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Ein Geburtstag in der ostdeutschen Provinz kurz vor dem Jahrtausendwechsel – in Katharina Marie Schuberts Langfilmdebüt als Regisseurin geht es um tiefe Gräben und Wunden. Und um drei ganz unterschiedliche Wege damit umzugehen.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein Märchen aus anderen Zeiten

Seit 30 Jahren sind Ost und West bereits wiedervereint und doch wird man das Gefühl nicht los, die Gräben seien tiefer denn je. Woher das kommt, dem geht die Schauspielerin Katharina Marie Schubert in ihrem Regiedebüt nach und reist dafür zurück ins Jahr 1999. Rund um den 60. Geburtstag ihrer Protagonistin entspinnt sie ein erzählerisches Geflecht aus öffentlich und privat erlittenen Demütigungen.

Zehn Jahre sind seit dem Mauerfall vergangen, neun seit der Wiedervereinigung und die Wessis tragen ihre Arroganz weiterhin vor sich her. Auf einer Bahnfahrt von Berlin in ihr altes Heimatstädtchen belauscht Lara (Birte Schnöink) das Gespräch eines jungen Paares. Von den Namen der Orte belustigt, ziehen sie über Ostdeutsche her. Dass diese schlechten Scherze auch in die Gegenrichtung zielen können, dabei aber genauso wenig funktionieren, verdeutlicht weniger später ein Komiker, der auf einer Geburtstagsfeier mit miserablen Wessi-Witzen ganz dick aufträgt.

Das Geburtstagskind ist Laras Mutter Gudrun (Corinna Harfouch), die sich in ihrem Bemühen, etwas für die Gemeinde und die Gemeinschaft zu tun, stets mehr für sich selbst und ihre eigenen Belange als für die Menschen um sie herum interessiert. Ihr Lebensgefährte Werner (Peter-René Lüdicke) erträgt Gudruns Egoismen mit stoischer Gelassenheit, Bürgermeister Jens (Jörg Schüttauf) geht mit ihr in den Clinch und Lara möchte lieber heute als morgen zurück nach Berlin – an die Oper, wo sie arbeitet und wo eine Sängerin als Ersatzmutter auf sie wartet. Laras Geschenk hat Gudrun nicht einmal ausgepackt und Laras Geburtstagsrede hat die Mutter kurzerhand umgeschrieben. Nichts ist ihr gut genug. Zumindest nichts Neues. Für alles Alte – ob Ostpralinen, die es wieder zu kaufen gibt oder das leerstehende Kinderheim, in dem sie aufgewachsen ist und das sie für ihre Feier hergerichtet hat – hegt Gudrun große Sympathie. Mit all den alten Dingen will sie auch ihre Identität bewahren.

Das Mädchen mit den goldenen Händen ist Katharina Marie Schuberts erster Film als Regisseurin. Für ihr Debüt hat die Theater-, Film- und Fernsehschauspielerin auch das Drehbuch verfasst. Ihre Geschichte ist so poetisch wie der Titel. Die Handlung ist in drei Kapitel eingeteilt, die Gudrun, Lara und Werner gewidmet sind. Barbu Bălășoius Kamera durchmisst in langen Einstellungen die Räume, in denen Schubert die Gefühlslagen ihrer Figuren vermisst. Als Rahmen dient der Auftakt eines Märchens, das Corinna Harfouch zu Beginn des Films aus dem Off vorträgt und Birte Schnöinks Figur Lara am Ende des Films ihrer Mutter Gudrun am Krankenhausbett vorliest.

Dazwischen erschließt sich vieles sukzessive: die Beziehungen zueinander, die voneinander getrennten Lebenswege, die mehrfach gebrochenen Biografien. Gudrun ist noch im Nationalsozialismus geboren, im Sozialismus der DDR aufgewachsen und lebt nun schon zehn Jahre in einer sozialen Marktwirtschaft, deren soziale Komponente mehr und mehr bröckelt. Dass sie sich so sehr gegen den anstehenden Verkauf des ehemaligen Kinderheims wehrt, hat nicht nur mit dem nostalgischen Blick zurück, sondern auch mit einem weitsichtigen Blick nach vorn zu tun. Ausverkauf Ost. Gegenüber dem Bürgermeister bringt sie ihre Position so auf den Punkt: „Es muss doch noch irgendwas dazwischen geben – irgendwas – zwischen ‚Ich will das Alte behalten‘ und ‚Ich will alles neu machen‘. Nämlich dass wir unsere Zukunft so gestalten, dass die Menschen nicht ständig gedemütigt werden, weil man ihre Lebensleistung für wertlos erklärt.“

Schuberts Debüt, in dem Familien- und Gesellschaftsdrama Hand in Hand gehen, bedarf keiner bösen Schwiegermutter wie im Märchen. Diesen Part füllt Gudrun als Mutter, Lebensgefährtin und Bekannte aus. Sie ist ungerecht, fies und manipulativ und doch steckt unter dieser vermeintlichen Gefühlskälte und emotionalen Härte ein warmer und verwundeter Kern, der es dem Publikum ermöglicht, auch mit Gudrun zu fühlen. Wie Schuberts Film überhaupt seine Figuren nicht verurteilt. Zudem besitzt diese Frau eine Eigenschaft, die den Menschen um sie herum abgeht: Entschlossenheit.

