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Souverän meistert Clara Stern in ihrem Debütspielfim den Spagat zwischen Sportdrama, Coming-of-Age- und Coming-out-Geschichte und begeistert mit Dynamik und genauem Blick für Details.

Breaking the Ice (2022)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Feuer & Eis

Es beginnt mit einem Knall — und zwar einem ganz wortwörtlich zu nehmenden: Durch eine zerkratzte Plexiglasscheibe erahnen wir eher die Umrisse eines Eisstadions von innen, sehen dann verschwommen eine schemenhafte Figur, die mit einem Eishockeyschläger bewaffnet aufs Eis sprintet und den Puck gekonnt gegen die Scheibe donnert. Dann der Titelschriftzug — und schon kurz darauf folgt die erste Überraschung, als die Spieler das Eis betreten. Denn hinter den Helmen und der martialischen Schutzkleidung, die aus jedem Spielertyp einen Hünen macht, verbirgt sich ein weibliches Team: Die Dragons, angeführt von der Kapitänin Mira (Alina Schaller) spielen in der höchsten österreichischen Liga und sind wahre Cracks auf dem Eis. Doch ihre Spiele finden aus Ignoranz und mangelndem Interesse für eine sehr überschaubaren Zuschauer*innenschar statt und leben kann von dem Sport im Gegensatz zu den männlichen Spielern hier niemand.

Mit wenigen, knappen Dialogsätzen und ausdrucksvollen Bildern erzählt Breaking the Ice von Missachtung und den ungleich schwereren Bedingungen der Spielerinnen, doch dies geschieht ganz nebenbei und entfaltet dennoch seine Wirkung. Zugleich aber ist der Film und seine Regisseurin Clara Stern aber ebenso fasziniert von der Dynamik und auch Schönheit dieses Sports — immer wieder bewegt sich die Kamera ungeheuer dynamisch über das Eis, lässt sein Publikum mit aufs Eis gehen, jagt dem Puck hinterher und versteht es auf sehr gelungene Weise, Spielsituationen so aufzulösen, dass das Spiel, das sonst oft so schnell ist, dass man gerne einmal den Puck aus den Augen verliert, nicht nur greifbar, sondern auch sehr ästhetisch erscheint. Gerade das ist ja bei Filmen, bei denen es um Sport geht, eine der schwierigsten Übungen und gerät sonst häufig peinlich und bestenfalls bemüht — hier aber ist das nicht der Fall. Und das ist nur eine der vielen bemerkenswerten Leistungen dieses Films.

Denn zugleich versteht sich Breaking the Ice auch auf feine Zwischentöne und leise, fein beobachtete Nuancen — und für diese Momente bietet die Geschichte jede Menge Anlässe. Das beginnt bereits bei Miras Familie, bei der ein zurückliegendes Unglück wie eine graue Wolke über den Beteiligten schwebt. Schweigen, Sprachlosigkeit und gleich zwei Menschen, deren Abwesenheit schmerzhaft zu spüren ist, überschatten den burgenländischen Weinbaubetrieb, in dem die Kapitänin mit anpackt. Seit dem Unfalltod ihrer Großmutter, für den sich ihr Bruder Paul (Tobias Resch) die Schuld gibt, ist dieser verschwunden und steht plötzlich eines Tages in der Halle, in der seine Schwester trainiert — und damit brechen all die schlecht vernarbten Wunden wieder auf, die mühsam totgeschwiegen wurden — ein unausgesprochenes Übereinkommen, an das sich nur der zunehmend dement werdende Großvater (Wolfgang Böck) nicht hält. Mit dem Auftauchen des vermeintlich Schuldigen geraten aber die erstarrten Zustände in Bewegung — ebenso wie das Auftauchen der neuen Spielerin Theresa (Judith Altenberger) das feste Teamgefüge der Dragons durcheinanderbringt.

Dass für die Neue die Dragons nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die US-amerikanische Profiliga ist, wird schnell klar. Ebenso schnell wie die Tatsache, dass Mira und Theresa bald schon viel mehr verbindet als die Freude am Spiel und an den gemeinsamen Erfolgen auf dem Eis. Denn Theresa wirkt in vielfacher Hinsicht wie ein Katalysator: Die Leichtigkeit, mit der sie sich in die Liebesaffäre mit Mira stürzt, macht dieser klar, wie eng und beschränkt ihr eigenes Leben ist. Genauso entwaffnend haut die Neue ihrer Mannschaft um die Ohren, was dieser grundlegend fehlt: Teamgeist und eine Kultur des Miteinanders — stattdessen herrschen Konkurrenz und Missgunst vor und verhindern den ganz großen Erfolg. Und das gilt im übertragenen Sinne nicht allein für die sportliche Facette der Story, sondern auch für die anderen Ebenen, mit denen der Film auf gelungene Weise jongliert.

Breaking the Ice ist ein Film über Veränderungen, Metamorphosen, Weiterentwicklungen, über das spielerische Ausprobieren von Identitäten und letztendlich auch über die Schmerzen, derer es bedarf, um die zu werden, die man eigentlich längst schon ist. Beim gerade zu Ende gegangenen 44. Filmfestival Max Ophüls Preis wurde Clara Sterns Film mit gleich drei Auszeichnungen bedacht (dem Preis der Jugendjury, dem Preis für den gesellschaftlich relevanten Film und dem Fritz Raff Drehbuchpreis) — und es bleibt zu hoffen, dass spätestens diese Auszeichnungen einen deutschen Kinostart ermöglichen.

Breaking the Ice (2022)

Mira lebt für den Eishockeysport und führt mit starkem Willen als Kapitänin ihr Team. Eine Herausforderung, dies mit ihrer Rolle im elterlichen Weinbau zu vereinen: mit ihrer Mutter und ihrem unternehmungslustigen, aber immer dementeren Opa führt sie den Hof – mit der ganzen Verantwortung.

Die neue Spielerin Theresa bringt sie mit ihrer Unbekümmertheit und Offenheit völlig aus der Fassung. Und als auch noch Miras verschwundener Bruder Paul auftaucht und alle drei sich im nächtlichen Wien verlieren, entdeckt Mira die Freiheit, die es bedeutet, Regeln zu brechen, sich selbst neu zu erfinden – und dass man nur lieben kann, wenn man loslässt.

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