Unsere Zeit ist jetzt

Eine Filmkritik von Olga Galicka

Die Zeit der schlechten Romanzen ist leider jetzt

Es fällt schwer, bei Unsere Zeit ist jetzt die Idee des Films, geschweige denn die Handlung zu überblicken. Denn in dem Film um den erfolgreichen Rapper Cro treffen gleich drei Handlungsstränge aufeinander. Alles beginnt mit einem Filmwettbewerb, bei dem Cro-Fans eine Filmidee über ihren Lieblingsrapper vorschlagen können. In die letzte Runde kommen Vanessa, Ludwig und Dawid. Die Filmstudentin Vanessa (Peri Baumeister) hat das Asperger-Syndrom und kann nur schlecht mit Nähe und sozialen Kontakten umgehen. Als ihr Abschlussprojekt an der Filmhochschule möchte sie einen Dokumentarfilm über Cro machen. Ludwig (Marc Benjamin) arbeitet zwar in einem Versicherungsunternehmen, träumt aber davon, von seinen Zeichnungen leben zu können. Deswegen will er einen Animationsfilm über die Entstehung der Legende um Cros Pandamaske machen. Der Draufgänger Dawid (David Schütter) hingegen hält weder etwas von Arbeit noch langanhaltenden Beziehungen, feiert am liebsten wilde Partys und versucht mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. Zu Anfang hat er zwar keine richtige Idee, entscheidet sich aber, ein Drehbuch über Cros Leben in dreißig Jahren zu schreiben. Mit den zugegebenermaßen nicht wirklich originellen Charakteren, die man alle in dieser oder ähnlicher Form schon auf der Leinwand erlebt hat, werden die drei Handlungsstränge aufgemacht.
Hinzu kommen noch einige Twists: Denn natürlich verlieben sich Dawid und Ludwig beide in Vanessa und es kommt zu einem Liebesdreieck voller Missverständnisse und Enttäuschungen. Außerdem verbindet Ludwig und Cro ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit, über das keiner von beiden wirklich sprechen will.

Natürlich ist es schwierig, einen Film über einen erfolgreichen Mittzwanziger-Rapper zu machen, ohne diesen zu überhöhen. Das wollte man sicherlich mit den von Cro unabhängigen Handlungssträngen verhindern. Aber sie können nicht allesamt überzeugen. Der Handlungsstrang um Dawid wiederholt nur den Topos des verlorenen, saufenden und herumvögelnden Mannes, der nur auf die richtige Frau wartet, die rein genug ist, um nicht mit ihm direkt ins Bett zu steigen, sondern auch noch das Potenzial hat, den verlorenen Sohn wieder auf den richtigen Weg zu bringen — den Mann also gewissermaßen von seinem Lebensstil zu heilen und ihm die Vorzüge des bürgerlichen Lebens aufzuzeigen. Dieses Klischee hält sich immer noch erstaunlich hartnäckig in der Filmwelt.

Dazwischen mischen sich schlechte Witze in Til-Schweiger-Manier, der den fünfzigjährigen Cro verkörpern soll. Es werden Orgien mit quakenden Frauen gefeiert und vielerlei andere schlechte Witze gemacht — leider zu oft auf Kosten der Frauen. So auch zum Beispiel, wenn Dawid eine schnarchende One-Night-Stand-Frau in Unterwäsche ins Treppenhaus legt, damit sie ihm nicht weiter auf die Nerven gehen kann. Zwar wird seine Handlung später mit einem Schlag ins Gesicht quittiert, doch am Ende ist es die Frau, die so peinlich und unweiblich geschnarcht hat, dass sie allein deswegen entsorgt werden muss, während das Publikum sich fröhlich ins Fäustchen lacht.

Gewissermaßen ein Klassiker im neuen Gewand ist das Asperger-Syndrom von Vanessa. Um das Klischee einer noch reinen, weil nicht beim ersten Date Sex zu habenden Frau, die „ganz anders ist, als alle anderen Frauen“, glaubwürdig zu verkörpern, wird die Heldin mit dem Attribut Asperger versehen. Denn mit Asperger ist Vanessa wirklich ganz anders als alle anderen. Dass Asperger eine unfassbar komplizierte Krankheit ist und in Unsere Zeit ist jetzt nur bestimmte Klischees davon dargestellt werden, ist kaum überraschend, ist es doch nicht viel mehr als Mittel zum Zweck. Es drängt sich dennoch die Frage auf, was daran so schlimm ist, wenn eine Filmheldin auch mal beim ersten Date Sex hat. Der Tropus der sexuell unzugänglichen Frau ist mittlerweile so abgenutzt, dass er in einem Film rund um einen Rapper recht befremdlich wirkt. Wie altbacken die Lebensphilosophie von Cros Film und seinen Songs ist, zeigt sich durch erstaunlich viele Schattierungen einer Fünfzigerjahre-Prüderie, wie man sie in letzter Zeit nur noch selten erleben kann.

