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Eine Einladung vom Museum of Modern Art ist Auslöser für ein Event, bei dem einer der derzeit bekanntesten Köche der Welt den Rührlöffel schwingt — und mit ihm andere ungewöhnliche Vertreter*innen der Patisserie. Ein trotz aller Kürze opulentes Werk, das etwas auf den Magen schlägt.

Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles (2020)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

„Let them eat cake“

Nein, natürlich stammt der Satz „Dann sollen sie doch Kuchen essen“ (eigentlich ja Brioches) nicht von Marie Antoinette, sondern wurde dieser lediglich von Zeitgenossen in den königlichen Mund gelegt, das weiß auch Yotam Ottolenghi. Dennoch kommt einem dieses Fake-Zitat immer wieder in den Sinn, wenn man sich Laura Gabberts mit 75 Minuten zum Glück recht kurz geratenen Dokumentarfilm „Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles“ anschaut. Der Film schwelgt gemeinsam mit dem titelgebenden Protagonisten in einem Rausch von Cremes und Kreationen, lukullischen Extravangazen und philosophischen Plattitüden über das Kochen und Backen, über Historie, Reichtum und Macht, aber auch (das allerdings eher unfreiwillig) über die unsägliche Eventisierung des Kulturbetriebs, als deren Bestandteil sich das Ereignis ausnimmt, das dem Film seine Grundidee und Struktur verleiht.

An dessen Beginn steht eine Mail, die Yotam Ottolenghi, der derzeit wohl meistverkaufte Kochbuchautor der Welt, vom New Yorker Metropolitan Museum of Modern Art erhält. Es ist — ja, was eigentlich genau? — eine Einladung, ein Auftrag, eine Bitte, sich an einer bevorstehenden Ausstellung zum Thema „Der Hof von Versailles“ zu beteiligen. Für Ottolenghi, der seine Karriere nach einem geisteswissenschaftlichen Studium (was man ihm auch anmerkt) als Patissier begann, ist das einerseits eine große Herausforderung, andererseits aber auch ein Projekt, das nach anderen Mistreiter*innen verlangt. Und so macht er sich — angeblich via Instagram — auf die Suche nach den besten Kuchenmeister*innen und den aufregendsten Innovationen der Backkunst und stößt so auf eine bunte Mischung an Menschen, die mit ihm das kulinarische Event zur Ausstellungseröffnung akribisch planen und vorbereiten.

Drei Stationen sind es, die Laura Gabbert in ihrem Film durchstreift: London, der Wohnort Ottolenghis, New York als Heimat des MET und natürlich Versailles selbst als Inspirationsquelle und Impulsgeber des Unternehmens. Hinzu kommen etliche Beteiligte, die in schneller Taktung auftreten, neben Ottolenghi selbst, der wie eine Art Host durch den Film führt, stellvertretend für die Filmemacherin Fragen stellt, zuhört, nickt und zwischendrin immer wieder Sachverhalte kundig erläutert, sind dies die Kurator*innen der Ausstellung sowie die beteiligten Konditor*innen, die ganz verschiedene Herangehensweisen an das Projekt verdeutlichen: Da ist beispielsweise eine von ihnen, die mit architektonischer Präzision geometrische Stadtlandschaften aus Kuchen entwirft, deren wahre Bedeutung sich erst enthüllt, wenn das Kunstwerk angeschnitten wird und sich die darin enthaltenen Schichten offenbaren. Oder ein schräges Duo aus Großbritannien, das vor allem mit Gelees hantiert und auf die spinnerte Idee kommt, einen Brunnen aus Alkohol zu bauen, dessen Inbetriebnahme fast an einem maroden Stromkreislauf scheitert. Solche vermeintlichen oder tatsächlichen Nichtigkeiten bauscht der Film zu dramaturgischen Wendepunkten auf und versucht auf diese Weise recht offensichtlich, Spannung zu erzeugen.

Doch all das kann nicht verbergen, dass der Film — wäre er ein Kuchen — kein sonderlich gelungener ist: Zu klebrig ist einerseits die Musikglasur, die großzügig über die Bilder gekippt wurde, zu leicht andererseits das Umherschweifen zwischen verschiedenen Städten und Protagonist*innen, die allesamt nur angerissen werden und so kaum je die Tiefe bekommen, die die eingestreuten philosophischen Bonmots eher behaupten denn einlösen. Am Schluss behauptet der Film dann noch eine Wende ins Moralische und betrachtet mehr oder minder unvermittelt den Hofstaat von Versailles mit all seiner Pracht aus einer eher kritischen Perspektive, nachdem zuvor unverhohlen der Dekadenz und Opulenz gefrönt wurde, deren Höhepunkt auf vermutlich eher unfreiwillige Art und Weise die Vernissage der Ausstellung bildet. Bei dieser wandeln die Reichen und Schönen der Stadt in mehr oder minder barocker Kleidung und mit geschmackvollen Accessoires wie dem abgeschlagenen Kopf einer Puppe (ein Verweis auf Marie Antoinette natürlich und die anderen Opfer der Guillotine) in einem Henkelkorb durch die Wunderwelt aus Kuchen und Süßwaren.

Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles (2020)

Der Film dokumentiert die Zusammenarbeit zwischen dem Spitzenkoch Yotam Ottolenghi und dem Metropolitan Museum of Art in New York und zeigt, wie fünf Spitzenkonditoren anlässlich der Kunstausstellung „Visitors to Versailles“ extravagante kulinarische Schöpfungen ersinnen.

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