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Amy Poehler klagt in ihrer zweiten Regiearbeit für Netflix Sexismus und Misogynie an einer High School an und geht dabei mit viel Elan zur Sache, verstolpert sich gegen Ende jedoch.

Moxie. Zeit, zurückzuschlagen (2021)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Rebel Girrrlz

Ein Hauch von Superheldenfilm weht durchs Coming-of-Age-Genre: In Amy Poehlers „Moxie. Zeit, zurückzuschlagen“ wird die Schülerin Vivian (Hadley Robinson) zur Initiatorin des Kampfes gegen Sexismus und Misogynie an ihrer High School und erschafft dazu die Inkognito-Identität Moxie.

Auf den ersten Blick scheint die 16-jährige Vivian so gar nicht dafür gemacht, eine Revolution zu starten. Zurückhaltend und schüchtern ist sie, ein Persönlichkeitstest hat sie und ihre beste Freundin Claudia (Lauren Tsai) einst als INTJ eingestuft: introvertiert, intuitiv, Denkerinnen, Beurteilerinnen. Vivians Werdegang zur Vorkämpferin gegen den Sexismus an ihrer Schule verläuft deshalb über einen Umweg: Um sich fürs College zu bewerben, muss sie einen Aufsatz über etwas schreiben, für das sie sich leidenschaftlich begeistert. Ihre Recherche führt zu den alten Fotoalben ihrer alleinerziehenden Mutter (Amy Poehler),

Die Bilder von deren rebellischer Zeit inklusive wilder Frisuren, unangepasster Kleidung, lauter Punkmusik der Band Bikini Kill und ernsthafter Bestrebungen gegen das Patriarchat sind letztlich die Initialzündung, die Vivian braucht, um eine Handvoll Flugblätter unter dem Synonym Moxie anzufertigen und auf der Schultoilette auszulegen. Darin prangert sie den omnipräsenten Sexismus in ihrer Schule an. Wie erschreckend ausgeprägt und offensichtlich selbstverständlich der ist, wird bei einer Versammlung in der Turnhalle deutlich: Die Sportler grabschen Mädchen an der Tribüne an den Hintern, drängen sich mit ihrem nacktem Oberkörper auf, und schlussendlich wird auch noch die alljährliche ominöse „Liste“ herumgeschickt, in der die jungen Frauen in erniedrigende Kategorien wie „Bester Vorbau“, „Bester Arsch“ oder „Miss Fickwürdig“ eingeteilt werden. Vivian selbst wird übrigens zur „Miss Unterwürfig“ erklärt. 

Zeit also – wie es der Titel schon verspricht – zurückzuschlagen. Moxies (respektive Vivians) Flugblätter finden schnell Anklang und Unterstützung, bald schon schließen sich mehrere junge Frauen zu einer gleichnamigen Gruppe zusammen, starten feministische Aktionen – und nehmen dabei vor allem den Kapitän der Football-Mannschaft und Schulliebling Mitchell (Patrick Schwarzenegger) ins Visier. Der dient in Moxie als Verkörperung der unverblümt-offensichtlichen Ausprägungen des männlichen Sexismus. So begegnet er etwa Lucys (Alycia Pascual-Peña) Abwehr gegenüber seinen penetranten Annäherungsversuchen mit höchst toxischer Männlichkeit und der Frage nach Gleichberechtigung mit einem lapidaren „Haben wir keine echten Probleme?“. Das Skript von Tamara Chestna und Dylan Meyer arbeitet sich jedoch nicht nur an solchen Sexismus-Formen, sondern auch an männlicher Untätigkeit ab. So kriegt auch der Klassenlehrer (Ike Barinholtz) sein Fett weg, als er eine  solidarische Aktion der versammelten weiblichen Schülerschaft, an einem Tag allesamt Tanktop zu tragen, mit einem feigen „Da will ich mich respektvoll raushalten“ kommentiert. Er mache es sich ja sehr einfach, schleudert ihm daraufhin eine Schülerin entgegen. Er selbst müsse sich nicht dazu verhalten, oder wie?

Natürlich finden auch positive Männerbilder in Amy Poehlers zweiter Regiearbeit für Netflix (nach Wine Country) statt. Der von Nico Hiraga gespielte Seth unterstützt Vivians Bestrebungen von Beginn an symbolisch und tatkräftig, und bald schon bahnt sich auch eine Liebesbeziehung zwischen beiden an. Seths Annäherungsversuche fallen allerdings zögerlich aus, er ist verunsichert, wie er sich der Kämpferin gegen das Patriarchat nähern soll – Moxie beweist in dieser und anderen Fragen viel Empathie und Feingefühl für die Gefühle der handelnden Charaktere, die in ihren groben Grundzügen zwar als High-School-Film-Klischees angelegt sind, durch eine zweite bis dritte Ebene jedoch deutlich vielschichtiger ausgearbeitet werden als es zunächst den Anschein hat.

