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Wer sich einen Alltag in klimatisierten, mit Luftreinigern ausgestatteten Räumen nicht leisten kann, ist in Indiens Hauptstadt Delhi arm dran. Die Luftverschmutzung und der Klimawandel gefährden an vielen Tagen die Gesundheit aller, die sich vorübergehend oder gar länger im Freien aufhalten müssen.

Invisible Demons (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Delhis toxische, heiße Luft

Mit Hitzewellen und extremer Trockenheit hat der Klimawandel 2022 auch in Deutschland vielen Leuten die Freude am Sommer vergällt. Die Bilder vom Niedrigwasser im Rhein und anderen europäischen Flüssen, die Tage, an denen es mancherorts 40 Grad heiß wurde, haben gezeigt, dass die Lage längst nicht mehr nur in fernen Ländern ernst ist. Davon, wie sich der Klimawandel beispielsweise auf das Leben der Menschen in Indien auswirkt, fühlt man sich hierzulande ja meistens nicht sonderlich betroffen. Um das zu ändern, schickt sich der auf dem Filmfestival in Cannes gelaufene Dokumentarfilm von Rahul Jain an, der die Situation in Indiens Hauptstadt Delhi, einer Metropolregion mit einer Bevölkerung von 30 Millionen Menschen, vor Augen führt.

Dort können die Temperaturen im Sommer auf 49 Grad Celsius ansteigen und die Hitzewellen dauern nicht wenige Tage, sondern Wochen. Hinzu kommt eine massive Luftverschmutzung mit Smogwerten, die den Aufenthalt im Freien gesundheitsschädigend werden lassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Klimaanlage und Luftreiniger zu leben“, resümiert Jain, der in Delhi seine Kindheit  – nahezu ausschließlich in geschlossenen Räumen – verbrachte.

Nun hat sich Jain, der mit dem Dokumentarfilm Machines über eine indische Textilfabrik 2017 sein Regiedebüt vorlegte, für seinen zweiten Film in Delhi vor die Tür gewagt. Nach Jahren in den USA ist sein Blick auf die indische Metropole neugierig und kritisch. Manchmal spricht aus den Aufnahmen auch so etwas wie Schmerz über das Ausmaß der Umweltzerstörung, das die Stadt zur Gefahr für ihre Bewohner und Bewohnerinnen werden ließ. Oft trübt eine dicke Smogglocke die Sicht und die TV-Nachrichten warnen davor, die Häuser zu verlassen. Auf dem Fluss Yamuna, in dem früher die Pilger ihre rituellen Waschungen vollzogen, schwimmen dicke Schaumteppiche. Es gebe inzwischen über 30 Abwasserkanäle, sagt ein Fährmann, der in seinem Boot oft vergeblich auf Kundschaft wartet. Und Jain fragt als Voice-Over-Erzähler, wer hier eigentlich vom rasanten Wirtschaftswachstum Indiens profitiert. Die vielen Kinder mit geschädigten Lungen, die in Delhi leben müssen, sicher nicht. Die schockierenden Aufnahmen der Lebensrealität in der Stadt legen die Antwort nahe, dass die Menschen für die gestiegene Wirtschaftskraft des Landes einen zu hohen Preis zahlen.

Die Stimmen, die Jain auf den Straßen einfängt, sind sich der Probleme durchaus bewusst: Schülerinnen, Rikscha- und Taxifahrer sprechen über die menschengemachte Katastrophe, tadeln die Politik als untätig oder überfordert. Immer noch verbrennen Bauern in großem Stil das Stroh auf den Feldern rund um die Stadt. Der Staub mit seinen Partikeln, die manchmal wie winzige Giftpfeile im Bild sichtbar gemacht werden, nährt sich auch von den täglichen Staus auf den großen Straßen der Stadt. Und weil nicht nur die Hitzewellen häufiger und länger werden, sondern auch die Monsunregen heftiger und damit häufiger für Überflutungen sorgen, wird die Mückenplage mit Insektiziden bekämpft. Jain filmt Männer, die mit ihren Sprühmaschinen ganze Straßenzüge in weiße Wolken hüllen.

Der Film verzichtet auf Texteinblendungen, aber nicht auf Fakten, Statistiken, Messergebnisse, welche die katastrophale Lage belegen. Für diese harten Informationen verwendet werden immer wieder Ausschnitte aus der Wettersendung eines örtlichen Fernsehsenders verwendet, in der Smogwerte gemeldet werden und deren Sprecherin sich für Interviews auch mal unter die Leute auf den Straßen mischt, die die giftige Luft einatmen. Von ihr erfährt man auch, dass die Luftverschmutzung mittlerweile zehn Prozent aller Todesfälle in Indien verursacht.

Am meisten haben die ärmeren Schichten Delhis unter der Hitze und dem Smog zu leiden, weil sie als Obdachlose draußen schlafen müssen oder weil sie, beispielsweise als Rikschafahrer, im Freien arbeiten. Jain filmt die Menschen in den engen Gassen, in einem fahrenden Zug bei geöffneten Fenstern. Der Fahrtwind, der die Haare wehen lässt, ist für viele Passagiere offenbar eine Wohltat, sie schließen entspannt ihre Augen. Der Film nimmt auch die Müllsammler auf den großen Deponien der Stadt ins Visier und vermerkt sarkastisch, dass die Müllberge die höchsten Punkte der Stadt ausmachten. In vielen Szenen sorgen der Schmutz, die trübe, vergiftete Luft für drastische Eindrücke. 

So entfaltet die sinnliche Nähe zur Realität eine starke und nachhaltige Wirkung. Dass die Menschheit ihre Lebensgrundlagen selbst vernichtet, erscheint nicht länger als abstrakte Behauptung. In Delhi zeigen sich die Umweltsünden, von denen kaum ein industrialisiertes Land frei ist, lediglich in besonders geballter Form. Steuert die Menschheit auf ein Leben in klimatisierten Innenräumen hin, während draußen apokalyptische Zustände herrschen? Jains Film rüttelt auf, weckt Empathie für die Bewohner Delhis und stimmt traurig, weil die selbstzerstörerische Fahrlässigkeit im Umgang mit der Natur die Wirklichkeit bereits so gründlich prägt.

 

Invisible Demons (2021)

Delhi ist die Hauptstadt Indiens. Bei fast 20 Millionen Einwohnern ein Moloch verfügt die Stadt über die öffentliche Infrastruktur einer europäischen Kleinstadt. Umso größer, in Maßen nicht mehr zu fassen sind die Umweltverschmutzung und die Folgen des Klimawandels, mit denen die Bewohnerinnen und Bewohner von Delhi zu kämpfen haben. Für viele ist ein Kampf um die Luft zum Atmen, um nicht ganz dreckiges Wasser, um einen Ort für die bloße Existenz. Ihnen gegenüber steht die AC-Gesellschaft, die Besitzer von Klimaanlagen (Air Condition), deren größte Sorge sein mag, daß die Strompreise steigen, Rahul Jain, der Autor dieses Films, ist auch ein „AC-Kind“. Er fängt die dramatischen Folgen von Indiens wachsender Wirtschaft in atemberaubenden Bildern ein. Er zeigt dabei nicht nur eine Stadt in der Krise, sondern schärft auch unseren Blick auf den Klimawandel.

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