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Wie kommt man an frische Milch oder ein Brot, wenn der letzte Laden im Dorf zugemacht und man selbst kein Auto hat? Der Dokumentarfilm von Antje Hubert portraitiert Menschen, die nach Lösungen suchen und Lücken füllen, um die Menschen in den Dörfern mit dem Nötigsten zu versorgen. 

Alles, was man braucht (2021)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Lösungen für eine lebenswerte Zukunft

Wenn die jungen Menschen in die Städte gehen und die Dörfer langsam aussterben, dann tun das auch Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien und Gasthäuser in diesen Ortschaften. Trotzdem wohnen dort noch immer Menschen, die essen, trinken, sich versorgen müssen – meist die älteren, die nicht mehr oder noch nie Auto gefahren sind. Für sie wird der tägliche Bedarf von einem Tag auf den nächsten zu einer großen Herausforderung. Und von ihnen erzählt der Film von Antje Hubert: „Alles, was man braucht“. Mehr aber noch von den Lösungen und Angeboten, wie man das Leben der Menschen in den kleinen Orten organisieren kann.

Antje Hubert ist zusammen mit Kameramann Henning Brümmer zwei Jahre lang durch den Osten von Norddeutschland gefahren, hat mit den Menschen vor Ort gesprochen und diejenigen aufgesucht, die mit viel Engagement Dorfläden führen, Lieferservices aufbauen oder einen Lebensmittelautomaten bestücken. Immer geht es ihnen darum, die Bürgerinnen und Bürger im Ort mit dem Nötigsten zu versorgen, ihnen einen leichten Zugang zu den Grundnahrungsmitteln zu verschaffen, aber auch Möglichkeiten der menschlichen Nähe, des Austausches und der Gemeinschaft anzubieten. Denn das ist es auch, was nun in den kleinen Dörfern fehlt: ein Zentrum, ein Platz, um einander zu treffen.

Die Gedanken um Gemeinschaft treiben alle um. Tobias Till Keye von der Höfegemeinschaft Vorpommern sagt es immer wieder: In Rothenklempenow sei die Landwirtschaft der Mittelpunkt des Dorfes gewesen. In der Landwirtschaft hätte der Großteil der Menschen gearbeitet, in der Genossenschaft habe man sich getroffen, sich ausgetauscht, Gemeinschaft gelebt. Wenn solche zentralen Orte fehlen, fehle auch das Miteinander. Das will er den Menschen in Rothenklempenow mit seinem Hofladen, mit der ökologischen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion der Höfegemeinschaft Vorpommern zurückgeben. Und so nimmt er sich Zeit für seine Kunden, berät und informiert sie, besucht sie auch zu Hause.

Ähnliche Gedanken macht sich Bürgermeister Ralf Tiessen von Christiansholm in Schleswig-Holstein. Einen Dorf- oder Hofladen kann er nicht anbieten, aber er baut zumindest einen regionalen Lebensmittelautomaten in den Ort, der die Rolle des dörflichen Treffpunkts übernehmen soll. Neben dem Lebensmittelgerät gibt es Regale mit Büchern zum Tausch, eine Pinnwand und Tafel mit den Öffnungszeiten der Märkte in nächster Umgebung. „Das Dorf braucht einen Treffpunkt, um es am Leben zu halten“, sagt Ralf Tiessen, „denn, wenn es gar keinen Treffpunkt mehr gibt in einer Gemeinde, dann ist so ein Dorf verloren.“

Auf ihrer Reise durch die norddeutschen Dörfer trifft das Filmteam auf viele Themen, die aber immer den gleichen Kern haben: weg vom reinen Konsum, hin zum menschlichen Miteinander, zur gemeinsamen Tasse Kaffee auf der Bank vor dem Dorfladen, dem Stück Kuchen im Café nebenan. Es sind nicht nur die Lebensmittel, die den Menschen fehlen, wenn das Lebensmittelgeschäft schließt, sondern auch die Gespräche, das Aufeinandertreffen, das Sich-Kümmern und Sorgen.

Durch die neuen Projekte geschieht aber wieder genau das: dass sich Menschen kümmern – wie auch Andreas Borchers, der die Bewohnerinnen und Bewohner der Halligen regelmäßig mit Lebensmittel versorgt, oder Tommy Dietz, der immer wieder für das ganze Dorf am Abend kocht. Mit 55 Jahren hat er noch mal neu angefangen und die Marktleitung des „Tante Hanna“-Ladens in Müden in der Lüneburger Heide übernommen – ein Nahkauf-Geschäft, das von einer GmbH mit über 500 stillen Teilhabern aus dem Dorf betrieben wird. In Müden haben sich die Bürgerinnen und Bürger selbst gekümmert, sich gefragt, was sie brauchen, und dann haben sie es umgesetzt.

Alles, was man braucht stellt beeindruckende Projekte vor, zeigt die Leidenschaft der Menschen, die mitmachen, ihren Idealismus, aber auch ihren Frust, weil sie wissen, dass sich ihr Engagement nicht durchsetzen wird. Das aber ist das Verdienst des Films: dass er dieses Engagement sichtbar macht, dass er zeigt, wie es gehen kann und wie ein besseres Leben für alle möglich wäre.

Leider hält der Film aber nicht ganz, was er im Titel verspricht. Das Thema des Sich-Zurücknehmens wird im Film von einigen Protagonisten nur angeschnitten, nicht aber ausgeführt oder zugespitzt. Die Discounter und großen Supermarktketten, die die kleinen Läden und damit die Dorfmittelpunkte vertreiben, werden erwähnt, von außen, aber nicht von innen und in ihrer ganzen Dimension mit all ihren Konsequenzen gezeigt. Den Überfluss, den sie produzieren, kann man als Zuschauer mitdenken, er wird aber nicht explizit genug gemacht.

Hier hätte der Film deutlicher werden, uns noch stärker den Spiegel vorhalten können. Denn letztendlich ist es ja das, worum es geht: dass wir die wöchentlichen Angebote der Discounter eigentlich nicht brauchen, dass wir unsere Wohnungen und Häuser zumüllen mit Dingen, die wir nicht verwenden. Die Filmemacher hätten sich mehr trauen und wagen können zu sagen, wie wenig wir eigentlich für ein gutes Leben wirklich bräuchten.

Alles, was man braucht (2021)

Was und wieviel brauchen wir für ein gutes Leben? Nicht viel, meint Knut Thomsen aus Dithmarschen. Etwas zum Essen, zum Trinken, und die Freiheit, sich Zeit zu nehmen für das, was man gerade tut. Seine Frau Berit und er haben zusammen einen Dorfladen aufgemacht — ein 40qm großes, lebensfrohes Universum aus regionalem Gemüse, sorgfältig arrangierten Regalen, Klönschnack und Zusammenhalt. Und eine Insel in einem Meer aus Discountern, die die kleinen Läden auf dem Land schon lange verdrängt haben. (Quelle: Verleih)

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Meinungen

Ursula Kehres · 07.05.2022

Habt ihr das nächste Woche auch noch im Programm?