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„The Many Saints of Newark“ überzeugt nicht unbedingt als unabhängige Erzählung über organisierte Kriminalität – als düster-nostalgisches Prequel zu „Die Sopranos“ dafür vollends.

The Many Saints of Newark (2021)

Eine Filmkritik von Dobrila Kontić

Falsche Idole, unterwanderte Erwartungen

Ein letzter Blick Tony Sopranos zur Diner-Tür und alles wurde schwarz – vierzehn Jahre ist es her, dass HBOs Erfolgsserie Die Sopranos nach sechs Staffeln mit dieser vieldiskutierten Szene endete. Und während Fans und TV-Kritiker*innen bis heute darüber diskutieren, ob Serienschöpfer David Chase damit nun ein Geniestreich gelungen ist oder er sich auf ärgerliche Weise vor einem definitiven Ende gedrückt hat, bleibt unbestritten, dass Die Sopranos TV-Geschichte geschrieben hat. Zentriert um den italoamerikanischen Gangster-Boss Tony Soprano (James Gandolfini) erzählte diese Serie von einem Anti-Helden, dessen familiäre und „berufliche“ Probleme dem Publikum ungeahntes Identifikationspotenzial boten.

Dabei beging Tony Soprano zahlreiche Taten, die zeigten, dass er im Kern eben nicht gutartig, sondern trotz sympathischer Züge ein unverbesserlicher Soziopath war. Eine letzte dieser Missetaten ereignete sich in der finalen Staffel, als er seinen Schützling und Handlanger Christopher Moltisanti (Michael Imperioli) ermordete. Und ebendieser führt mit einem Voiceover aus dem Grab an das Geschehen von The Many Saints of Newark heran, dem von David Chase gemeinsam mit Lawrence Konner (der als Drehbuchautor ebenfalls an einigen Sopranos-Episoden mitwirkte) erdachten Prequel-Spielfilm zur Serie.

Dieser beginnt im Juni 1967 in Newark, einer Stadt im US-Bundesstaat New Jersey. Tony Soprano ist gerade mal elf Jahre alt und in eine Familie hineingeboren, die schon tief in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Sein Vater Johnny Soprano (Jon Bernthal), ein meist schlechtgelaunter, aufbrausender Typ, leitet als Made Man eine eigene Truppe, während dessen Bruder (und Tonys Onkel) Corrado „Junior“ Soprano (Corey Stoll), zum ewigen Handlanger degradiert, von allen verspottet wird. Daheim glänzt Tonys Vater meist durch Abwesenheit. Und so sind Tony und seine Schwestern meist ihrer Mutter Livia (Vera Farmiga) ausgeliefert, die hier schon als die lieblose Dauernörglerin auftritt, als die sie alle noch bis ins späte Erwachsenenleben belasten wird.

Letztlich gibt es nur eine Person aus dieser Generation, zu der Tony wirklich aufsieht: sein Onkel Dickie Moltisanti (Alessandro Nivola), ein stets gut gekleideter und nach außen hin charmanter Krimineller, der für Tony meist ein offenes Ohr und aufmunternde Worte übrig hat. Um ihn zentriert sich die mit vielen Themen hantierende Handlung von The Many Saints of Newark, dessen Titel auf den italienischen Nachnamen „Moltisanti“ (= „viele Heilige“) anspielt. David Chase und Lawrence Konner rollen in diesem Prequel eine Backstory für Dickie Moltisanti aus, in die Tony niemals gänzlich Einblick hat. Zwar ist er dabei, als Dickie seinen tyrannischen Vater Aldo (Ray Liotta) nach dessen Italien-Aufenthalt in Newark empfängt und dessen blutjunge attraktive Stiefmutter Giuseppina (Michela De Rossi) kennenlernt. Aber der kleine Tony ahnt nicht, wie tief der Vater-Sohn-Konflikt zwischen Aldo und Dickie greift und über wie wenig Impulskontrolle und Empathie letzterer verfügt.

Diese Charakterdefizite bereiten Dickie, der später Vater von Christopher wird, nicht nur Probleme in seinem Privatleben, sondern auch in geschäftlichen Belangen: Sein afroamerikanischer Geschäftspartner Harold McBrayer (Leslie Odom Jr), der Dickie beim Eintreiben von Wettschulden assistiert, ist zunehmend genervt von der diskriminierenden Herablassung, mit der ihm Dickie und andere Italoamerikaner begegnen. Als es schließlich im Juli 1967 aufgrund von rassistischer Polizeigewalt zu einem mehrtägigen gewaltsamen Aufruhr in Newark kommt, beginnt für Harold ein Umdenken hinsichtlich seiner weiteren Zusammenarbeit mit Dickie, was bald fatale Konsequenzen hat.

Regisseur Alan Taylor, der ebenfalls aus dem Serienfach stammt und unter anderem Episoden für Mad Men und Game of Thrones drehte, inszeniert die bis in die frühen 1970er ragende Handlung von The Many Saints of Newark mit einem Hang zur nostalgischen Düsternis: Bedächtige Zoom-Ins kriechen in den geschützten Mikrokosmos dieser dysfunktionalen Familien, die Retro-Sepia-Töne werden von einer kühlen Bläulichkeit überlagert und in den sanften Blick auf Tony, der in der zweiten Hälfte des Films zum aufmüpfigen Teenager herangewachsen ist (und von James Gandolfinis Sohn Michael Gandolfini gespielt wird), mischt sich zunehmend ein fatalistisches Bedauern. Denn obwohl dieser noch vom College und einer Sportlerkarriere träumt, zeichnet sich sein tatsächliches Schicksal sehr deutlich ab – zumal er mit Dickie einem Idol nacheifert, dessen wahrer Charakter ihm tragischerweise ein Rätsel bleiben wird.  

Wer Die Sopranos kennt und schätzt, wird dieses rund zweistündige, großartig besetzte Prequel mit Interesse und ein wenig Wehmut verfolgen und in dieser Erzählung über fragile Egos, verhängnisvolle Eitelkeiten und unvergessene Kränkungen Aufschlussreiches über den Nährboden für Tony Sopranos fehlgeleiteten Werdegang erfahren. Allen anderen aber wird The Many Saints of Newark vermutlich als lose Aneinanderreihung von Impressionen aus einer von organisierter Kriminalität geprägten Stadt in New Jersey Ende der 1960er erscheinen. Dies liegt an der nur leidlich filmischen Struktur dieses Prequels, das eher zwei gerafften Rückblende-Episoden einer Serie gleicht, und in dessen Verlauf der Protagonist Dickie keinerlei sinnstiftende Charakterentwicklung absolviert. Aber ebendieser Bruch mit erzählerischen Erwartungen verweist zurück auf das Ende und die nachwirkende Essenz von Die Sopranos.

The Many Saints of Newark (2021)

Newark, New Jersey – Gangsterbanden italienischer und afroamerikanischer Abstammung kämpfen während der 1960er-Jahre um die Vorherrschaft der kriminellen Unterwelt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Mafia-Soldat Richard „Dickie“ Moltisanti von der berüchtigten, von „Johnny Boy“ Soprano gegründeten Soprano Crew die Teil der in den 1950er-Jahren gegründeten DiMeo-Mafia-Familie ist.


Sequel zur TV-Serie „Die Sopranos“.

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