," meinen Horizont erweitern "zu können