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Borat ist wieder da! Sacha Baron Cohen lässt den ikonischen Fernsehreporter aus Kasachstan zurückkehren. Die Mockumentary zeigt vor allem, wie sehr sich die „US&A“ verändert haben.

Borat: Anschluss-Moviefilm (2020)

Eine Filmkritik von Arabella Wintermayr

Die Grenzen des Sagbaren

Vierzehn Jahre nach Veröffentlichung des ersten Borat (2006) schlüpft Sacha Baron Cohen erneut in die Rolle des kasachischen Journalisten, um in die „US&A“ zu reisen und die Schmach, die er mit dem Film über seine Nation brachte, wieder gut zu machen. Doch der Westen hat sich verändert, die Grenzen des öffentlich Sag- und Tragbaren haben sich verschoben.

Wie schockierend können die misogynen Zuspitzungen einer offensichtlichen Kunstfigur neben denen eines schmerzlich realen, „pussygrabbenden“ Präsidenten noch sein? Wie sehr erschreckt es noch, wenn sich Borat in Vorbereitung auf seine Reise „Zigeunertränen“ spritzt, wenn Donald Trump dazu rät, sich Desinfektionsmittel gegen das „China-Virus“ zu injizieren? Wie provokant ist es noch, wenn Cohen seine Filmtochter in einen Käfig stecken lässt, weil man das in Kasachstan mit unverheirateten Frauen so mache, wenn die US-Grenzschutzbehörden nicht davor zurückschrecken, mexikanische Kinder ebenso in Käfige zu sperren?  

Dass sich für die Fortsetzung der Mockumentary genug Passant*innen finden lassen, die Borats sexistischen, rassistischen, antiziganistischen und antisemitischen Aussagen zustimmen – oder zumindest nichts dagegen einwenden – überrascht heute weniger als 2006. Dass Donald Trump trotz seiner vorher bekannten verbalen wie tätlichen Übergriffe zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, setzt schließlich eine Sympathie oder mindestens eine Toleranz für genau solche Entgleisungen voraus. Und zwar von oberster Stelle.

Keine Frage, was Cohen in Borat: Anschluss-Moviefilm veranstaltet, ist in der Sache ebenso krass wie im ersten Film. Der Comedian gibt sich alle Mühe, noch über die Grenzen des Vorgängers hinauszugehen, nur sind die Zuschauer*innen in der Zwischenzeit eben an so einiges gewöhnt. Stellenweise hat die Realität die Satire überholt. 

Es beginnt erneut in einer fiktiven Version von Kasachstan, das sich wie damals als Sammelbecken der denkbar schlimmsten westlichen Vorurteile präsentiert. Um sich von der Schuld reinzuwaschen, die er mit dem ersten Film über seine Nation brachte (und sich vor seiner Hinrichtung zu retten), muss der Fernsehreporter erneut in die USA reisen. Er soll dem Land ein Geschenk machen, dass seine Heimat in der Gunst Trumps steigen lässt. Über einige Umwege wird beschlossen, dass dafür Borats 15-jährige Tochter Tutar (Maria Bakalova) dem Vizepräsidenten Mike Pence überreicht werden soll. Schließlich stünden minderjährige Frauen im Dunstkreis Trumps gerade besonders hoch im Kurs.

Sidekick Tutar wird für Cohens Film – der über die Borat-Verkleidung oftmals noch eine zweite stülpen musste, um nicht sofort erkannt zu werden – zu einer ergiebigen Grundlage für neue, in all ihrer Plumpheit elaboriertere Gags. So kauft er seiner Tochter wider seiner „kulturellen Gepflogenheiten“ einen Cupcake. Wahrscheinlich für eine ominöse Gender-Reveal-Party gedacht, ist er mit einer kleinen Baby-Figur verziert, die die Tochter prompt verschluckt. Unverzüglich machen sich die beiden auf den Weg in eine „Klinik für Frauengesundheit“, die sich schnell als Anti-Abtreibungs-Einrichtung entpuppt. Tutar berichtet dem Pastor, der eine routinierte Pro-Life-Ansprache abspult, dass sie ein „Baby in sich hätte“, Borat ergänzt, dass er derjenige gewesen sei, der „das Baby in sie gemacht“ hätte. Das entgeisterte Gesicht des Pastors ist unbezahlbar — wie Cohen seine Interviewpartner*innen vorführt ebenfalls.   

