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Ein Schriftsteller leidet an einer Schreibblockade, weil er unter Druck steht, den Erfolg seines ersten Romans zu wiederholen. Da kommt die Ablenkung in Form einer jungen attraktiven Frau genau richtig. Doch die Muse verfolgt einen zerstörerischen Plan. 

Eiskalter Engel (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Lügen haben kurze Beine

Imposant, schon fast etwas einschüchternd wirkt das Familienanwesen der Bellmer. Nach dem Tod des Patriarchen, eines erfolgreichen Verlagsbesitzers, ziehen Marcel (Benoît Poelvoorde) und seine Frau Jeanne (Mélanie Doutey) mit ihrer Tochter Lucie (Janaina Halloy) dort ein. Jeanne hat den Verlag geerbt, Marcel ist Schriftsteller. Doch nach seinem ersten Erfolgsroman „Inexorable“, der ihn damals seine Frau für sich gewinnen liess, ist er von einer Schreibblockade betroffen. Er verlegt sein Büro ins ehemalige Arbeitszimmer des Schwiegervaters. Das, mit dunklen, schweren Möbeln eingerichtet und eine große Bibliothek enthaltend, bringt ihm nicht die gewünschte Inspiration, sondern setzt ihn nur noch mehr unter Druck. 

Der neue Thriller Inexorable des belgischen Regisseurs Fabrice Du Welz beschäftigt sich unter anderem genau mit der Natur des kreativen Prozesses. Er relativiert dabei mit dem Mythos des Künstler-Genies, dem eine originelle Idee nach der anderen zufliegt. Poelvoorde spielt einen unsicheren Charakter, der angesichts des familiären Hintergrunds seiner Ehefrau an Minderwertigkeitskomplexen leidet. Leicht geduckt und sich immer wieder umsehend, als könnten die Wände des riesigen Hauses auf ihn zukommen und ihn erdrücken oder vielleicht hinausjagen, bewegt er sich durch die Räume und Gänge. Das Haus wird mit seinem antiquierten Charme in der Geschichte zur weiteren Hauptfigur. Darin spielt sich fast die Gesamtheit der Handlung ab. 

In die Familie erschleicht sich auch Gloria (Alba Gaïa Bellugi) einen Platz. Die junge Frau gibt sich schutzbedürftig, was Jeannes Mitleid weckt, und erklärt sich gleichzeitig als großer Fan von Marcels Roman, was diesem wiederum schmeichelt. Geschickt holt Gloria sich auch die Tochter der beiden auf ihre Seite, doch es wird genau diese sein, die als erstes Verdacht schöpft. Im Gegensatz zu ihren Eltern ist sie nicht von ihren eigenen Eitelkeiten geblendet. Auf jeden Fall bringt Gloria – dieser Name übt offenbar eine gewisse Faszination auf Du Welz aus, da mehrere Heldinnen seiner Filme so heißen – das bereits prekäre Familiengleichgewicht endgültig zum Schwanken. 

Wie ein Geist, ein böser Geist, taucht Gloria aus dem Nichts aus – oder besser gesagt aus Marcels Vergangenheit. Ihre Macht liegt in ihrem Wissen. Sie weiß, dass Marcels Leben und Identität auf einer Serie von Lügen basiert. Es sind ganz konkrete Lügen, die Marcels Arbeit, aber auch diffuse Lügen, die sein Verhältnis zu seiner Frau betreffen, letzteres beschönigen, zurechtlegen. Glorias Ziel ist, dieses fragile Konstrukt aus Unwahrheit und Unausgesprochenem in sich zusammenfallen zu lassen. Doch zuerst sorgt sie dafür, dass es zu noch mehr, neuen Lügen kommt, indem sie Marcel in eine Liebesbeziehung mit ihr verwickelt – bis ihm das Wasser bis zum Hals steht. 

Glorias Absichten sind für den Zuschauer sehr schnell klar. Was den Film trotzdem spannend macht, ist die Ausarbeitung der Charaktere und ihre Interaktion. In diesem erotischen Thriller gibt es keine Figuren, die man besonders sympathisch findet, so richtig Mitleid hat man nicht für sie – außer vielleicht für das Kind. Die Stärke von Inexorable liegt einerseits in der souveränen formalen Umsetzung, die von einer gewissen Detailverliebtheit zeugt. Marcels gedrückte Stimmung verdeutlicht der Film durch eine fast monochrome Farbpalette aus Brauntönen, einer stellenweise klaustrophobischen Bildfindung und einer suggestiven Filmmusik. Das sind alles künstlerische Eigenheiten, die an Werke des Film noir erinnern. In Bezug auf den Gehalt der Geschichte überzeugt der Verzicht auf einen moralisierenden Tonfall, die Schwäche allerdings liegt im Mangel jeglicher Spur von Ironie. 

Vielleicht irritiert letzteres oder fällt deswegen besonders auf, weil die Hauptrolle mit Benoît Poelvoorde besetzt ist. So unbestritten charismatisch der belgische Schauspieler sein kann und in der Vergangenheit einige schon legendäre filmische Charaktere verkörpern konnte, hier wirkt er nicht recht. Anders so Alba Gaïa Bellugi als Gloria, die in sich eine jugendliche Verletzlichkeit mit einer teuflischen Berechenbarkeit vereint. 

Eiskalter Engel (2021)

Das Leben einer wohlhabenden Verlegerin und ihres Ehemanns, eines Schriftstellers, wird durch die Ankunft einer geheimnisvollen jungen Frau in ihrem Landhaus verändert.

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