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„Ich könnte meine Musik mit weißem Licht vergleichen, in dem alle Farben enthalten sind. Nur ein Prisma kann diese Farben voneinander trennen und sichtbar machen. Dieses Prisma könnte der Geist des Zuschauers sein.“ Der Mittachtziger Arvo Pärt ist längst ein Klassiker Neuer Musik. Warum eigentlich?

Das Arvo Pärt Gefühl - That Pärt Feeling (2019)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

My heart’s in Estonia, my heart is not here

„Das muss eine Liebesgeschichte sein“, sagt der weltberühmte estnische Komponist Arvo Pärt („Fratres“/„Spiegel im Spiegel“/„Te Deum“/„Tabula Rasa“) während einer musikalischen Probe mit dem Amsterdamer Cello-Oktett. Betont behutsam und völlig uneitel spricht da einer der berühmtesten Klangschöpfer der vergangenen 50 Jahre mit jungen Cellisten, die sich gerade an einer seiner ebenso simplen wie hochkomplexen Partituren abarbeiten.

„Sie müssen neugierig sein, keine Einzelspieler, keine Individualisten“. So einfach ist das im solitären Arvo-Pärt-Kosmos – und gleichzeitig doch so schwer zu kreieren. Erst recht in einer musikalischen Gruppenformation und nicht allein im Kopf des estnischen Ausnahmekomponisten, dessen populäre Neo-Klassik-Werke – Stichwort: „Neue Einfachheit“ – seit den frühen 1980ern zu den meistgespielten überhaupt zählen.

Doch worin liegt genau Pärts musikalisches Genie? Und wie ist es dem hageren, mönchsgleichen Mann mit dem inzwischen nicht mehr ganz so langen Popenbart überhaupt gelungen, sowohl in den renommiertesten Konzertsälen der Welt wie in den amerikanischen Hollywood-Studios wortwörtlich Gehör zu finden? Schließlich reicht die Zahl seiner Edelfans von Michael Mann und Werner Herzog über Tom Tykwer und Paolo Sorrentino bis hin zu Jean-Luc Godard oder Terence Malick, die sich für die Scores zu ihren Filmen immer wieder reichlich aus dem gewaltigen Pärtschen Klangkosmos bedienten. 

Was ist also das Geheimnis jenes introvertierten Mannes, der bis heute in gewissen Klassikkreisen als „New Age-Apostel“ oder „Mann-vom-Athos-Scharlatan“ verspottet wird? „Ich habe manchmal das Gefühl, das er wirklich ein Komponist ist, der von einem anderen Planeten kommt“, heißt es dazu an anderer Stelle aus dem Munde des tschechischen Choreographen Jiří Kylián, der inzwischen selbst eine globale Marke im internationalen Ballettgeschehen ist.

Der niederländische Filme- und Kinomacher Paul Hegeman hat für seine musikalisch-intime Annäherung an die Persona wie das Oeuvre Arvo Pärts von vornherein eine hochkonzentrierte Dokumentarfilmform gewählt. Anstatt wie beispielsweise die Kreativteams von Michael Nyman – Composer in Progress (2010) oder …klingt wie Phlip Glass… (1998) im Stile eines klassischen Porträts von der Kindheit bis zur Gegenwart vorzugehen, ist in Hegemans Regiestil analog zum Pärtschen „Tintinnabuli“-Klangzauber alles auf Verdichtung und weniger auf pure Kontemplation ausgelegt.

So werden hier einerseits und scheinbar überall Fährten oder Spuren gesucht, Querverweise vom Mittelalter bis zur Technokultur gefunden, ohne dass das Ganze andererseits je umfassend beantwortet werden würde, was trotzdem in der Summe nur für Hegemans eigenwillige Herangehensweise spricht. Natürlich wird das formal-ästhetisch mitunter arg spröde in Szene gesetzt und gegenseitige Lobhudeleien bleiben nicht aus. Trotz allem herrscht am Ende zumindest das aufrechte Gefühl einer „echten“ Begegnung mit Arvo Pärt: ernsthaft und auf Augenhöhe, weitgehend frei von (aufgesetzter) Mystik oder gängigem PR-Brimborium.

Mit geringen finanziellen Mitteln und noch weniger O-Ton-Passagen, die en gros durch disparate Sachkenntnisse und selten durch hohe Unterhaltungswerte glänzen, funktioniert Das Arvo Pärt Gefühl eher wie der Besuch einer Generalprobe, in der der Herr der Töne zeitweise hautnah bei der Arbeit zu beobachten ist. Nicht allein als Tonsetzer, sondern in erster Linie als zutiefst sympathische und durchaus humorvolle Person, was im Grunde so gar nicht zum synästhetisch-spiritualistischen Eremiten-Image des Esten passt und in Hegemans Film positiv überrascht.

Gerade in diesen äußerst nahen und generell gelungensten Szenen wird die spezifische Aura Arvo Pärts tatsächlich für wenige Momente greif- und erlebbar, was beileibe nicht nur langjährige Pärt-Jünger beglückt. Hier wird Arvo Pärts bekanntes Bonmot „In der Kunst ist alles möglich. Aber es ist nicht alles nötig, was getan wird“ gekonnt in eine filmästhetisch adäquate Form umgesetzt. Nachhall inklusive.

Das Arvo Pärt Gefühl - That Pärt Feeling (2019)

Dokumentarfilm über den estnischen Komponisten Arvo Pärt, der die Musikwelt mit radikal einfachen Kompositionen revolutionierte.

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