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Erwachsenwerden in einer rigiden Kommune, in der die Ideale zu diffusen Machtstrukturen verkommen sind: Eine Aufarbeitung der Otto-Mühl-Kommune als packender Coming of Age-Film.

Servus Papa, See You In Hell (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Kommunenhölle

Aufwachsen auf dem Land, mit Gleichgesinnten, autark, frisch, fröhlich, frei. In „Servus Papa, See You in Hell“ geht Christopher Roth hinein in eine Kommune, erzählt von innen heraus – Roth hat vor 20 Jahren den hervorragenden Gangsterfilm „Baader“ gedreht, in dem er die RAF-Gruppe ins Genregewand steckte, ohne zu beschönigen oder zu beschwichtigen. Nun schildert er das Leben in einer Kommune, in der sich die Hippie-Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ins Autokratisch-Faschistische gewandelt haben, ganz langsam, ohne dass die Kommunarden es so richtig mitbekommen haben.

Wir sehen die Kommune aus den Augen von Jeanne, eine Jugendliche, die seit dem Alter von zwei Jahren hier lebt; elternlos, denn das ist eine Regel: Zweierbeziehungen sind tabu, das gilt für Liebespaare wie auch für Eltern-Kind-Beziehungen. Hierin nämlich liegt die Wurzel allen Spießertums, allen Übels: Liebe muss allgemein sein, darf nicht exklusiv werden. Sex ja, immer, so oft es geht. Liebe auf keinen Fall.

Jeannes Eltern wohnen in einer Stadtkommune. In einer Außenstelle, in Frankfurt, da, wo das Geld herkommt durch ominöse Finanzgeschäfte. Am Hauptsitz, auf der paradiesischen Insel, da herrscht Otto (Clemens Schick), der Gründer und Chef der Kommune. Er an der Spitze; darunter ein hierarchisches System: Jeder muss sich seinen Platz in der Struktur verdienen. Zum Beispiel durch Gefügigkeit sexueller Art. Dadurch, dass man sich nicht verliebt hat. Dass man Verliebte anschwärzt. Zu Beginn stürzen wir mitten hinein in ein Kommunen-Fest, oder eine Kommunen-Performance, mit Ehrungen der lukrativsten Stadt-Kommunarden, mit Demütigung von einem, der sich verliebt hat, mit einem schmissigen Song über das Ficken. Die Kinder schauen zu, wohlgemerkt, machen fröhlich mit, und Otto selbst sagt auch ein paar salbungsvolle Worte.

Jeanne merkt langsam, dass die Welt, der sie ihre Art von Kindheit verdankte, für Erwachsene nicht fröhlich ist. Dass hier, abseits von allem Bürgerlichen, der bürgerliche Leistungsgedanke auf ganz andere Art gelebt wird. Dass sie als Teenagerin sich nicht verlieben darf. Dass Otto das Erstzugriffsrecht auf ihren Körper für sich beansprucht. Dass dieses Experiment einer freien Gesellschaft im Kern faschistisch ist.

Roth hat diesen Film gedreht nach den Erinnerungen von Jeanne Tremsal, selbst Schauspielerin und hier Drehbuchautorin; Tremsal spielt selbst mit, als Mutter von Jeanne, ihrem Alter Ego – die Geschichte hat einen wahren Kern, es geht um die berühmt-berüchtigte Kommune von Otto Mühl. Mühl war Künstler, Wiener Aktivismus, und hat die Kunst-Performance Anfang der 1970er ins Leben zurückgeholt, hat aus dem Geist der Zeit seine Kommune gegründet. Hat sich an die Spitze gesetzt, hat allen die Freiheit gelassen, das zu tun, was seine Regeln vorschreiben. Ende der 1980er spielt dieser Film, die Kommune ist am Ende, sie merkt es nur noch nicht.

