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Raus aus der Komfortzone! Im Zeichen globaler Krisen steht die Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts am Scheideweg. Wie können alternative Lebens- und Wirtschaftsmodelle aussehen, die auf Solidarität und Nachhaltigkeit setzen anstatt auf Hyperindividualismus und Renditenwahnsinn? 

Homo communis - wir für alle (2020)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

The future is now

„Der Mensch ist da, um gut zu sein“, lautet ein berühmtes Bonmot des südafrikanischen Erzbischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu, der sich seit Jahrzehnten für Solidarität und Völkerverständigung einsetzt. Angesichts globaler Megakrisen, die vom neoliberalen Turbokapitalismus seit den 1990ern zusätzlich immens befeuert wurden, muss Tutus Überlebensdiktum inzwischen ernsthaft in Zweifel gezogen werden. 

Denn warum unterstützt das Gros der westlichen Welt trotz entschiedener Gegenstimmen aus der Wissenschaft ein scheinbar vollends entfesseltes Kapitalismusmodell, das unseren Planeten zielgerichtet auf seine Selbstzerstörung zusteuern lässt, (Bürger-)Kriege toleriert bis fördert, Menschenrechtsverletzungen übergeht und dabei unentwegt das scheinheilige Credo eines positiv besetzten Hyperindividualismus predigt? 

Die erfahrene Fernsehautorin und Filmemacherin Carmen Eckhardt (Viktors Kopf) behandelt in ihrem Mutmacher-Dokumentarfilm Homo communis – wir für alle ein Vielzahl dieser komplexen Fragen in angenehm offener Diskursform: „Wie werden wir geboren? Wie wollen wir leben und arbeiten? Und nicht zuletzt: Wie wollen wir sterben und was wollen wir Sinnhaltiges hinterlassen?“ 

Ohne moralisch-ideologisch unterfütterte Patentrezepte zu liefern, hat sie mit Bildgestalter Gerardo Milsztein (Die rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst, Wenn Gott schläft) zwei Jahre lang eine Menge unterschiedlichster Menschen begleitet, die frei nach Konstantin Wecker „Nein sagen!“ und für einen gesellschaftlichen Wandel eintreten. Wenn nötig auch mit zivilem Ungehorsam wie im Falle Clumsys. „Mir war irgendwie schon sehr früh klar, dass ich in diesem System, wie es jetzt ist, nicht glücklich werden würde“. 

Als einer der ersten Aktivisten im Hambacher Forst stellte er sich zusammen mit etwa 20 weiteren Gefährten dem Energieriesen RWE couragiert entgegen: hart in der Sache, aber freundlich im Ton. Diese Mixtur aus radikaler Entschlossenheit und affirmativem Umbruchsgeist zog in den vergangenen Jahren eine Reihe inzwischen (inter)national bekannter Aktivist*innen und Klimaschützer wie Carola Rackete oder Kathrin Henneberger („Ende Gelände ist ein Bündnis aus Einzelpersonen. Von Klimaaktivist*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen, ein generationsübergreifendes Projekt“) zum entschiedenen Bürgerprotest ins Rheinland. 

Und natürlich auch Greta Thunberg, die Eckardts Mini-Miniteam bei einer emotionalen Stippvisite kurzzeitig ins Bild rückt, was 2021 fast schon wieder historisch wirkt und noch einmal die Graswurzeln der „Fridays for Future“-Bewegung ins kollektive Gedächtnis hievt. Junge Menschen wie sie stellen sich seitdem offen den Interessen des neoliberalen „Marktes“ und dem grassierenden „Homo Oeconomicus“ entgegen, um so die weltweite Klimakatastrophe im Sinne des Umweltschutzes und quasi fünf nach zwölf noch gemeinschaftlich abwenden zu können. 

Für ein solidarisches Er- und Miteinander-Leben hatten sich bereits 1950 die Gründungsmitglieder der venezolanischen Mega-Kooperative „Cecosesola“ entschieden, deren sinnhafte Arbeit in Homo communalis – wir für alle auf vielfältige Weise porträtiert wird. 23.000 Mitglieder unterstützen sie derzeit. Davon können die Initiatoren „solidarischer Landwirtschaft“ in der Kümper Heide in Dortmund zwar aktuell nur träumen. Trotzdem zeigt sich gerade in diesem sympathischen „Best Practice“-Beispiel eines Lernbauernhofs mit Erlebnisangeboten für Kinder wie Senioren, dass auch in einem Hochindustriestaat wie Deutschland in puncto Lebensmittelwertschätzung weiterhin ein Umkehrkurs möglich ist. 

Weitere Stationen in Eckardts handwerklich souverän gestalteter und mithilfe von Crowdfunding, Eigenmitteln sowie Stiftungsgeldern entstandener Dokumentarfilmreise bilden ein ungewöhnlicher „Commons“-Think-Tank im beschaulichen Neudenau bei Heilbronn, ein ambulanter Sterbebegleitungsdienst („Odilie“) sowie eine zeitgeistige „Utopiastadt“ im sanierten Mirker Bahnhof im hochverschuldeten Wuppertal. Nach dem Motto „Jeder kann mitgestalten!“ wird hier im wahrsten Sinne des Wortes an einer Neuauslotung unseres derzeitigen Stadt- und Gesellschaftsmodells gearbeitet: selbstverständlich als unreglementiertes Kreativlabor und ohne fixen Endpunkt. 

Was all diese Menschen, Projekte und Ideen eint, ist ebenso einfach wie notwendig: Kooperieren statt Besitzenwollen, Teilen statt Anhäufen, Aushelfen und Wissenteilen statt egoökonomische Autarkie. Homo communis – wir für alle funktioniert sehr gut als wirtschafts- wie gesellschaftspolitisch relevanter Debattenfilm, weil er nicht einseitig wertet, sondern stattdessen diverse Alternativmodelle zur Disposition stellt und thematisch durchaus essentielle Fragen aufwirft: Wie kann ich wieder mein eigenes Leben in die Hand nehmen? Wie sehr engagiere ich mich zum Wohle aller anderen? Davon kann man in unserer Zeit gar nicht genug sehen und hören.

Homo communis - wir für alle (2020)

„Homo communis — wir für alle“ begleitet Menschen, die sich gemeinsam für einen gesellschaftlichen Wandel stark machen, ziviler Ungehorsam nicht ausgeschlossen. Sie leben ihre Vision von Koopera­tion und Teilen. Ein Film der zeigt, was möglich ist, wenn WIR es gemeinsam tun. 

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