Das rezitierte Märchen stammt aus der Sammlung der Brüder Grimm und heißt Das Mädchen ohne Hände. Darin verkauft ein armer Müller dem Teufel versehentlich seine Tochter, und um sich vor dem Leibhaftigen zu schützen, schlägt er ihr die Hände ab. Für Schubert ist dieses Mädchen Gudrun, „die ohne Eltern so allein in der Welt war“, wie die Regisseurin in einem Interview gesagt hat. Doch auch auf Lara träfe die Beschreibung zu. Ohne leiblichen Vater aufgewachsen, ist sie trotz ihrer Mutter allein in der Welt, weil Gudrun sie andauernd verletzt, obwohl sie es gut mit ihrer Tochter meint. In ihrem Kapitel verirrt sich Lara auf der Suche nach ihrem Vater in eine zweideutige Situation und versteht ihre Mutter danach besser.

Nicht zuletzt steht das Märchen für die Ostdeutschen selbst. Wie der Müller, der davon ausgeht, nur seinen Apfelbaum hinter seiner Mühle zu verkaufen, mussten viele am Ende feststellen, dass sie etwas weitaus Wertvolleres veräußert haben.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (2021)

Ein kleines ostdeutsches Provinzstädtchen im Jahr 1999 kurz vor dem Millennium-Wechsel. Die Menschen haben schon viele Umbrüche hinter sich, weitere stehen bevor. Gudrun feiert heute ihren 60. Geburtstag, in einem alten, verfallenen Herrenhaus, das zu DDR-Zeiten als Kinderheim genutzt wurde, in dem auch sie selber elternlos aufgewachsen ist. Zur Geburtstagsfeier reist auch Gudruns Tochter Lara aus Berlin an. Sie ist mit dem Stiefvater aufgewachsen, über ihren leiblichen Vater wollte die Mutter nie sprechen, entsprechend angespannt ist das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Ausgerechnet während der Feier erfährt Gudrun, dass das ehemalige Kinderheim an finanzkräftige Investoren verkauft werden soll, die es zum Hotel ausbauen wollen: Eine wirtschaftliche Perspektive für die strukturarme Region oder Ausverkauf der eigenen Geschichte? Über diese Frage scheiden sich die Geister im Ort. Während Gudrun in den nächsten Tagen alles daran setzt, das Kinderheim als Gemeinde- und Begegnungszentrum für alle Bewohner zu erhalten, macht sich ihre Tochter Lara auf die Suche nach ihrem Vater und einer Erklärung für die unnachgiebige Härte ihrer Mutter.

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Meinungen

Sigrid Theresia · 27.03.2022

Der Film präsentiert einzelne „Versatzstücke“, die keine fassbare Geschichte ergeben, weder eine runde, noch eine mit Ecken und Kanten. Es geht um familiäre und freundschaftliche Beziehungen, um Nähe und Distanz, um die Fähigkeit oder das Unvermögen Veränderungen zu akzeptieren, um die Toleranz andere so sein zu lassen, wie sie sind, um gelebtes und ungelebtes Leben, um Anerkennung und Zurückweisung, um Respekt und Respektlosigkeit, um Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, um Politisches und Privates. Und wer jetzt verwirrt ist, ist es zu Recht. Am Ende des Films steht man als Zuschauer*In vor vielen unbeantworteten Fragen und bleibt mehr oder weniger deprimiert zurück. Ich konnte an keine der Figuren "andocken" und dachte schon beim Abspann, schade um die Zeit, die ich dem Film gewidmet habe. Geärgert hat mich auch, dass er in meinen Augen wenig zur Verständigung zwischen Ost und West beiträgt, sondern eher das Gegenteil forciert. Positiv hervorzuheben sind für mich allein die schauspielerischen Leistungen. Die Besetzung ist top.

Kathrin Assauer · 21.11.2023

Ich habe den Film ganz anders erlebt, keinesfalls verwirrend. Ein großartige Kamera mit poetischen Bildern und genügend Zeit, um sie aufzunehmen und daraus lesen zu können. Zeitlich und inhaltlich passende Dialoge oder noch passenderes Schweigen, das viel mehr nachempfinden ließ, als Zielvorgaben wie z.B. Ost-Westverständigung auf der Oberfläche zu quasseln. Bei mir blieb ein großes Verständnis für alle Charaktere, nur Andeutungen die nötig waren und der Raum sie zu verstehen. Hab mich sehr wohl gefühlt beim schauen. Großes Kino. Danke.