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Michelangelo Frammartino hat eine filmische Tauchsonde komponiert, die nichts weniger versucht, als den Geheimnissen der Welt eine Stimme zu geben: Eine erhaben-dokumentarische Reinszenierung einer Höhlenexpedition im Jahre 1961. 

Ein Höhlengleichnis (2021)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Höhlen, Furchen und Falten

Eine Höhlenexpedition in Kalabrien führte 1961 in tiefste Tiefen. Weiter hatte sich bis zu diesem Tag tatsächlich kein Team in den verzweigten Untergrund gewagt. Aus dieser Geschichte webt Il Buco eine dokumentarische Fiktion. Eine Erzählung erzählt der Film damit aber nicht, wenn man darunter eine Geschichte versteht. Vielmehr komponiert er aus der Reinszenierung dieser Expedition die dokumentarische Form einer Annäherung an die Natur. Dadurch scheinen Zusammenhänge auf, die wir nur allzu häufig übersehen. 

Während sich also unten die Forscher in die Vertikale abseilen, durchstreifen Hirten, deren Gesichter ebenso durchfurcht sind wie das Gestein, die horizontale Weite der Berge. Regisseur Michalangelo Frammartino entwirft ein kinematografisches Koordinatensystem, in dem sich Gegenwart und Zukunft überkreuzen: Die Bilder dieser atemberaubenden Natur stammen aus unserer Gegenwart, während zeitliche Markierungen (Zeitschriften, Fernsehsendungen) eine Vergangenheit markieren, deren Zukunft wir sind. 

Wenn ein angezündetes Stück Illustrierte einen Abgrund hinunter schwebt und das Dunkel erhellt, ist das an symbolischer Kraft und bizarrer Schönheit nicht mehr zu überbieten. Die blutroten Wände der Höhle leuchten, wie als befände man sich im Inneren eines mächtigen Tieres. In der Tat, die Erde verschlingt einen, lässt sich nicht so einfach erobern. Die Lebensgefahr ist allgegenwärtig. Die vergängliche Existenz schrumpft gegenüber dieser Ewigkeit zusammen und ist doch durch diese vermittelt.    

Geschickt werden durch die Montage räumliche Gegensätze zu erfahrbaren Denkräumen zusammengefügt, in denen die großen Fragen aufscheinen. Während die Forscher im kleinen Dorf ankommen und mit den Kindern in den engen Gassen spielen, sitzt vor einer kleinen Bar eine Gruppe von Dorfbewohnern vor einem Röhrenfernseher. Ganz zu Beginn flimmert ein alter Dokumentarfilm über Hochhäuser in die Dunkelheit: Auffällig, wie der Mensch sich und seine Ingenieurskunst hier beklatscht. Staunende Blicke werden durch Fensterscheiben in die Büroräume geworfen, in denen gut gekleidete Frauen und Männer wie eingesperrte Ameisen ihrer Arbeit nachgehen. Gibt es eine bessere Verkörperung für die Ideologie des unendlichen Wachstums als den Wolkenkratzer? 

Wir wachsen in die Höhe, erobern den Himmel. Wir sind Himmelstürmer. Da sitzen sie also die Dorfbewohner, werden von den laufenden Bildern gefangen genommen, während das Expeditionsteam ihre Landschaft und den Boden ihren Füßen erkunden. Wobei man eigentlich sagen muss, dass Frammartino alles als Landschaft behandelt: Gesichter, Tiere und Gesten. Alles hängt hier mit allem zusammen, ist belebte Natur und wird von Il Buco auf die Erde zurückgeholt. Selten hat ein Film mit so betörender Schönheit und ohne jeden belehrenden Ton gezeigt, dass es die Erde ist, die uns mit all ihrer komplexen Tiefe ernährt: Die Wurzeln der Bäume sind die Äste der Erde. In einem solchen Sprachbild kommt man der Ästhetik dieser dokumentarischen Fiktion ziemlich nah; unsere Perspektive wird umgedreht, auf den Kopf gestellt. Die Auszeichnung mit dem International Newcomer Award auf dem Internationalen Filmfest Mannheim Heidelberg hat Il Buco, diese Reise in den Bauch von Mutter Natur, mehr als verdient. 

Ein Höhlengleichnis (2021)

Der Film stellt die Geschichte eines außergewöhnlichen Abenteuers einiger junger Höhlenforscher aus dem Piemont nach, die im August 1961 nach Süditalien aufbrachen, um bislang unbekannte Höhlen zu erkunden und dabei in den Untergrund einer von allen verlassenen Region eintauchten. Im Pollino, einem Gebirgszug an der Grenze zwischen Kalabrien und der Basilikata mit unzugänglichen Gipfeln von makelloser Schönheit, entdeckten diese jungen Männer, die 687 Meter in die Dunkelheit hinabstiegen, den Abgrund von Bifurto, eine der tiefsten Höhlen der Welt.

Ihre Reise beginnt im Nachbardorf, dessen Bewohner ihre Anwesenheit kaum bemerken. Die Menschen dort waschen ihre Wäsche, schauen fern, schlachten Vieh, essen, lachen und spielen. Nach ein paar Tagen packen die Männer ihre Sachen und machen sich auf den Weg zum Berg, wo ein alter Hirte sie beobachtet. Während die Männer hinabsteigen, nähern sich Kühe dem Lager der Forscher, und ein Esel zeigt sich interessiert an dem was sich im Inneren ihres Zeltes verbirgt

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