Jeanne (Jana McKinnon) lebt hier, unter Kindern, auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, auf der Schwelle zur Sexualität – Mühls Gemeinschaft war als »Sex-Kommune« verschrien, was arg verkürzt ist, es ist vielmehr eine Machtstruktur im Kleinen, wo die Kontrolle nicht über Gewalt, sondern über Manipulation ausgeübt wird, über ständige Verfügbarkeit von Seelen und Körpern. Wo Freiheit ins Absolutistische sich wendet.
Die Hintergründe erklärt Jeanne im Voiceover-Kommentar, rückblickend – die Erinnerung von Jeanne Tremsal wird literarische Fiktion, wird filmische Authentizität; nicht im Sinn eines Doku-Spiels, sondern als Erleben einer Jugend.

Der Nachname »Mühl« wird nie genannt, es geht nicht um eine genaue und spezifische Aufarbeitung, sondern um eine Auseinandersetzung mit Ideen, Missbrauch, innerer Gewalt ohne äußerliche Brutalität. Die Erzählstimme reißt den Zuschauer auch immer wieder aus dem Film heraus, eine identifikatorische Einfindung wird auch durch gelegentliche erläuternde Zeichnungen im Filmbild verhindert. Roth setzt auf Brechtsche Mittel der (milden) Verfremdung; die emotionale Intensität, die möglich wäre, erreicht der Film dadurch nicht, das ist bewusst so gemacht, wäre aber auch ein interessantes Seherlebnis gewesen.

Otto Mühl war Künstler – Clemens Schick spielt ihn energisch, charismatisch, bedrohlich, verehrungswürdig (er ist viel jünger als der reale Otto Ende der 80er …). Einmal sitzt eine Persönlichkeit der SPÖ mit am Lagerfeuer, Karl – auch hier nur der Vorname, aber vielleicht ist es doch der Klarname?
Zwischen historischer Realität, Erinnerung, filmischem Erleben und Erläuterung der Umstände wandeln Roth und Tremsal ihren Film zum Ende hin zu einer Erzählung der Wunscherfüllung, von endgültiger Befreiung aus der so schrecklichen absoluten, verordneten Freiheit unter Ottos Gewalt, – Mühl selbst wurde schließlich verhaftet und verurteilt, unter anderem wegen Kindesmissbrauchs. Die realen Wunden in der Psyche der Überlebenden – beispielsweise von Jeanne Tremsal – heilen nicht.

Servus Papa, See You In Hell (2022)

Die 14-jährige Jeanne lebt in einer Kommune auf dem Bauernhof, seit sie zwei Jahre alt ist. Ihre Mutter und ihr Vater wohnen in Stadtkommunen und kommen nur selten zu Besuch. Dies ist eines der Gesetze, das Otto, der Herrscher der Kommune, so bestimmt: Kinder wachsen ohne Eltern auf. Jeanne kennt keine andere Welt, genießt ihr Leben in der Umgebung vieler anderer Kinder in der freien Natur – bis sie sich in den 16-jährigen Jean verliebt und ihr Kindheitsparadies Risse bekommt. Sie verstößt damit gegen Ottos oberstes Gesetz: „Sex ist erlaubt, aber Liebe verboten“. Jeanne rebelliert dagegen. (Quelle. Filmfest München 2022)

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Meinungen

georg · 03.12.2022

in der Rezension ist keine Erwähnung der therapeutischen Ausrichtung der Kommune - auch ein finanzielles Standbein - etliche Kommunard/Innen waren ausgebildet in humanistischen, körperorientierten alternativen Therapieformen, einige der Grundlagen des Therapieansatzes gingen auf Wilhelm Reich zurück, Gestalttherapiea von Fritz Pearls u.a. - von Otto Mühl zu einem Amalgam als "Kunstform" in der sogenannten Selbstdarstellung "aufgeführt" - ein allabendliches Therapie-Ritual auf großer Bühne mit Musik und Publikum - bin gespannt, ob dies im Film zum Ausdruck kommt....

Thomas Gitte · 08.07.2022

Nachdem ich nun alle Hintergrundinformationen umfassend bekommen habe, würde ich gern wissen, wie ich an die Information komme, wann und wo der der Film in die Kinos oder Mediatheken kommt.
Wer entscheidet , welcher Film in welcher Stadt gespielt wird ?
Danke