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Daniel Rohers Dokumentarfilm über Alexei Nawalny gleicht eher einem investigativen Krimi als einem nüchternen Porträt und wirft noch einmal ein grelles Licht auf niemand Geringeren als den russischen Präsidenten Vladimir Putin – Nawalnys erbittertsten Gegenspieler.

Nawalny (2022)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Requiem für einen Überlebenden

Selten hat ein Film wohl besser gepasst als „Nawalny“ – auch wenn der Grund für das „gute Timing“ von Daniel Roher ein überaus trauriger und bedrückender ist. Und doch ist der gekonnt und spannend wie ein Politkrimi (was er in gewisser Weise auch ist) inszenierte Dokumentarfilm, der in diesem Jahr das DOK.fest München eröffnet, auch ein überaus hoffnungsvoller Film – weil er zeigt, wie weit manche Menschen für ihre (gute) Sache und den Widerstand gegen einen autokratischen Herrscher zu gehen bereit sind.

Wie weit, daraus macht auch der Filmemacher Daniel Roher gleich zu Beginn keinen Hehl: So stellt er Alexei Nawalny anfangs eine Frage, die auch Zeugnis ablegt von der Nähe, die zwischen dem Porträtierten und dem Regisseur mit der Zeit entstanden sein muss: „Wenn du getötet wirst, wenn es dazu kommt, welche Botschaft hinterlässt du dann dem russischen Volk?“, so hören wir ihn aus dem Off fragen. Der solchermaßen Angesprochene verdreht genervt die Augen und fragt zurück: „Machst du etwa einen Film für den Fall meines Todes?“, um dann schließlich doch die Frage zu beantworten. Verbunden allerdings mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass die Antwort sich nicht in diesem Film, dem Porträt eines Lebenden, sondern viel lieber in Film Nummer 2, dem Nachruf auf einen Verstorbenen, befinden möge. „Lass uns aus diesem Film einen Thriller machen“, schlägt Nawalny dann vor. „Und falls ich umgebracht werde, machen wir einen langweiligen Nachruf.“ Das ist natürlich ein äußerst kluges und dramaturgisch geschickt verwendetes Foreshadowing und ein traumhafter Einstieg in einen Film, der ganz gewiss ein spannender Thriller geworden ist und beinahe auch ein Nachruf geworden wäre. Nur eines ist der Film ganz gewiss nicht: langweilig.

Und das liegt sicher auch an Alexei Nawalny selbst. Denn der ist, wie Daniel Roher selbst bekennt, ein absoluter Meister im Umgang mit den Medien, die er geschickt für seine Zwecke zu nutzen weiß. Und so bekommt plötzlich diese erste Szene, bei der die beiden Männer über ein ernstes Thema, Nawalnys möglichen Tod, noch eine ganz andere Ebene, die sich als eminent wichtig für den ganzen Film und dessen zugrundeliegende Spannung erweisen wird: Nawalny zeigt sehr subtil auch das Ringen zweier Charaktere um die Vorherrschaft in einem Film, einen Kampf um die Macht der Bilder, der sich beide sehr bewusst sind. Zudem, so wird sich am Ende des Filmes zeigen, ist es kein Kampf, bei dem es ums Gewinnen eines Egos über das andere geht. Vielmehr gelingt es Roher und Nawalny, sich auf einen gemeinsamen Weg zu einigen, eine Geschichte und eine gemeinsame (Bild)Sprache, der man dieses Ringen nicht mehr anmerkt, weil es von einem anderen Ringen, dem um die Wahrheit, abgelöst wird.

Die eigentliche Geschichte, von der Nawalny erzählt, nimmt dann schnell Fahrt auf. Nach einer kurzen Exposition über Nawalnys Herkunft und politischen Werdegang zum (mittlerweile einzigen ernst zu nehmenden) Konkurrenten von Vladimir Putin rekapituliert der Film ebenfalls recht geschickt (weil hier der  Eindruck vermittelt wird, das Filmteam sei mit anwesend gewesen, was letztlich völlig irrelevant ist) die Ereignisse während Nawalnys Reise nach Tomsk und dem dort erfolgten Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok, den Nawalny nur mit viel Glück überlebte, weil er über verschlungene Wege nach Deutschland zur medizinischen Behandlung gebracht wurde. Was dort dann passiert, ist so unglaublich, dass man sich inmitten eines hochspannenden, aber völlig ausgedachten Agententhrillers glaubt – und doch hat es sich genauso zugetragen: Mittels eines gemeinsamen Bekannten kommen Nawalny und sein Team, allesamt ausgebuffte Medienprofis, in Kontakt mit dem bulgarischen Journalisten Christo Grozev, der für das investigative Recherechenetzwerk Bellingcat abreitet und der sich auf staatlich initiierte Vergiftungsfälle spezialisiert hat. Mit dessen Hilfe und über zahlreiche Umwege gelingt es der Gruppe schließlich nicht nur, die Täter ausfindig zu machen, sondern einen von ihnen am Telefon dazu zu bringen, die Tat mit allen politischen Implikationen einzugestehen und dies schließlich auch an die Öffentlichkeit zu bringen. Eine Rechercheleistung, von der man sich freilich fragt, warum sie so schnell bereits wieder in Vergessenheit geraten ist.

