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Jeff Baumann verliert seine Beine beim Bombenanschlag auf den Boston-Marathon. Wie in Amerika üblich, wird er dadurch zum Helden. Eigener Film inklusive. Dieser will jedoch die krude Helden-Idee dekonstruieren. Schafft er das?

Stronger (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die toxische Idee von männlicher Stärke

Im Jahr 2013 detonieren beim Boston-Marathon mehrere Bomben, die 264 Menschen verletzen und 3 töten. Unter den Verletzten ist Jeff Baumann (Jake Gyllenhaal), ein junger Mann, der unter den Zuschauern mit einem Schild auf Erin (Tatjana Maslany) wartete, die an dem Marathon teilnimmt. Sie ist seine On-Off- Freundin und Jeff wollte ihr zeigen, dass er nicht so ein Schluffi ist, wie sie denkt. Ein fatales Vorhaben, das Jeff beide Beine kostet.

Nachdem er aus dem Koma erwacht, in das er zwecks Amputation seiner Beine versetzt worden war, kann er einen der Bombenleger beschreiben und hilft damit bei der Ermittlung der Schuldigen. Das macht ihn unweigerlich zum Helden im klassisch amerikanischen Sinne. Jeff ist – wie ihn seine Mitmenschen sofort taufen – „Boston Strong“. Auch Jeffs harte, aber herzliche Familie stilisiert ihn zum Helden hoch. Doch die Realität sieht anders aus und an dieser ist Regisseur David Gordon Greene (Prince Avalanche) mehr interessiert als an einer neuen Version des American Hero, voller Patriotismus und Maskulinität. Diese Seite hat ja auch Boston schon zur Genüge ausgekostet.

Stronger bezieht sich auf Baumanns Autobiographie, die er schon mit dem Wissen schrieb, dass sie adaptiert und verfilmt werden würde. Was ihm angeboten wurde, zumindest für den Film, war ein Werk, das nicht die Hochglanzvariante seiner Geschichte erzählt, sondern beide Seiten der Medaille zeigt. Und das tut Stronger in der Tat. Vom ersten, unfassbar schmerzhaften Verbandswechsel seiner Amputationswunden über die Heimkehr in eine Wohnung, die überhaupt nicht rollstuhlgerecht ist, bis hin zu den psychischen Nachwehen buchstabiert der Film die Nachwehen dieses Attentats aus.

Dabei konzentriert er sich, neben der posttraumatischen Belastungsstörung, vor allem auf Jeff, der sich schon vor dem Attentat als Loser sah und jetzt noch mehr. Im scharfen Kontrast zu einer Familie, die will, dass er für sie und alle anderen als Held fungiert und funktioniert. Jeff soll den guten Krüppel spielen, der klar kommt und mutig sein neues Leben bestreitet, doch der junge Mann rutscht immer tiefer in eine Depression hinein. Hinzu kommt, dass das Attentat ihn und Erin auf eine hochkomplizierte Art miteinander verschweißt hat. Auch Erin hat großes Leid zu ertragen. Was tun mit einem Mann, den man schon liebt, mit dem man aber nicht leben kann, der dann seine Beine verliert, weil er für sie an der Zielgerade stand? Ist es Liebe, ist es Mitleid oder Schuldgefühl, das die beiden nun miteinander verbindet und wieder zusammenbringt?

Stronger bemüht sich, all diese komplexen Gefühle und Verbindungen aufzuarbeiten, doch es gelingt ihm nur bedingt. Vor allem Erins Geschichte und Verbindung zu Jeff – der wohl komplizierteste Teil dieser Geschichte – kommt oft zu kurz und verliert sich im Zeigen von Alltäglichem, ohne den Beteiligten – allen voran Erin selbst – Raum für Reflexion und Kommunikation zu geben. Aber auch Jeff erleidet Rückschläge der fatalen Art. Wurde ihm zwar versprochen, dass diese Verfilmung nichts beschönigt, legt sie doch ab der Hälfte des Films den Schwerpunkt lieber auf den Beginn eines Happy Ends. Hier spürt man den Verrat, den das Hollywood-System zugunsten einer angenehmeren Zuschauersituation begeht, anstatt konsequent zu bleiben. Einzig Jake Gyllenhaals und Tatjana Maslanys Leistungen vermögen den Verfall ins Klischee noch eine Weile aufzuhalten. Sie geben alles, um den echten Personen hinter dieser Geschichte Tiefe zu geben und ihren Geschichten gerecht zu werden. 

Und so kämpft der Film mit sich selbst einen Kampf um die Vorherrschaft der Motive. Soll Jeff am Ende ein Held werden, obwohl man zeigt, dass er leidet und keineswegs ein sauberer Held ist? Oder erlaubt man ihm, ein Mensch zu bleiben, der jeden Tag aufs Neue versucht, mit seinem Leben klar zu kommen? Doch so sehr Gordon Green und sein Ensemble versuchen, wenigstens mit einem Bein auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, sie verlieren.

Am Ende betrügt der Film sich selbst und sein Publikum gleich mit. Es gewinnt doch die Idee von Heldentum, es gewinnt die Idee des „Boston Strong“, wenn auch eine Patina der Empathie über ihr liegt. So ist Jeff nicht der hypermaskuline Held – wie auch, mit einem so beschädigten Körper? –, er ergibt sich aber der Idee, die mit ihm verbunden wird, und verkommt zum Symbol, das patriotische Flaggen schwingt und sich als Maskottchen für die psychisch und physisch Verwundeten Amerikas hergibt, die ihm sein Leid erzählen, und er nimmt es wohlwollend auf. Amerika ist groß und gut und überhaupt das beste Land der Welt. Keine Spur mehr von Ambivalenz, vom Hinterfragen dieses Landes, dieser Gesellschaft. Jeff reiht sich ein in ein toxisches System. Boston Strong.

Stronger (2017)

Ein Opfer der Boston Marathon Anschläge im Jahr 2013 hilft der Polizei die Mörder dingfest zu machen und mit dem Trauma der Tat zu Rande zu kommen.

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