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In Alexandre O. Philippes Dokumentarfilm „Leap of Faith: Friedkin über ‚Der Exorzist‘“ erhalten wir einen detaillierten Erfahrungsbericht von dem im August 2023 verstorbenen Regisseur William Friedkin.

Leap of Faith: Friedkin über "Der Exorzist" (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der One-Take-Guy

William Friedkin wurde 1935 in Chicago, Illinois geboren; seine Eltern stammten aus der Ukraine. In seinen Zwanzigern begann er, beim lokalen Fernsehen tätig zu werden und dort alsbald diverse Live-Shows und Dokumentationen zu realisieren. 1965 inszenierte er eine Episode der populären Krimireihe „Alfred Hitchcock zeigt“ und kam dabei einem seiner großen Idole, dem Master of Suspense, nahe. Dessen Einfluss sollte sich in Friedkins späterem Œuvre noch deutlich bemerkbar machen.

Nachdem ihm 1971 mit dem Polizeifilm French Connection – Brennpunkt Brooklyn über zwei obsessiv vorgehende Cops der endgültige Durchbruch auf der Leinwand gelungen war, avancierte auch Friedkins Folgearbeit Der Exorzist (1973) rasch zum weltweiten Hit, der ein ganzes Genre zu revolutionieren vermochte. Mit spektakulären Spezialeffekten und komplexen Figurenkonstellationen erzählt Friedkin darin, wie zwei Pater versuchen, ein zwölfjähriges, von einem Dämon besessenes Mädchen in Washington, D.C. zu retten. Beachtlich ist, dass der Film, der auf dem gleichnamigen Roman von William Peter Blatty basiert, bei aller Fantastik zudem eine sehr genaue Beobachtung seines Milieus erkennen lässt und diesem dadurch eine verblüffend authentische Wirkung verleiht.

Der Regisseur Alexandre O. Philippe, der unter anderem schon Dokumentarfilme über die Entwicklung von Hitchcocks Psycho (78/52 – Die letzten Geheimnisse von „Psycho“) und Ridley Scotts Alien (Memory – Über die Entstehung von „Alien“) gemacht hat, befragt Friedkin in Leap of Faith: Friedkin über „Der Exorzist“ über dessen Inspirationen, über die Vorbereitungen auf die Umsetzung des Stoffes – und schließlich über die Herausforderungen während und nach den Dreharbeiten. So erfahren wir anfangs etwa, dass das Melodram None But the Lonely Heart (1944) von Clifford Odets mit Cary Grant in der Hauptrolle Friedkins allerersten Kinobesuch markierte – und dass der adoleszente Friedkin seinerzeit im Saal des Lichtspielhauses vom „sheer terror of the process“ völlig überwältigt gewesen sei.

Während sich Orson WellesCitizen Kane (1941), den Friedkin nach seinem Highschool-Abschluss im Rahmen einer Wiederaufführung sah, als cineastische Offenbarung für ihn erwiesen habe, nennt der Filmemacher im Interview das dänische Drama Das Wort (1955) von Carl Theodor Dreyer als einzigen klaren Bezugspunkt für die visuelle Gestaltung von Der Exorzist. Philippe fängt Friedkin in Leap of Faith als Talking Head in einem großen Zimmer mit Kamin im Hintergrund ein; nur selten hören wir aus dem Off eine Frage. Es kommen außerdem zahlreiche Filmausschnitte – in erster Linie aus Der Exorzist, aber auch aus anderen Werken von Friedkin und dessen Vorbildern – sowie Archivmaterial, etwa Fotos vom Set, zum Einsatz.

Friedkin zeigt sich im Gespräch als mitteilsamer und offener Erzähler. Er schildert, wie Blatty im ersten Entwurf der Adaption seines eigenen Romans unnötige Flashbacks eingebaut habe, die prompt wieder verworfen werden mussten. Er spricht über den Prolog der Geschichte im Irak, den er – im Gegensatz zu etlichen anderen – für enorm wichtig halte, und wie er die Spannung und die zunehmende Eskalation um die Besessenheit der jungen Protagonistin aufgebaut hat. Spannend ist, dass Friedkin sich einerseits auf Hitchcock bezieht, etwa wenn es um die Mise-en-scène geht, sich andererseits jedoch von diesem abgrenzt, wenn er sich selbst als „One-Take-Guy“ beschreibt, der mehr an Spontaneität als an Perfektion interessiert sei.

Von der Entscheidung, den unbekannten Jason Miller als Pater Damien Karras zu casten, über das Make-up-Konzept, die Einbindung subliminaler Bilder und Töne und das von Radiohörspielen beeinflusste Sounddesign bis hin zur Verwendung des Rembrandt-Lichtes widmet sich Leap of Faith erfreulich vielen Aspekten der Entstehung von Der Exorzist. Amüsant ist, wie sich Friedkin darin erinnert, dem renommierten Komponisten Bernard Herrmann nach einem enttäuschenden Treffen eine Absage erteilt haben zu müssen: „I didn’t give a shit if he was Bernard Herrmann or Ludwig van Beethoven…“ Und gegen Ende verrät Friedkin sogar, welche Stelle seines gefeierten Meisterwerks er selbst für eine Schwäche hält, die er nicht verteidigen könne.

Leap of Faith: Friedkin über "Der Exorzist" (2019)

Dokumentarfilm über William Friedkins „The Exorcist“.

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