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Seine Kindergeschichten werden einfach nicht alt. Und deren Verfilmungen bieten bestes Festtagsprogramm. Pünktlich zu Jahresende 2022 legt Netflix Roald Dahls „Matilda“ neu auf – diesmal als Musical.

Matilda – Das Musical (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wurmwalds Wunderkind

Roald Dahl (1916–1990) hat in seiner Karriere makabre Kurzgeschichten, Drehbücher für Kinofilme („James Bond 007 – Man lebt nur zweimal“, „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ u. a.) und gleich drei Autobiografien verfasst, bekannt ist er mehr als 30 Jahre nach seinem Ableben aber weiterhin für seine Kinderbücher. Inzwischen wurden fast alle davon verfilmt, manche sogar mehrfach. So ergeht es auch dem Schicksal des Wunderkinds Matilda Wormwood, das jetzt als Musical bei Netflix zu sehen ist.

Veröffentlicht hat Dahl die Geschichte kurz vor seinem Tod. Der 230 Seiten starke und von Dahls Stammzeichner Quentin Blake illustrierte Roman kam 1988 auf den Markt. Die Story ist auf der einen Seite von der seinerzeit typischen Medienskepsis und auf der anderen von Dahls eigenen Schulerfahrungen geprägt. Im Zentrum steht die aufgeweckte Matilda, die sich selbst das Lesen beibringt und ihre Nase lieber in Bücher steckt, als mit ihrer Familie tagein, tagaus vor der Flimmerkiste zu sitzen. Als sie endlich in die Schule kommt, scheint das zunächst ein Fortschritt im Vergleich zu ihrem rückschrittlichen Elternhaus. Doch die Bildungsanstalt wird von Direktorin Trunchbull mit harter Hand geführt. Die ehemalige Hammerwerferin hasst Kinder wie die Pest und schleudert schon mal eins an den Haaren über den Schulhofzaun.

Beste Voraussetzungen also für eine typisch Dahl’sche Geschichte, in der schräge, völlig überzeichnete Charaktere mit sprechenden Namen (aus Familie Wormwood wird im Deutschen zwar nicht Wermut, sondern Wurmwald, dafür aus Miss Trunchbull passend Frau Knüppelkuh), schwarzer Humor und ein hoffnungsfrohes Ende einander die Hand reichen. Keine zehn Jahre nach ihrem Erscheinen verfilmte Danny DeVito die Vorlage als ebenso kunterbuntes wie kreatives Spektakel, das trotz aller Schauwerte und Spannungsmomente ausreichend Platz für nachdenkliche Töne ließ. Die Rolle von Matildas Vater, einem schäbigen Autohändler, übernahm das 1,47 Meter große Kraftpaket gleich selbst. An seiner Seite glänzten seine Ehefrau Rhea Perlman als Matildas Mutter, Embeth Davidtz als Matildas fürsorgliche Klassenlehrerin Miss Honey, Pam Ferris als furchteinflößende Miss Trunchbull und allen voran Mara Wilson in der Titelrolle. Angesichts einer solch starken Adaption, die auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrer Premiere taufrisch daherkommt (und in Deutschland derzeit ebenfalls bei Netflix zu haben ist), hätte es einer Neuverfilmung nicht bedurft. Die hat aber immerhin einige Änderungen und eine zweite Vorlage zu bieten.

Über den Sinn und Unsinn filmischer Neuauflagen lässt sich trefflich streiten. Hätte es etwa Tim Burtons Version von Dahls Roman Charlie und die Schokoladenfabrik (1964) bedurft, den Mel Stuart (1928–2012) bereits 1971 verfilmte? Burtons Hauptdarsteller Johnny Depp gibt in seiner Post-Piraten-Phase zumindest keine gute Figur ab und reicht an Gene Wilders Willy Wonka aus Stuarts Adaption nicht heran, einerseits. Andererseits sieht Burtons filmische Version des Dahl’schen Kosmos so wunderhübsch burtonesk aus, und wer möchte das missen?

Mit der neuen Version von Dahls Matilda verhält es sich ähnlich. Statt in den USA, wohin Danny DeVito die Geschichte verlegt hatte, spielt sich das Geschehen (der Vorlage entsprechend) diesmal in England ab. Hauptfigur Matilda, im Buch erst fünf Jahre jung, die bereits bei DeVito etwas älter war, ist nun elf, ihr älterer Bruder wurde ersatzlos aus der Handlung gestrichen, und der Cast ist diverser besetzt. Die Hintergrundgeschichte der von Lashana Lynch gespielten Miss Honey ist ordentlich ausgebaut und wird in fantasievoll ausgestatteten Szenen dargeboten, die sich Matilda herbeifabuliert, um sie der Bibliothekarin Mrs. Phelps (Sindhu Vee) zu erzählen, die auf diese Weise und im Gegensatz zur Vorlage bis zum Ende präsent bleibt. Überhaupt ist die Ausstattung ein großes Plus. Die detailverliebten und mitunter düsteren Sets wirken so, als hätte jemand das Design von Paddington 2 (2017) mit dem von Tim Burtons Dumbo (2019) gekreuzt.

