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In ihrem dokumentarischen Porträt „Igor Levit. No Fear.“ widmet sich Regina Schilling mit bemerkenswerter Beobachtungsgabe der Musik und dem Aktivismus des titelgebenden Pianisten.

Igor Levit. No Fear. (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der furchtlose Spieler

„Geht das?“ Mit diesen passenden Worten beginnt der Dokumentarfilm „Igor Levit. No Fear.“ von Regina Schilling. Bezogen sind sie in diesem Moment, im Mai 2019, auf den Transport eines Flügels über die Treppe in Levits Berliner Wohnung. Doch sie würden sich vielleicht auch ganz grundsätzlich als Lebensmotto des 1987 in Gorki geborenen Pianisten eignen.

Levits Eltern siedelten Mitte der 1990er Jahre als jüdische Kontingentflüchtlinge von Russland nach Hannover über. Nach seinem Studium und diversen Konzertstationen erhielt Levit 2013 einen Plattenvertrag bei Sony Classical. Darüber hinaus dürfte Levit vielen als politischer Aktivist ein Begriff sein. Schilling bringt diese beiden Ebenen in ihrem Werk stimmig zusammen, indem sie sowohl Levits Spiel als auch dessen Aktivitäten in den sozialen Medien den nötigen Raum gibt.

Mal postet Levit bewusst alberne Scherze, mal postet er klare politische Statements gegen Antisemitismus und gegen die Ausgrenzung von Geflüchteten – und mal verbirgt sich auch hinter einem vermeintlich scherzhaften Post ein Kommentar zum gesellschaftlichen Klima. Der Film integriert Levits Twitter- und Instagram-Engagement fließend in die Beobachtungen von dessen (Arbeits-)Alltag. Wir sind vor der Tür dabei, ehe Levit einen Konzertsaal betritt – und sehen, wie er den Saal danach wieder verlässt beziehungsweise noch einmal zurückkehrt, da der Applaus nicht aufhört. Ebenso dürfen wir miterleben, wie der Musiker mit dem Produzenten und Tonmeister Andreas Neubronner eng und voller beidseitigem Respekt an Aufnahmen arbeitet – auch dann, wenn es gerade mal nicht so gut zu laufen scheint und Levit am Ende wie erschossen auf dem Boden des Aufnahmeraums liegt.

Igor Levit. No Fear. kommt ohne klassische Talking Heads aus. Niemand muss uns hier die künstlerische Bedeutung Levits erklären. Auch müssen uns keine Erzählstimme oder Texttafeln über Levits Biografie informieren. Indem Schilling und ihr Kamerateam bei Interviews in Berlin dabei sind, erfahren wir en passant vieles über ihn. Anderes teilt sich völlig von selbst durch den genauen Blick des Films mit. Wenn Levit anfängt zu spielen, etwa bei einem Konzert zum Release seines neuen Albums, wird dies nicht nur fragmentarisch, sondern erfreulich umfassend eingefangen. Levit bezeichnet die Kompositionen Beethovens an einer Stelle als „furchtlose Musik“ – und auch sein eigenes Spiel lässt diese Furchtlosigkeit in jedem Moment erkennen.

Ferner handelt es sich hier um ein spannendes Zeitdokument. Als das Jahr 2020 anfängt, geht es Levit nach eigener Aussage nur darum, die kommenden zwölf Monate zu überstehen. Er habe „sehr, sehr viel zu spielen“; 108 Konzerte seien geplant. Während einer Taxifahrt versucht er zum Ausdruck zu bringen, wie unwohl er sich gerade fühlt. In schnellen, rhythmischen Schnitten erfasst der Film den Stress, den ein solches Tournee-Leben mit sich bringt. In radikaler Ehrlichkeit schildert der Pianist, wie er nach einem Konzert im Hotelzimmer immer wieder in eine bodenlose Verunsicherung stürze.

Dann macht sich im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie im Land bemerkbar – und mit einem Schlag werden etliche gebuchte Konzerte abgesagt. Levit zählt in dieser Phase zu den ersten Leuten, die in Anbetracht der zahlreichen Einschränkungen kreativ werden. Er gibt insgesamt 52 streambare Hauskonzerte – und nutzt dabei die maximale künstlerische Unabhängigkeit, um sich vom Leistungsdruck zu lösen. Am Ende von Igor Levit. No Fear. sehen wir, wie Levit ein Konzert für Umweltaktivist:innen im Dannenröder Wald spielt. Er ist ganz bei sich, ohne Furcht.

Igor Levit. No Fear. (2021)

Mit 34 Jahren ist Igor Levit ein Ausnahmekünstler in der Welt der klassischen Musik. Ein junger Rebell, der sich — am Klavier — in einen reifen Musiker, eine alte Seele verwandelt. Mit acht Jahren kam er als jüdischer Einwanderer russischer Abstammung nach Deutschland und hat sich seitdem immer wieder zu Wort gemeldet. Sich politisch öffentlich zu äußern, ist für ihn keine Wahl, sondern eine Überlebensstrategie, die er in seinem Leben und in seiner Musik verfolgt. Igor Levit: No Fear! begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“, bei der Suche nach seiner nächsten Herausforderung, seiner Identität als Künstler. Wir beobachten Levit bei der Aufnahme neuer Stücke, seinem intensiven Eintauchen in die Musik, seiner Zusammenarbeit mit Dirigenten, Orchestern und Künstlern, seiner Hinwendung zum Publikum. (Quelle: zero one film GmbH)

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