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Toby Meakins Spielfilmdebüt verschenkt viel Potential. Ein spannendes Konzept mit starkem Einstieg scheitert am dramaturgischen Tiefflug. Da hilft weder die Präsenz von Asa Butterfield, noch die Stimme von Robert Englund. Die starke Prämisse und eine Hand voll gelungener Szenen stimmen dennoch neugierig auf weitere Projekte des Regisseurs.

Choose or Die (2022)

Eine Filmkritik von Julian Stockinger

F*CK THE EIGHTIES?!

Anfang der 2000er überfluteten Filme über die dunklen Seiten der Digitalisierung die Genrelandschaft. Ob Geister, die durch das Internet ihren Weg in unsere Welt schafften, wie in Kiyoshi Kurosawas „Pulse“, oder Machtkämpfe um die Dominanz im animierten Online-Porno, wie in Olivier Assayas „Demonlover“: Die imaginierten Facetten dieses game changers namens Internet waren zahlreich. Höchste Zeit also den Spieß wieder umzudrehen und den Schrecken über analoge Kanäle zu verbreiten. Das oder ähnliches dürfte sich Spielfilmdebütant Toby Meakins gedacht haben, als er sich ans Drehbuch dieses Netflix Originals setzte.

Der Einstieg erinnert an einen Film, der noch kurz vor der Jahrtausendwende Kinoleinwände auf der ganzen Welt für sich beanspruchte. Grüne Schrift auf schwarzem Hintergrund in einem Röhrenbildschirm, die gruselig konkrete Sachen über die davorsitzende Person schreibt. Doch statt der Aufforderung- wie in Matrix -, einem weißen Kaninchen zu folgen, werden zwei Optionen vorgeschlagen, mit dem titelgebenden Beisatz choose or die. Als der Spieler Hal (Eddie Marsan) feststellt, dass er sich, um zu überleben, tatsächlich für eine von zwei wirklich grausigen Möglichkeiten entscheiden muss, so schnell schneidet dann auch seine Frau dem gemeinsamen Sohn in der Küche die Zunge ab. Das Spiel, das den Namen Curs>r trägt und über eine kleine Kassette ihr Unheil in die Welt bringt, gerät bald in die Hände von Kayla (Iola Evans). Auch ihr wird die Faszination für analoge Abspielgeräte, die sie mit ihrem Kumpel Isaac (Asa Butterfield) teilt, zum Verhängnis.

Es ist naheliegend, dass ein Horrorfilm im Zeitalter des Retrofetischismus, der eben diesen Trend augenzwinkernd thematisiert und gleicher Hand bedient, mit zahlreichen Referenzen aufwartet. Es werden nicht nur Erinnerungen an Matrix wach, die später im Film noch mal aufgerüttelt werden, wenn sich die Protagonistin zwischen einer roten oder einer blauen Tür entscheiden muss. Curs>r konfrontiert die Spielenden damit, unmenschliche Entscheidungen treffen zu müssen, tut das aber zusätzlich anhand ganz persönlicher Urängste der Opfer. Das und die Tatsache, dass Robert „Freddy Krueger“ Englund einen, wenn auch nur auditiven Auftritt im Film hat, bei dem er sich selbst spielt, lässt hie und da leichte Nightmare on Elm Street-Vibes aufkommen. Elemente des Saw-Franchises und eine ordentliche Portion Selbstreferenzialität sorgen schließlich für ein Konzept, das nicht uninteressant klingt und durchaus funktionieren könnte. Tut es in diesem Fall aber leider nur bedingt.

Der Wurm ist drin im dramaturgischen Verlauf, der hier eher einem dramaturgischen Tiefsturz gleicht. Denn beginnen tut der Film stark und lässt sogar kurz die Hoffnung aufkommen, dass man es mit einem Netflix Original zu tun hat, das qualitativ mal aus der Reihe tanzt. Weil radikal, weil bitterböse, weil gleichzeitig guter Humor und weil Liebe zum Genre. Wenn im Intro der Spieler „verschuldet“, dass die Mutter ihrem Sohn die Zunge abschneidet, oder wenn später Kayla im Restaurant die Kellnerin „zwingt“ zerbrochenes Glas zu essen, dann sind das durchaus unangenehme Szenen, die ans Terrorkino der frühen 2000er (Hostel, Wolf Creek) erinnern. Abgelöst werden die anfänglichen Schocksequenzen angenehmerweise von ironischen Verweisen auf den mittlerweile viel zu lang andauernden Retrofetischismus und den 80er-Nostalgie-Trend, den der Film selbst bedient. Das führt gegen Ende sogar zu einem witzigen Schlagabtausch über die 80er zwischen Kayla und Hale: FUCK THE EIGHTIES? Genau!

Neben kleinen Ausnahmen wie diesen werden die Erwartungen, die Choose or Die in den ersten dreißig Minuten aufbaut, nicht nur nicht erfüllt, es scheint sogar so, als würde es der Film gar nicht erst versuchen. Die Curs>r-Spielszenen werden von Level zu Level harmloser und die Unbedingtheit des Terrors sehr bald relativiert. Trotzdem untermalen aufdringliche Sounds, die aus dem Intro eines düsteren Dubstep-Songs stammen könnten, die Szenen. Das ist per se nichts Schlechtes, aber durch das Abnehmen des Schockgehalts wächst die gleichbleibend aggressive musikalische Untermalung zum nervtötendsten Element des Films heran. Musik, die uns mit jedem Bassschlag mitteilen will, wie verstörend all das, was wir gleich sehen werden, doch ist. Dabei wird damit lediglich das Fehlen der prophezeiten Radikalität untermauert. Besonders unnötig erscheint im letzten Drittel dann der Einsatz eines Erklärvideos, das die Frage aufwirft, wer sich beim Schauen dieses Films ernsthaft nach einer „logischen“ Erklärung gesehnt hat. It wasn’t me!

Letzten Endes handelt es sich also um ein erwartbares Netflix Original, das in der Erinnerung so schnell verblassen wird wie die meisten seiner gesichtslosen Nachbarn im Netflix-Krämerladen. Zumindest haben wir es aber mit einem verhältnismäßig kurzen Spielfilm zu tun, der sich trotz dramaturgischer Schwächen auch so anfühlt. Deswegen kann man den misslungenen Aspekten des Films mit einem zugeklebten Auge entgegentreten, sich über eine Handvoll gelungener Szenen freuen und abwarten, was der Regisseur, der sicher nicht talentbefreit ist, als Nächstes umsetzen wird.

Choose or Die (2022)

In der Hoffnung auf ein Preisgeld starten zwei Freunde ein mysteriöses Videospiel aus den 80er-Jahren und betreten eine surreale Welt des Terrors.

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Meinungen

Waldemar F · 20.04.2022

So etwas unnötiges. Schon lange nicht gesehen