Weitere Stationen führen das Duo in altbekannter Hit-and-Run-Manier unter anderem in eine Schönheitsklinik, wo der Beauty-Doc gleich noch ein paar mehr Eingriffe als nur die Brustvergrößerung vorschlägt, und zu einem Treffen republikanischer Frauen, auf dem Tutar den entsetzten Anwesenden weibliche Masturbation erklärt. Der größte Fang des Borat: Anschluss-Moviefilm ist allerdings eine bereits im Vorfeld heißdiskutierte Szene mit Rudolph Giuliani. Tutar gibt sich als junge Journalistin eines fiktiven rechten Nachrichtenmediums aus, um mit dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister und heutigen Rechtsberater Trumps ein Interview zu Corona zu führen. Auf ihre gespielte Unsicherheit reagiert er mit herablassender Gönnerhaftigkeit, wird bald zudringlicher. Als sie ihn fragt, ob sie gleich nebenan in ihrem Hotelzimmer noch etwas trinken wollen, fragt er sie nach ihrer Nummer und Adresse. Nachdem sie ihm das Mikro abgenommen hat, nestelt er zunächst an seinem Hosenbund herum, legt sich dann zurück und greift sich tief in den Schritt. Borat stürmt als Tontechniker verkleidet in den Raum, „Sie ist 15, sie ist zu alt für dich!“, rufend. Giuliani erklärte im Nachhinein, er habe nur sein Hemd richten wollen. Die Bilder zumindest suggerieren anderes. 

Szenen wie diese sind es, die den zweiten Teil trotz der drohenden Gewohnheit an Entgleisungen weiterhin zu einer erschreckenden, weil noch näher an der politischen Alltagsrealität liegenden, Comedy machen. Der Klamaukfaktor ist natürlich wieder enorm hoch. Die Grenzen des guten Geschmacks werden nicht nur regelmäßig überschritten – sie konsequent zu ignorieren und dadurch zu provozieren, ist Sacha Baron Cohens zentrales Werkzeug. Tatsächlich sind die Sorglosigkeit des Films gegenüber der Gefahr missverstanden zu werden und die indirekte Reproduktion von diskriminierenden Stereotypen die schwerwiegendste Kritik, die man an ihm üben kann.

Und dennoch ist Borat: Anschluss-Moviefilm merklich politischer, alarmierter als sein Vorgänger geworden. Das mag einerseits daran liegen, dass Cohen als Schauspieler zuletzt auch in ernste Rollen schlüpfte. In der Netflix-Miniserie The Spy (2019) spielt er Mossad-Spion Eli Cohen und auch im Politthriller The Trial of the Chicago 7 (2020) spielte er eine Hauptrolle. Andererseits wurde der Film nicht zufällig unmittelbar nach der letzten Präsidentschaftsdebatte in den USA auf Amazon Prime Video veröffentlicht, nicht umsonst ist am Ende des Films „Go Vote“ zu lesen. Borats Kasachstan zeigt sich im Finale progressiv – welche Richtung die USA in den nächsten vier Jahren einschlagen werden, zeigt sich dann nach dem 3. November.

Borat: Anschluss-Moviefilm (2020)

Die Fortsetzung von „Borat – Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“. 14 Jahre nach seinem ersten Abenteuer kehrt der viertbeste Journalist Kasachstans zurück, um die Welt vor 2020 zu retten.

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Meinungen

Kai · 24.10.2020

Ich habe mir den Film heute früh "angetan". Natürlich spielt Cohen wieder mit der Dummheit der amerikanischen Bevölkerung und bricht dabei jegliche Tabus. Einige Elemente gehen dabei für mich weit über die Grenzen hinaus, so dass ich den FIlm am Ende nicht empfehlen würde.Eingfleischte Cohan-Fans (ich mag vieles von ihm aber nicht alles) finden sicherlich ein wenig Spass, aber das soll es dann auch gewesen sein