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24 Türchen führen in „Deathcember“ zu 24 weihnachtlichen Horror-Kurzfilmen. Aber schmecken die genauso pappig und schal wie die Schokolade im gewöhnlichen Adventskalender?

Deathcember (2019)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

24 Türchen Mittelmaß

Inspiriert von den „ABCs of Death“ (2012-2016) präsentiert das deutsche Produzenten-Trio Dominic Saxl, Ivo Scheloske und Frank Vogt in „Deathcember“ (2019) eine weihnachtliche Horror-Anthologie mit 24 (plus 2 zusätzlichen) Episoden rund um den, mehr oder weniger, vorweihnachtlichen Horror. Aber funktioniert diese Sammlung an Kurzfilmen verschiedenster Teams aus verschiedensten Ländern auch außerhalb der Adventszeit? Und gelingt es dem Film, anders als den meisten anderen Anthologien, genug Highlights gegen nicht allzu viele Ausfälle unter den Episoden zu positionieren?

Wie ein Adventskalender weist Deathcember mit 24 Türchen von einem animierten Intro ausgehend in seine Episoden, zwei Bonus-Episoden verbergen sich zudem im Abspann. Jeder dieser Kurzfilme nimmt nur wenige Minuten in Anspruch, die meisten präsentieren vor allem eine prägnante Idee, eine kleine Wendung oder eine Situation. Nicht alle Episoden widmen sich dabei streng der Weihnachtszeit, alle sind aber mit kleinstem Budget, unter anderem durch eine Kickstarter-Kampagne finanziert, und mit viel Liebe zum Genrekino gedreht. Regie führen dabei so verschiedene Genre-Vertreter*innen wie der Großmeister des italienischen Kannibalen-Films Ruggero Deodato, der Produzent des Episodenfilms German Angst (2015), Andreas Marschall, der mexikanische Horrorfilmer Isaac Ezban oder die schottische Schauspielerin Pollyanna McIntosh. Auch zahlreichen aufstrebenden Filmer*innen bietet Deathcember darüber hinaus eine Bühne.

Das Ansinnen des Films ist durchaus zu unterstützen: Viele interessante Stimmen des internationalen Horrorfilms werden unter ein Dach gebracht, wo sie kleine Einfälle mit einfachen Mitteln realisieren, um am Ende ein größeres Publikum zu finden und auch weniger bekannten Filmemacher*innen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Dass dabei nicht jede der 26 Episoden begeistern kann, liegt auf der Hand. Dass aber der Großteil von einem lähmenden Mittelmaß erfüllt ist, ernüchtert doch ein wenig – zumal nur wenige Episoden mit kreativen Einfällen aufwarten.

Dabei zeigt Deathcember gleich zu Beginn mit dem Segment A Door Too Far von Produzent Dominic Saxl wie eine Vorzeige-Episode aussehen könnte: Ein von unstillbarem Heißhunger auf Adventskalender-Schokolade getriebener Jugendlicher trifft einen unheimlichen Mann, der ihn verwünscht und den Jungen damit selbst in ein Stück Adventskalender-Schokolade verwandelt. Einfach, kreativ und sauber umgesetzt – so geht Horror-Kurzfilm, dazu noch mit einem gesunden Maß an Augenzwinkern.

Doch bei weitem nicht alle Episoden präsentieren frische oder unerwartete Ideen: Es ist fast erstaunlich, wie viele uninteressante Variationen versuchen, das geflügelte Wort von der Familie, die sich an Weihnachten „gegenseitig zerfleischt“, mehr oder weniger wörtlich zu nehmen. Davon abgesehen, dass darin der erste Einfall liegt, den wohl jede*r bei der Verbindung von Weihnachten und Horror hätte, bleibt keines der Segmente, die sich der Idee aus unterschiedlichen Richtungen nähern, besonders positiv oder überhaupt im Gedächtnis. Sei es die Tochter, die ihren Vater erdolcht (Bad Santa); die Nichte, die ihren Onkel erdolcht (Family Feast); die Adoptivtochter, die ihre ganze Familie erdolcht (Five Deaths in Blood Red); der Sohn, der seinen Vater erdolchen lässt (Milk and Cookies); oder die Mutter, die denkt, Großmutter hätte die Familie erdolcht (Casetta Sperduta in Campagna) – kaum eines dieser Segmente hat eigene Ideen anzubieten, wenn letzteres auch immerhin einen kleinen Twist einbaut.

Aus dem Einerlei, das semi-weihnachtliche Science-Fiction (Aurora), ästhetisch mäßig interessanten Western-Horror (They Once Had Horses), oder ein gänzlich einfallsloses Hexen-Segment (Joy to the Girls) umfasst, stechen insbesondere zwei Filme heraus, die sexuellen Missbrauch als Gegenstand wählen. Die Knetfiguren-Animation Crappy Christmas – Operation Christmas Child von Regisseur Jürgen Kling thematisiert in übermäßig expliziten Bildern die Vergewaltigung eines Kindes durch Priester und kann auch mit dem anschließenden Rachefeldzug kaum rechtfertigen, auf welche Weise der Missbrauch zuvor ausgestellt wird. Eine andere Perspektive wählt Andreas Marschall mit seiner Episode Pig, in der eine Gruppe Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt wurden, Rache nehmen will. Sie spüren einen der Vergewaltiger auf und bringen ihn um, obwohl sie in letzter Minute erkennen, dass sie den falschen Mann erwischt haben. Der Horror dieses Segments hängt sich dabei an die reaktionäre Rhetorik jener Gegner etwa der #MeToo-Bewegung, die hinter den Vorwürfen nur falsche Anschuldigungen und eine „Hexenjagd“ auf Unschuldige vermuten – und so versuchen, Opfer als Täter zu konstruieren. Es braucht wahrlich nicht noch mehr Stimmen, die dieser Strategie folgen – selbst wenn Regisseur Marschall im Q&A der Fantasy Filmfest White Nights behauptete, gerade dies sei nicht das Ansinnen seines Films.

Wäre der Rest der Episoden nicht so quälend langweilig und gäbe es ein paar mehr wirklich erfrischende und neuartige Einfälle, vielleicht ließe sich Deathcember dann zumindest zur passenden Jahreszeit und mit viel Glühwein ertragen. Vielleicht hätte er sogar das Potenzial zu einem Weihnachts-Kultfilm. 145 Minuten Laufzeit auszuhalten, um dann zu sehen, dass zwei der gelungensten Segmente im Abspann versenkt werden und dass eine Episode sich ausdrücklich dafür ausspricht, den Vorwürfen von Opfern sexueller Gewalt nicht zu glauben, ist jedoch schwer zu ertragen. So schmeckt, wie bei einem echten Adventskalender, die Schokolade hinter den Türchen bestenfalls schal und spätestens am dritten Advent bekommt man sie kaum noch herunter.

Deathcember (2019)

Hinter den filmischen Adventskalendertürchen lauern amoklaufende Turboshopper und marodierende Weihnachtsmänner, melancholische Western und dystopische Zukunftsvisionen, dem Tod geweihte Stummfilmbucklige und vergewaltigende Knetpriester sowie bleihaltige Tarantino- und hämoglobingetränkte Giallo-Hommagen. Die Enfants Terribles des Horrorkinos nehmen keine Rücksicht auf Verluste oder den guten Geschmack und streichen Balsam auf die Seele eines jeden Weihnachtswahnsinn-Gepeinigten! 

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