Doch es gibt noch einen zweiten Erzählstrang oder eine zweite Frage, der der Film ebenfalls auf den Grund zu gehen versucht. Und die ist nicht minder spannend, aber viel schwieriger eindeutig zu beantworten: Wird Alexei Nawalny nach seiner Gesundung wieder nach Russland zurückkehren. Wohl wissend, dass ihn dort mit ziemlicher Sicherheit eine langjährige Gefängnisstrafe erwartet? Und wenn ja, woran kaum ein Zweifel besteht, warum tut dieser Mann sich das an?

Neben all dem, und das ist das eigentlich Erstaunliche, kommt der Film aber auch Alexei Nawalny sehr nahe, vermittelt viel von seinem unbestreitbaren Charisma, gibt Einblicke in eine Ehe und ein Familienleben, in dem es das Normalste von der Welt ist, dass Nawalnys Tochter lapidar feststellt, dass ihr Vater nicht bei einer Schulfeier dabei sein konnte, weil er mal wieder im Gefängnis gewesen sei. Man spürt seine Begeisterungsfähigkeit, sieht sein Talent im Umgang mit seinem Team, hört durchaus auch kritische Nachfragen auf seine anfänglichen politischen „Flirtversuche“ mit nationalistischen Kräften und beginnt zu verstehe, warum Vladimir Putin diesen Mann so sehr hasst: Er ist ein großes Talent und vielleicht eine der wenigen Hoffnungen auf eine Zeit nach dem Ende der Ära Putin. Sofern dieser Film sich nicht doch im Nachhinein als Requiem auf einen unbequemen Mann im Kampf gegen einen totalitären Staat herausstellen sollte. Jedenfalls sollte man diesen Film nicht verpassen. Und sei es nur deshalb, um nicht ganz die Hoffnung auf ein gutes Ende zu verlieren.

Nawalny (2022)

Der Film begleitet den bedeutendsten russischen Oppositionellen und Putin-Gegner Alexei Nawalny von dem Attentat des russischen Geheimdienstes bis zu seiner Rückkehr nach Moskau und seiner Inhaftierung. NAWALNY beginnt mit geheimen Aufnahmen in dem Flugzeug, in dem Alexei Nawalny mit dem russischen Nervengift Nowitschok ermordet werden sollte. Die Zuschauer.innen sind dann hautnah dabei, als seine Frau im russischen Krankenhaus um sein Leben kämpft; als Nawalny in der Berliner Charité gerettet wird und im Schwarzwald wieder zu Kräften kommt. Der dortige Aufenthalt steht im Zentrum des Films. Zusammen mit seiner Familie, seinem Team und dem bulgarischen Journalisten Christo Grozev gelang es Nawalny hier, den Mordanschlag gegen ihn aufzudecken. 

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Meinungen

Christian · 06.05.2022

Ein äußerst beeindruckender Film, auch wenn er leider sehr oder vielleicht sogar zu spät veröffentlicht wird. Leider ist in Russland auch die Begeisterung für Navalny abgeflaut, weil er nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern - gezwungenermaßen - "in der Versenkung" - sprich Gefängnis/Lager - verschwunden ist. Man kann nur hoffen und ihm wünschen, dass er diese schwere Zeit einigermaßen gut überlebt und nochmals politisch aktiv werden kann/darf und nicht endet wie Boris Nemzow! So lange Putin an der Macht ist, wird er sicherlich nicht mehr politisch aktiv sein dürfen. Erschreckend ist am Ende des Films, wie Navalny äußerlich stark verändert und geschwächt aussieht.

H. Kaufmann · 05.05.2022

Nawalny 'vergiftet
Innerhalb 24 Stundeb Verbindung mit kompetenten Entscheidern in Deutschland aufgenommen.Langstrecken-Sani-Flugzeug in Nürnberg - steht nicht gerade um die Ecke - aufgerüstet, Finanzierung geklärt, Fernflug-Doppel-Crew zusammengestellt, Ärzteteam an Bord plaziert, überfluggenehmigungen beschafft, von Putin angeblich Ausreisegenehmigung eingeholt. Und das alles in knapp 24 h.
Wie drückte sich Shakespeare über seinen Protagonisten aus: Es ist etwas faul...