Ma Ma - Der Ursprung der Liebe

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Ein modernes Märchen

Die Filme von Julio Medem sind eine Gratwanderung zwischen spielerischer Kunst und verstörendem Experiment: Die einen begeistert er immer wieder aufs Neue mit seinen narrativen Konventionsbrüchen, die anderen können mit seiner Art, Geschichten zu erzählen, nichts anfangen. Sein neuester Film – der erste seit immerhin fünf Jahren, abgesehen von einer Episode im Omnibusfilm 7 Nächte in Havanna – ist durchaus etwas mehr Mainstreamkino, und doch kommen auch große Medem-Fans auf ihre Kosten.
Ma Ma – Der Ursprung der Liebe erzählt die Geschichte von Magda (Penelope Cruz), einer Frau Ende 30, Lehrerin und Mutter eines Schulkindes. Nach den Ferien wird sie aufgrund der Krise in Spanien arbeitslos sein, und nachdem sich ihr Mann (Àlex Brendemühl) eben in einen Auszeit-Urlaub ans Meer verabschiedet hat, erhält sie auch noch die Diagnose Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Als sie sichtlich verwirrt ihrem Sohn Dani (Teo Planell) beim letzten Fußballspiel der Saison zuschaut, lernt sie Talent-Scout Arturo (Luis Tosar) kennen, der am selben Nachmittag quasi Frau und Tochter verliert. Eine Katastrophe reiht sich also an die nächste, und doch schaffen es die beiden irgendwie, daraus gestärkt hervorzugehen. Mithilfe des schnell reagierenden und ihr ans Herz wachsenden Arztes Julián (Asier Etxeandia) besiegt Magda den Krebs und lernt rasch, mit dem Eingriff in ihren Körper und ihre weibliche Schönheit umzugehen. Am Ende des fürchterlichen Sommers sind sie und Arturo ein Paar. Doch das Glück währt nicht lange, der Krebs kommt zurück und dann geschieht da noch ein Wunder.

Nicht umsonst trägt der Film in Deutschland den Untertitel „Der Ursprung der Liebe“ und erzählt vom origen del mundo, dem Ursprung der Welt. Darum nämlich geht es Medem: um Leben und Tod und die Urkraft der Liebe, die den Menschen, vor allem die Frau, Berge versetzen lässt. Ma Ma erzählt – wie es die Filme von Medem gerne tun – von einer starken Frau, die sich trotz aller Schicksalsschläge nicht unterkriegen lässt und ihren Weg sucht und findet, um mit ihrer Tragödie zurechtzukommen. Dass die Geschichte vielleicht etwas allzu arrangiert ist, die Plotentwicklungen zwischenzeitlich etwas unglaubwürdig erscheinen, verzeiht man dem Film gerne. Schließlich sind es doch auch moderne Märchen, die Medem erzählt, von Frauen mit übermenschlichen Kräften und mit dieser – neben all dem Unglück – anderen Art von Glück und Können, die sie zu unglaublichen Taten bewegen.

Julio Medem ist bekannt für ein Kino mit einer guten Portion Symbolismus, das nicht selten auch ein wenig ins Esoterische abgleitet, man denke etwa an Lucia und der Sex / Lucía y el sexo (2001) und vor allem Caótica Ana (2007). War letzterer einer mystischen Erklärung der Welt verhaftet, erzählt Medem mit Ma Ma eine gefälligere, nachvollziehbarere Geschichte. Der Umgang mit der tödlichen Krankheit und die Wünsche, so normal wie möglich weiterzuleben und seinen Mitmenschen das Leben wie das Sterben so leicht wie möglich zu machen, sind nachvollziehbar, weil sie sehr realistisch erfasst sind und beeindruckend gespielt werden – vor allem von Penelope Cruz, die den Film auch mit produziert hat.

Die Episode um den „Ursprung der Welt“ mag für den ein oder anderen Zuschauer etwas zu viel des Guten, für andere das Herzstück des Films sein. Für Medem war es die Grundidee zum Film: „die Idee eines keimenden Lebens in einem todgeweihten Körper“. In jedem Fall kommt in Deutschland die umstrittene ungeschnittene Fassung ins Kino; und das ist auch gut so. Ohne das Sexuelle, ohne die offenen, ehrlichen Bilder der Sehnsucht, ohne das Wunderbare wäre der Film nicht ein Film von Julio Medem.

Medems Filme sind auch Gefühlskino, das nicht nur Geschichten erzählt, sondern nachempfindbar macht. In Ma Ma hat Medem seine Filmsprache dahingehend perfektioniert, dass er einmal mehr versucht, aus den Figuren heraus und nicht nur über sie zu erzählen: So zum Beispiel, wenn die Kamera Magda dabei begleitet, wie sie ihren Kopf auf die Sofalehne legt, erschöpft von den Ereignissen und ihrer ersten Chemotherapie-Sitzung die Gedanken einfach fließen lässt. Oder auch, wenn die Erzählung zwischen Vorher und Nachher hin- und herspringt. Dann hat man das Gefühl, Zuschauer in der Gedankenwelt der Protagonistin zu sein, die nicht nur darüber redet, zum Friseur zu gehen, sondern sich das auch vorstellt – bildlich. Das Bild wechselt von einem Zeitpunkt zum nächsten und wieder zurück, und es braucht ein Weilchen, bis man sich an diese Art des Erzählens gewöhnt hat.

Auch hier wird wieder deutlich, wie gerne Medem mit dem filmischen Erzählen spielt, wie er es einsetzt, um Imaginäres zu evozieren. Und das macht seine Filme und Ma Ma so besonders: Dass er nicht einfach nur ein einfühlsames und toll gespieltes Drama um den Todeskampf einer an Brustkrebs erkrankten Frau zeigt (wie dies beispielsweise auch Catherine Hardwicke in Im Himmel trägt man hohe Schuhe vorgeführt hat), sondern darüber hinaus ein poetisches Kino entwickelt, das alle Möglichkeiten des Erzählens nutzt, um sich der Wirklichkeit zu nähern. Ein Film, den man mehrmals schauen kann.

Ma Ma - Der Ursprung der Liebe

Die Filme von Julio Medem sind eine Gratwanderung zwischen spielerischer Kunst und verstörendem Experiment: Die einen begeistert er immer wieder aufs Neue mit seinen narrativen Konventionsbrüchen, die anderen können mit seiner Art, Geschichten zu erzählen, nichts anfangen. Sein neuester Film – der erste seit immerhin fünf Jahren, abgesehen von einer Episode im Omnibusfilm „7 Nächte in Havanna“ – ist durchaus etwas mehr Mainstreamkino, und doch kommen auch große Medem-Fans auf ihre Kosten.
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Meinungen

peter haaf · 02.07.2016

der film hat schöne bilder, erzählt aber ein unglaubliches märchen von krankheit, diagnostik und behandlung, der jeder betroffenen frau ins gesicht schlagen muss. man höre sich betroffene an und lese deren veröffentlichungen...so bleibt die geschichte überaus seicht. ebebnso oberflächlich die uns vorgestellten beziehungen, nach unfalltod von frau und tochter kann man sich sofort wieder binden und setzt dann noch ein kind in die welt, das seine mutter nicht kennen lernen kann. wir leben in einer oberflächlichen narzisstischen welt!