Hört man allerdings auf die im Hintergrund gespielten Songs, allesamt von Cros zwei letzten Alben, so überraschen einen die plakativen Darstellungen im Film nicht mehr. Man darf nicht vergessen, dass Rapper wie Cro, die eine zum großen Teil sehr junge und weibliche Fangemeinde haben, auch eine Verantwortung genau diesen Fans gegenüber tragen. Man könnte gar von einem Bildungsauftrag sprechen. Was die Fans jedoch aus dem Film und seinen Songs lernen, ist, dass Mädchen immer darauf warten müssen angesprochen zu werden, weil es sich so gehört, und Jungs „Versager“ sind, wenn sie sich „doch nicht trau[en]“. Und falls das mal nicht passiert, dann bleibt den Mädchen nur noch das mantrische „bitte, bitte, bitte, bitte komm. Sprich mich an. Es ist ganz egal, was du jetzt sagen würdest. Ich spring darauf an“. Jungs können ebenso noch lernen, dass sie mit einer „Black Amex“ ihrer Geliebten die „ganze Welt“ kaufen sollten, um sich so ihrer Liebe zu versichern. Dass es sich grundsätzlich immer lohnt „Geld auf der Bank“ zu haben, damit einem die Auserwählte auch irgendwann „gehört“. Hört man aufmerksam hin, muss man sich fragen, wo denn nun der große Unterschied zwischen dem allseits beliebten und von Eltern gutgeheißenem Cro und den als frauenfeindlich verschrienen Rappern wie Haftbefehl oder Frauenarzt ist. Während die letzteren ihre Gedanken zu Gleichberechtigung und ähnlichen Themen offen zu Tage treten lassen, vertritt Cro recht ähnliche Ansichten, versteckt sie jedoch hinter poppigen Beats und einer besseren Ausdrucksweise.

All das ist sehr bedauerlich, denn ähnlich wie einige andere Texte von Cro hätte der Film Potential gehabt. Der Handlungsstrang um Cros ehemaligen besten Freund, ihre Rivalität und den darauffolgenden Bruch war die einzige Geschichte, die im Film zu berühren vermochte. Es ist eine Geschichte, so alt wie die moderne Welt, aber deswegen nicht weniger wahr und immer noch aktuell. Inszeniert ist die Handlung als Legende über zwei Jungs, die einen Traum leben wollen, der jedoch dadurch überschattet wird, dass einer von ihnen mehr Talent hat als der andere. Wie geht man damit in einer Freundschaft um? Was machen Konkurrenz und Leistungsdruck aus einer Freundschaft, wenn um einen herum niemand an dich glaubt, das Geld knapp ist und die eigenen Träume immer weiter in den Hintergrund rücken. Die Fragilität einer jungen Freundschaft wurde in ausdrucksstarken Bildern festgehalten. Davon hätte man gerne mehr gesehen. Es hätte eine gute Coming-of-Age-Geschichte werden können. Eine, die egal wie oft man sie auch reproduzieren mag, immer noch berührt. Weil erwachsen werden und an sich glauben hart ist, vor allem wenn es sonst niemand tut. Auch darum geht es in einigen von Cros Texten.

Doch offenbar war es wichtiger, einen möglichst großen Teil der Fans abzuholen, deswegen versicherte man sich anderer Geschütze: billigem Humor und eine langweilige Liebesgeschichte. Hätte man sich für den ernsten Plot entschieden, hätte man dem eigenen Publikum etwas zutrauen müssen. Und das ist bei jungen weiblichen Fans wohl ein zu großes Risiko. Dabei würde man sich doch wünschen, dass die deutschen Filmemacher auch im populären Bereich sich mehr trauen. Denn das Problem vieler Unterhaltungsfilme ist, dass sie meist weder richtig lustig noch richtig ernst sein wollen. Am Ende kommen dann Filme heraus wie Unsere Zeit ist jetzt mit zu vielen Handlungssträngen und generischen Abziehcharakteren. Aber für reichlich weibliche Fantränen ob der Romantik am Ende des Films hat es dennoch gereicht: Die Autorin hatte die seltene Gelegenheit, eine Gruppe weinender Mädchen in der Reihe vor ihr zu beobachten. Eine weitere Generation auf die gleichen alten Rollenbilder hinsozialisiert.

Unsere Zeit ist jetzt

Es fällt schwer, bei Unsere Zeit ist jetzt die Idee des Films, geschweige denn die Handlung zu überblicken. Denn in dem Film um den erfolgreichen Rapper Cro treffen gleich drei Handlungsstränge aufeinander. Alles beginnt mit einem Filmwettbewerb, bei dem Cro-Fans eine Filmidee über ihren Lieblingsrapper vorschlagen können. In die letzte Runde kommen Vanessa, Ludwig und Dawid.
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Meinungen

Lena · 16.10.2016

Mein Kommentar zur Bewertung von Frau Galicka:
- Oh Mein Gott!
Ich hatte den Kommentar noch NICHT zu Ende gelesen, da war kloßbrühenklar - dies hat eine Frau geschrieben. Und zwar eine verklemmte, aber sich nach außen 'progressiv', emanzipiert und richtig/ falsch/ neu "hinsozialisiert" Gebende.
Danke, Olga Galicka.
Aber ich bilde mir meine Meinung zu Filmen (=Kunst) immer noch selbst. Lassen Sie Ihren moralischen Zeigefinger lieber in der Tasche. Lassen Sie Filme einfach Verfilmungen sein, lassen Sie Filmemacher herumalbern, lassen Sie die Scriptschreiber ihre Drehbuchvorlagen im Leben und im Alltag finden. Und wenn Ihnen dieses Leben & der Alltag der Protagonisten NICHT gefallen - einfach Pech. Ich möchte als Frau/ Mädchen auch karikiert und überzeichnet werden - und über mich selbst lachen! Und wenn ich eine One-Night-Trotteline bin, die schnarcht und sabbert, dann darf ich im Film mit meinen Dessous in den Abstellraum [oder wahlweise in das Treppenhaus] abgestellt werden - und das ist nun wahrlich nicht altbacken oder prüde. Als ob man Männer/ Jungs nach durchzechten Nächten filmisch nicht oft genug peinlich und klischeehaft dargestellt und herabgewürdigt hätte.... Aber da klatscht die progressive Kritikerin Beifall.