Der größte Unterschied ist jedoch, dass in der von Regisseur Matthew Warchus (Pride) verantworteten Version gesungen wird. Vor zwölf Jahren machten der Musiker, Stand-up-Komiker und Schauspieler Tim Minchin (Upright), Autor Dennis Kelly und Choreograf Peter Darling aus Dahls Roman ein Musical. Nach seiner Uraufführung durch die Royal Shakespeare Company in Stratford-upon-Avon im Dezember 2010 regnete es zahlreiche Preise, darunter die Rekordzahl von sieben Laurence Olivier Awards. Und auch in den USA, wo das Musical von 2013 bis 2017 am Broadway aufgeführt wurde, gab es immerhin vier Tony Awards.

Die filmische Umsetzung des Ganzen kann sich sehen wie hören lassen. Minchins Songs sind eingängig, aber auch ein wenig eintönig. Dank eines glänzend aufgelegten Ensembles, in dem Andrea Riseborough und Stephen Graham als Matildas Eltern leider ein wenig kurz kommen und dessen Höhepunkt zweifelsohne die hinter dickem Make-up versteckte Emma Thompson als sadistische Schuldirektorin ist, fällt das aber kaum ins Gewicht. Am Ende stehen knapp zwei Stunden feinste Festtagsunterhaltung, die sich im Vergleich zu DeVitos Variante und dem Alter der Hauptfigur entsprechend an ein etwas reiferes junges Publikum richtet. Warchus‘ Variante ist deutlich (vor-)lauter, was wiederum in unsere Zeit passt.

Ob James und der Riesenpfirsich (1996), Mr. Hoppys Geheimnis (2015), BFG (2016) oder jetzt das Matilda-Musical – die Adaptionen sind so vielfältig wie Dahls Geschichten. Und die werden übrigens auch in Zukunft nicht alt. Mit einer Animationsserie von Charlie und die Schokoladenfabrik, einem schlicht Wonka betitelten Prequel dazu sowie der Verfilmung The Wonderful Story of Henry Sugar, die Wes Anderson in Szene setzen wird, der schon Der fantastische Mr. Fox (2009) für die große Leinwand umgesetzt hat, stehen derzeit gleich drei weitere Adaptionen in den Startlöchern. Es werden nicht die letzten bleiben.

Matilda – Das Musical (2022)

„Matilda“ ist eine Adaption des mit mehreren Tony Awards und Olivier Awards ausgezeichneten Musicals und erzählt die Geschichte eines außergewöhnlichen Mädchens mit scharfem Verstand und höchst lebendiger Fantasie, das es wagt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, wobei magische Dinge passieren. 

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Meinungen

Reni · 11.01.2023

Dieser Film ist so weit weg von dem original wie nur möglich.
Es Fehlen so viele und wichtige Details.
Es ist schade das Alte Filme neu verfilmt werden und dabei die wichtigsten Dinge ausgelassen werden.
Ich gucke mir den Film nie wieder an.

Fiete · 20.01.2023

Es ist an das west end musical angelehnt aber ich finde sie hätten nicht alisha weir als matilda sondern eine Matilda von West end casten sollen und sie hätten nicht emma Thomsen sondern eine Schauspielerin von West end casten sollen

Christoph · 02.01.2023

Wie bei den meisten Neuverfilmungen leider verhunzt und von der Buchvorlage weit entfernt. Das passiert wenn sich Regisseure profilieren müssen anstatt gute Regiearbeit zu leisten (vgl. Mord im Orientexpress oder Das Böse unter der Sonne). Inhaltlich also viele Fehler und deutlich gruseliger als nötig, gerade für kleinere Kinder (Ketten-Monster). Bei der Zerstörung des Luftabschneider sieht die junge Hauptdarstellerin aus wie in einem Horrorfilm, allgemein ist sie eher ein Racheengel wie aus dem Marvel-oder DC-Universum. Außerdem hat sie "verrückte Augen" wie Barney Stinson sagen würde. Das Musical kann auch ziemlich nerven, vor allem wenn die Kinder plötzlich glitzernde Jacken tragen...