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Es sind die bunten Farben, die einem sofort ins Auge fallen, wenn man „Die Odyssee“ sieht – schon das Filmplakat weist auf die ungewöhnliche Farbkomposition des Animationsfilms. Sie macht das Filmerleben nicht nur besonders, sondern verstärkt auch die Wirkung der erzählten Geschichte.

Die Odyssee (2021)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Mit Öl auf Glas

Es ist eine neue Technik: Florence Miailhe hat die Bilder für ihren Film „Die Odyssee“ mit Ölfarben auf Glas gemalt, aufgenommen und animiert – der weltweit erste Langfilm dieser Art. Und die Technik passt gut zur Geschichte, oder besser gesagt: Die Geschichte entsteht durch die gemalten und bewegten Bilder auf überzeugende Art und Weise, und zwar voller Ausdrucksstärke.

Die Odyssee erzählt die Fluchtgeschichte des Geschwisterpaars Kyona und Adriel. Sie wachsen in einem kleinen beschaulichen Dorf auf, das zunehmend von Gewalt beherrscht wird. Eines Tages wird das halbe Dorf angezündet, und die Familie beschließt zu fliehen. Auf der Flucht allerdings werden die beiden Kinder von ihren Eltern und den kleineren Geschwistern getrennt und müssen sich fortan alleine durchschlagen – immer den Zielort vor Augen, den ihnen der Vater eingeschworen hat.

Auf ihrer Reise begegnen sie vielen Menschen. Manche helfen ihnen, andere legen ihnen Steine in den Weg, nutzen sie aus oder benutzen sie für ihre Zwecke. Manchmal werden die Geschwister voneinander getrennt, dann finden sie wieder zusammen und lernen, dass es vor allem auf Zusammenhalt ankommt. Schneller als andere müssen die 13-jährige Kyona und ihr um ein Jahr jüngerer Bruder ihre Kindheit hinter sich lassen und im Lauf ihrer abenteuerlichen Reise erwachsen werden.

Der Film erzählt seine Geschichte aus der Perspektive der älter gewordenen Kyona (in der deutschen Fassung eindrücklich gesprochen von Hanna Schygulla) und damit in Rückblenden. Die Erzählerin blättert durch ihr in der Heimat und während der Reise angefertigtes Skizzenbuch und erinnert sich an die Vertreibung, die Flucht, die Verfolgung über Ländergrenzen hinweg. Das wirkt authentisch, – auch wenn die Geschichte eine fiktive ist.

Die Flucht in Die Odyssee bezieht sich nicht auf konkrete Kriege oder reale Orte, sondern ist als allgemeingültig zu verstehen. Kyona und Adriel reisen von einem fiktiven Ort zum nächsten, diese stehen stellvertretend für andere Orte und Zeiten. Das ist ein Aspekt, der den Film so besonders macht: Er kann paradigmatisch für jede Fluchtgeschichte stehen und verstanden werden.

Neben der Aufhebung von Ort und Zeit sind weitere Märchenelemente im Film verwoben: Eine „alte Hexe“ im Wald oder ein Wanderzirkus, in dem die beiden Geschwister zwischenzeitlich unterkommen, unterstützen das Märchenhafte der Erzählung. Überhaupt ist der Film sehr poetisch: Im Großen wie in kleinen Details, wenn Tränen zu Eiskugeln werden oder die roten Blätter sich mit der Stimmung der Kinder bewegen.

Am ausdrucksstärksten allerdings sind die Zeichnungen selbst: Die wenigen groben Linien, die es schaffen, den Gesichtern Ausdruck zu verleihen, die Farbverteilung und die kunstvolle Dramaturgie der Bildebenen. Die Gesichter der Figuren sind meist in Schwarzweiß gehalten: Dicke schwarze Linien und weiße Haut. Die Kleidung dagegen ist knallig eingefärbt, ebenso wie die Umgebung der Figuren, die Requisiten, Handlungsorte und Hintergründe. Dabei sind die Hintergründe meist durch dunklere Farben gekennzeichnet und düster, während die Bildelemente im Vordergrund eher klare Farben aufweisen und zusammen ein munteres Bunt ergeben, welches das Dunkel des Hintergrunds mal dominiert, mal aufhebt und mal davon erdrückt wird. Aus dieser Spannung entsteht ein großartiger kunstvoller Film, den man sich gut mehr als einmal ansehen kann.

 

Die Odyssee (2021)

Die Geschwister Kyona und Adriel leben in einem kleinen Dorf, umgeben von friedlichen Wäldern. Doch die Idylle trügt: Eines Nachts wird der Ort überfallen und die Familie ist gezwungen, vor der Gewalt zu fliehen. Als Kyona und Adriel bei einer Zugkontrolle von ihren Eltern getrennt werden, müssen sie ihren weiteren Weg alleine gehen. So beginnt eine heldenhafte Reise, die Kyona und Adriel über einen Kontinent voller Gefahren führt. Die beiden schließen neue Freundschaften, aber immer wieder holen sie der Krieg und ihre eigene Geschichte ein. Auf ihrer Suche nach etwas Sicherheit, lassen sie ihre Kindheit hinter sich. (Quelle: Filmkunstmesse 2021)

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