Log Line

Ein Polizist, der in einer eigentlich glücklichen Ehe lebt und mit seinem Job zufrieden ist, gerät eine Krise. Erweist sich Regisseur Xavier Beauvois abermals als großer Männerversteher? 

Drift Away (2021)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein echter Kerl

Eine glückliche, kleine Familie ist zu sehen am Anfang von Xavier Beauvois „Drift Away“ („Albatros“): Marie (Marie-Julie Maille) hat Geburtstag, ihre Tochter Poulette und ihr Freund Laurent (Jérémie Renier) bereiten die Torte vor. Sie singen, er schenkt ihr einen Besuch in einem vornehmen Restaurant – zwei Michelin-Sterne! – und dann entdeckt sie in dem Kuchen noch etwas. Nach zehn Jahren macht Laurent ihr einen Antrag. Sie wollen heiraten! 

Laurent – gut gespielt von Renier – scheint ein Mann zu sein, der alles im Griff hat: Er hat eine glückliche Beziehung und mag seinen Job bei der Gendarmerie. Zu Hause lässt er den Beruf außen vor, da ist er ein fürsorglicher Vater, der Paulette ins Bett bringt, wenn Marie noch arbeiten muss. Auch im Job behält er die Ruhe, ob es um gestohlene Kettensägen, einen Missbrauchsfall oder Besoffene geht, die er nach Hause bringt. Es ist kein einfacher Job, aber Laurent mag ihn und macht ihn gut. Xavier Beauvois nimmt sich viel Zeit, um diesen Alltag, diese Routine einzuführen – irritierende Momente inklusive: Ganz am Anfang nimmt ein Brautpaar Fotos am Strand auf, dann fällt ein Körper herunter. Was diese Szene bedeutet, ist unklar. Vielleicht ein Kommentar des Regisseurs über Paare, die nur an den Strand kommen, um sich fotografieren zu lassen? Oder ein einziger Versuch, komisch zu sein? Diese Szene jedenfalls passt nicht zum restlichen Ton des Films. 

Sie ist womöglich auch ein Hinweis auf die Eruption, die kommen muss – denn wenn ein Film so idyllisch anfängt, gibt es immer einen Haken. Und so ist es auch hier: Eines Tages erlebt Laurent eine extreme Situation und verliert die Kontrolle. Er begeht einen tödlichen Fehler. Im letzten Drittel dieses Films nun muss er mit dieser Schuld, mit seiner Tat leben. Er hat die Unterstützung seiner Kolleg:innen, er hat psychologische Beratung, weiterhin seine Freundin und Tochter an seiner Seite. Aber die ständigen Verweise auf die Seemannstradition der Familie lassen schon früh erahnen, dass das Meer und das Segeln eine wichtige Rolle spielen werden. Und so stemmt sich Laurent schon bald alleine den Gezeiten entgegen – begleitet von melodramatischen Klängen, die noch einmal ganz deutlich machen, dass dieser Film nach zwei Dritteln nun völlig den Kurs wechselt. 

Spätestens hier gleitet Xavier Beauvois‘ Film in unerträglich altmodisches, klischeehaftes Kino ab, bei dem man sich unweigerlich fragt, wie dieser Film sogar in den abgespeckten Wettbewerb der Berlinale geraten konnte. Hier wird er wieder einmal beschworen, der Mythos des Mannes, der alles mit sich ausmacht, der nicht redet, der nur bedeutsam schweigt und dann am Ende heim zu Frau und Kind kehrt – und natürlich zweifelt die potentielle Ehefrau nur kurz an ihrem Partner und ihrer Beziehung. Sie müsse Verständnis haben, sagt Laurents Großmutter zu ihr. Das Meer sei in seinem Blut. Und weil sie dann Verständnis hat, bekommt sie auch ihr Happy End – sofern es denn ein gutes Ende sein kann, wenn der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen will, nicht in der Lage ist, mit ihr über seine Probleme zu reden, sondern lieber davonläuft. In Beauvois‘ Welt ist das wohl so – darauf deuten Klänge, Sonnenuntergang und Brautkleid (!) hin. 

Drift Away (2021)

Laurent ist Brigadekommandeur der Gendarmerie von Étretat, einer kleinen Stadt in der Normandie. Der junge Mann liebt seinen Beruf, und er liebt Marie, die er heiraten will und mit der er eine Tochter namens Poulette hat. Eines Tages wird sein Leben in Aufruhr versetzt, als er versehentlich einen Bauern tötet, der versucht, Suizid zu begehen

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Meinungen

wignanak-hp · 08.03.2021

Der Film zeigt einen Menschen in einer existenziellen Situation, die ihn verstummen lässt. Er lässt sich viel Zeit, um zur entscheidenden Szene zu kommen. Wir lernen den Polizisten Laurent als umsichtigen Menschen kennen, der auch in schwierigen Situationen den Kopf behält. Nur einmal merkt man, dass ihn sein Beruf nicht kalt lässt, als er seine Ehefrau anschnauzt. Der Selbstmord am Anfang mag ein Insider sein, den besonders die Menschen verstehen, die vor Ort leben. Lustig ist die Szene nicht. Als Laurent einen folgenschweren Fehler begeht, lässt er niemanden mehr an sich heran. Das hat hier nichts damit zu tun, dass Männer so etwas immer mit sich selbst ausmachen. Eine solche emotionale Erschütterung kann man letztlich nur mit sich selbst ausmachen. Keiner weiß, was und wie man fühlt. Und dass die Mutter ständig an die seemännische Tradition in der Familie erinnert, ist wohl eher Hilflosigkeit. Und was soll man von seiner Ehefrau erwarten, dass sie die Ehe aufs Spiel setzt, dem Kind den Vater nimmt? Die einzige Szene, die mich irritierte, ist die Vision während des Sturmes. Ich frage mich, ob diese Szene nötig gewesen wäre.