Vor allem aber geht der Film mit enormer Energie und Spaß an die Sache heran. Trockene Theorie ist nicht Poehlers Sache, sie verlässt sich stattdessen auf die verbal-komödiantischen Talente vor allem ihrer NebendarstellerInnen (einzig sie selbst kommt als ziemlich uncoole Mutterfigur nicht besonders gut weg) und die authentische Energie ihrer großartigen Hauptdarstellerin. Und sie weiß, wie gute Musik pointiert eingesetzt werden muss, um Szenen zu verstärken. Moxie ist während seiner ersten beiden Drittel extrem mitreißend, pulsierend vor jugendlicher Energie und emanzipatorischem Kampfeswillen.

Doch genau diese Energie büßt der Film im finalen Akt ein, geht dann sein Kernanliegen mit deutlich mehr Ernst an. Vivian steigert sich plötzlich derart in ihre Rebellinnen-Rolle hinein, dass sie Seth, ihre Mutter und deren neuen Freund beim Abendessen aus dem Nichts aggressiv anpöbelt, ihre beste Freundin wird aufgrund einer Moxie-Aktion der Schule verwiesen, und eine Schülerin gesteht anonym, dass sie vergewaltigt wurde. Und hier verstolpert sich der Film dann doch, denn so wichtig es ist, Derartiges zu thematisieren, so erzwungen herbeigeführt wirkt der tonale Wechsel. Problematisch auch: Statt sich für das Opfer der Vergewaltigung zu interessieren, dient dieses erzählerische Vehikel allem voran der Katharsis von Hauptfiguren und Publikum, wenn der zuvor etablierte Antagonist dadurch seiner gerechte Strafe zugeführt wird.

Dass der Film in einem solch dramatischen, dezent pathetischen Finale mündet, liegt aber letztlich wohl in seiner Genre-DNA, würzt er doch den Coming-of-Age-Film mit Superheldenanleihen, die vor allem in der geheimen Identität der Heldin und dem erwähnten Aufbau eines klassischen Antagonisten, der in Trump-Manier die öffentlichen Anklagen als vermeintliche Hexenjagd zu diffamieren versucht, Ausdruck finden. Dass es jedoch solche Bestrebungen und kollektive Aktionen braucht, um in einem starren System (verkörpert von der uneinsichtigen Schuldirektorin) etwas wachzurütteln, Veränderungen anzustoßen, das macht dieser Film auf sympathische Art deutlich. Das gebräuchliche Superheldennarrativ wird in Moxie zudem gekonnt dekonstruiert: Hier ist es nicht die Einzelkämpferin, die die Welt im Alleingang rettet, sondern nur den Stein des Anstoßes gibt – und damit die breite Masse dazu inspiriert, sich gemeinsam für eine bessere Gesellschaft einzusetzen.

Moxie. Zeit, zurückzuschlagen (2021)

Genervt von der sexistischen und toxischen Atmosphäre an ihrer Highschool lässt sich eine schüchterne 16-Jährige von der rebellischen Vergangenheit ihrer Mutter inspirieren und veröffentlicht anonym ein Magazin, das an ihrer Schule eine Coming-of-Age-Revolution auslöst. Amy Poehler übernahm die Regie für die Verfilmung des Romans von Jennifer Mathieu.

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Meinungen

Mia · 24.07.2021

Der Film hat eine tolle Botschaft und ist echt klasse! Aber ein Bestattungsinstitut in dem sie in einem Sarg liegen und Musik hören? Was wurde sich dabei nur gedacht..

Anna · 22.03.2021

Einfach ein super Film! Hat mich wirklich mitgerissen. :) Kann ich jedem empfehlen zu schauen.

Sabine · 13.03.2021

Einfach super !!!

Ich sehe häufig Filme, in denen Minderheiten (egal ob aufgrund von Geschlecht, Religion, Herkunft, Sexualität usw.) zum "Gegenschlag" ausholen. Ich mag es, wenn die Kleinen, die jeder unterschätzt, sich plötzlich ihres eigenen Wertes bewusst werden und den Respekt fordern, der uns allen zusteht.
Im Finale solch eines Films fühle ich mich selbst stark, wenn ich es in der Realität auch nicht bin. Und gerade bei Moxie kommt am Ende das Bedürfnis auf, mit den Mädchen zu schreien. Wenn du wütend bist, dann SCHREI !!! Allerdings ist es vier Uhr morgens und ich habe gedanklich geschrien ;-)

Toller Film !!! Danke!

Isabel · 07.03.2021

Dieser Film ist absoluter Hammer. VIELEN DANK DAFÜR!!!

Das braucht die Welt.