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Sein Protest gegen Rassismus kostete Colin Kaepernick den Job. Wie der US-Footballspieler schon als Jugendlicher zum Aktivisten wurde, zeigt eine von Ava DuVernay produzierte Netflix-Serie – auch wenn Kaepernick sich dessen damals noch gar nicht bewusst war.

Colin in Black & White (Miniserie, 2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Auf dem Weg zum Quarterback

Der Footballstar Colin Kaepernick ist auch außerhalb der Sportwelt ein Begriff. Sein Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt machte weltweit Schlagzeilen und kostete den 1987 geborenen Quarterback der San Francisco 49ers seinen Job. Weil er sich weigerte, während der Nationalhymne, die vor jeder Partie gesungen wird, aufzustehen beziehungsweise dazu auf ein Knie ging, wurde er 2017 entlassen. Seither hat er kein neues Team gefunden. Dass Kaepernick vor seiner Laufbahn als Footballprofi ein ebenso talentierter Basketball- und Baseballspieler war, ist hingegen den wenigsten geläufig. Eine Netflix-Miniserie blickt auf seine Jugend und auf das, was ihn formte.

Wie bei jedem Teenager formt auch den jungen Colin (Jaden Michael) ein ausgewogener Mix aus Elternhaus, Schule und Freunden, aus Hobbys, Vorlieben und Vorbildern. Von seinen Adoptiveltern Rick (Nick Offerman) und Teresa (Mary-Louise Parker) hat der Musterschüler ein tadelloses Benehmen, ein großes Herz und diesen für die USA so typischen, unbändigen Optimismus mitbekommen, für den man die Amerikaner wahlweise belächeln oder bewundern kann. Doch als Schwarzes Kind in einem Weißen Haushalt fehlt Colin irgendetwas, das er in jungen Jahren noch nicht benennen kann. 

Diesen Mangel gleicht Colin über die unterschiedlichsten Kanäle aus. Jede Episode beleuchtet einen anderen Aspekt Schwarzen Lebens und Schwarzer Kultur, während die Handlung die Hauptfigur auf ihrem Weg durch die Highschool begleitet. Mal geht es um Haare und Frisuren, mal um Klamotten und Musik, mal ums Essen, mal um Schönheitsideale. Schlicht und einfach um all das, was jeden Teenager beschäftigt, mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass bei einem Schwarzen Teenager wie Colin auch immer Diskriminierung und Rassismus eine Rolle spielen. 

Einmal lässt sich Colin eine Frisur wie sein Idol Allen Iverson verpassen, was weder bei seinen Eltern noch bei seinen Trainern gut ankommt. Mit den Cornrows, einer beim Basketballstar Iverson abgeguckten, aus Afrika stammenden Flechtfrisur, sehe Colin aus wie ein „thug“, wie ein Verbrecher, sagt seine Mutter beim gemeinsamen Abendbrot. Das lässt tief blicken. Selbst Eltern eines Schwarzen Kindes sind vor Rassismen nicht gefeit. Schwarze Kultur ist nur dann gestattet, wenn sie heruntergedimmt wird, wenn sie brav und an die (Weiße) Gesellschaft angepasst daherkommt. Einem Michael Jordan kann auch ein Weißes Publikum zujubeln, an einem Allen Iverson nimmt es Anstoß. 

Diskussionen wie diese, für die der echte Colin Kaepernick die Spielhandlung unterbricht und Bezüge zur US-amerikanischen Historie und Gegenwart herstellt, mögen einigen übertrieben erscheinen. Immerhin wuchs Kaepernick in privilegierten Verhältnissen auf. Als Adoptivsohn zweier Eltern aus der Weißen Mittelschicht fehlte es ihm an nichts. Seine Jugend in den 1990ern war nicht die der Boyz n the Hood (1991). Und trotzdem wurde er allein aufgrund seiner äußeren Erscheinung – ein über 1,90 Meter großer, Schwarzer Jugendlicher – von vielen Weißen als Menace II Society (1993), als Bedrohung (für die Gesellschaft) wahrgenommen, wie die dritte von sechs Episoden dieser Miniserie eindrucksvoll vor Augen führt. Colins Eltern indes, von Nick Offerman und der unter ihrer blonden Perücke kaum wiederzuerkennenden Mary-Louise Parker wunderbar warmherzig, witzig und bodenständig gespielt, wollen diesen unterschwelligen und teils systemischen Rassismus in all ihrer Herzensgüte partout nicht wahrhaben.

Der Clou an dieser von Kaepernick und Ava DuVernay (Selma, When They See Us) produzierten Miniserie ist ihre Erzählweise. Denn der echte Colin Kaepernick sieht seinem, von Jaden Michael mit Bravour gespieltem jüngeren Ich beim Erwachsenwerden zu. Der seit vier Jahren arbeitslose Quarterback führt als Erzähler durch die Serie und nimmt dafür in einem Kubus Platz, der einem Museumsraum für moderne Kunst ähnelt. Von dort schaut er durch ein großes Fenster auf die Handlung und unterbricht sie bei Gelegenheit für einen kleinen Exkurs.

Das Schöne an Colin in Black & White ist, dass diese Miniserie aber auch abseits dieses aufklärerischen Programms der politischen Bildung ganz klassisch als Coming-of-Age-Story funktioniert – nicht zuletzt, aber eben auch, weil sich Colin Kaepernick seiner Privilegien jederzeit bewusst ist. Diese Miniserie hätte Kaepernick schnell als larmoyantes Meckern auf ganz hohem Niveau ausgelegt werden können. Stattdessen sensibilisiert sie für strukturelle Probleme, Mikroaggressionen und Vorurteile, derer sich viele Menschen überhaupt nicht bewusst sein dürften. Co-Produzentin Ava DuVernay war in ihrem Dokumentarfilm Der 13. (2016) über das US-Gefängnissystem bereits ganz ähnlich verfahren.

Das Schöne an der Coming-of-Age-Story wiederum ist die Tatsache, dass hier ausnahmsweise einmal nicht die ganz großen Geschütze aufgefahren werden. Hier spielen sich keine Drogen-, Verbrecher- oder Liebesdramen ab, hier verraten und betrügen sich Freunde nicht gegenseitig und hier müssen auch keine politischen oder feministischen Kämpfe im Klassenzimmer ausgefochten werden. Colin & Co. sind völlig unspektakuläre Teenager mit ziemlich langweiligen Leben. Ja, selbst Colins sportliche Ambitionen, auf Teufel kommt raus als Quarterback zu reüssieren und dafür den Baseball aufzugeben (was wiederum mit Rassismus zu tun hat, den er als Jugendlicher noch nicht benennen konnte), wird ausgesprochen unaufgeregt erzählt. Das ist erfrischend anders, weil es so geerdet wie Colins Eltern daherkommt. Letzten Endes ist diese Miniserie beides zugleich: außerordentlich, irgendwie aber auch stinknormal.

Colin in Black & White (Miniserie, 2021)

Diese Dramaserie von Colin Kaepernick und Ava DuVernay beleuchtet Kaepernicks Schulzeit und die Erlebnisse, die den Footballstar aus den USA zum Aktivisten machten.

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