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Judy Garland wurde einst mit ihrer Rolle als Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ weltberühmt. Regisseur Rupert Goold setzt ihr nun ein Denkmal, was ihm vor allem durch das furiose Spiel Renée Zellwegers gelingt.

Judy (2019)

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

Come On, Get Happy!

Im Dezember 1968 kommt Judy Garland (Renée Zellweger) nach London um im bekannten Nachtclub „The Talk Of The Town“ über mehrere Wochen eine Reihe von Shows zu absolvieren. Sie ist pleite, leidet an Schlaflosigkeit und ist medikamentenabhängig. Damit sie auf lange Sicht wieder mit ihren Kindern zusammen sein kann, muss sie jedoch Geld verdienen und ein Zuhause finden. Doch schon die junge Judy kannte immer nur die Bühne als Sehnsuchtsort, ein Fantasiegebilde, umringt von einem Showgeschäft, das ihr alles abverlangt hat. Renée Zellweger spielt diese smarte, zerbrechliche Frau mit eigener Stimme und einer so nachhallenden Stärke, dass man der Adaption von Rupert Goold viele Vereinfachungen verzeiht.

Die Story beginnt 1968 zunächst in den USA. Judy ist in schlechter Verfassung, seelisch wie körperlich angeschlagen und als Star nicht mehr so gefragt wie früher. Von ihren Millionen ist ihr selbst nicht viel geblieben und eine eigene Bleibe hat sie derzeit auch nicht. Also muss sie Tochter Lorna (Bella Ramsey) und Sohn Joey (Lewin Lloyd) notgedrungen zu ihrem Ex-Mann Sidney Luft (Rufus Sewell) bringen, einem Mann, der sie durchweg schonungslos mit ihren vermeintlichen Unzulänglichkeiten konfrontieren wird. Er will Stabilität für seine Kinder, Sicherheit, diesen beständigen Zustand, nachdem sich Judy eigentlich auch sehnt. Das Leben hat es gut mit ihr gemeint und ihr früh eine beispiellose Karriere als Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin beschert. Sie ist eine wahre Entertainerin, ein Multitalent und doch auch Opfer einer lebenslangen Imagekampagne, die sie zwanghaft fortführt.

Auf der Party ihrer ersten Tochter Liza Minelli (Gemma-Leah Devereux) lernt sie den 12 Jahre jüngeren Mickey Deans (Finn Wittrock) kennen, der später ihr fünfter und letzter Ehemann werden wird. Um sich finanziell zu erholen und das Sorgerecht für ihre Kinder nicht zu verlieren, reist sie allerdings erst mal nach London, um im West End ihr neustes Engagement zu erfüllen. Zunächst wird Judy euphorisch empfangen, jedenfalls von ihrem Publikum. Die für sie engagierte Assistentin Rosalyn Wilder (Jessie Buckley) und Theatermanager Bernard Delfont (Michael Gambon) sind dagegen durchweg angespannt und versuchen über ihre ersten Eskapaden hinwegzusehen. An einigen Abenden muss man sie förmlich auf die Bühne tragen. „What if I can’t do it, again?“, fragt die immer an sich zweifelnde Judy und trotz aller Unsicherheiten und Totalausfälle, kommt dabei dann doch eine Frau zum Vorschein, die ihren Platz einfordert und deren Augen sofort noch größer werden, wenn sie ins Scheinwerferlicht tritt. Diese Judy Garland bietet eine unvergleichliche Show.

Schon MGM Studioboss Louis B. Mayer (Richard Cordery) hat der jungen Judy (Darci Shaw) eingeredet, dass sie nicht gerade mit Schönheit glänzt und ohne ihr Talent nichts wert wäre in der Welt. Sie ist dafür da Träume abzuliefern und mit ihrer Stimme das Glück zu verkaufen. Alles um sie herum wurde in der Folge inszeniert, angepasst und unterlag der völligen Kontrolle ihres Managements. Sie darf kaum essen, nicht mal von ihrer eigenen Geburtstagstorte, nimmt zusätzlich Tabletten und schläft schlecht. Sie mag ihren Spielpartner Mickey Rooney (Gus Barry), aber die ganz großen Gefühle empfindet sie dann doch meist nur vor der Kamera. Ihre Charaktere scheinen zu finden wonach sie suchen. Erst kurz vor Schluss wird sie es schaffen sich selbst ein kleines Stück vom Kuchen zu gönnen.

In den Erzählungen um ihre Person wurde die echte Judy Garland als scharfsinnig, einnehmend, voller Tatendrang, Ausstrahlung und Eloquenz beschrieben. Gleichzeitig haben sich Abgründe um sie aufgetan. Filme neben Der Zauberer von Oz (1939), Heimweh nach St. Louis (1944), Ein neuer Stern am Himmel (1954) oder auch Urteil von Nürnberg (1961) sind herausragende Belege ihres vielfältigen Könnens und ihrer starken Präsenz. Man wird unterhalten, mitgerissen, nur um dann auch immer etwas in Wehmut zu verfallen, sobald man sich der Tragik um ihren frühen Tod mit nur 47 Jahren wieder bewusst wird.

Das Bühnenmusical End of the Rainbow von Peter Quilter hat Drehbuchautor Tom Edge und Regisseur Rupert Goold als Vorlage gedient, um das letzte Lebensjahr der Künstlerin als Spielfilm neu aufzuarbeiten, ohne es dabei auch an wohl dosiertem Optimismus und Glamour mangeln zu lassen. Renée Zellweger vollbringt als Judy Garland einen wahren Kraftakt, spielt sich in Rage und es gelingt ihr, auch optisch, die Transformation hin zu einer eigenen Figur, einer eigenwilligen Interpretation, einem Schauspiel, das der Imitation entgeht. Ihre Live-Stimme trägt die Lieder und allein Somewhere Over The Rainbow singt sie mit erschütternder Intensität. Ihre Judy ist unruhig, strauchelt, wirkt unnahbar und dann doch auch so herzlich, schlagfertig und selbstironisch zugleich.

Die anderen realen Vorbilder sind im Vergleich dazu sehr eindimensional angelegt und schwächen den Film als ein Biopic, das überhaupt inhaltlich einen facettenreicheren Blick auf ihren Werdegang hätte werfen können. Hinzu kommen die Rückblicke in ihre Jugend, die sich mit den Geschehnissen ihrer letzten Monate mischen, in dieser Kombination allerdings nicht stimmig ineinander greifen. Oft wiederholt sich der Film in seinen Aussagen und trübt die Stimmung zu sehr. Zumindest Jessie Buckley, die selbst erst in Wild Rose eine Sängerin verkörpert hat, ist als Rosalyn aber eine ergänzende Schlüsselfigur der Geschichte. Unsentimental nimmt sie sich Judy an, versucht sie vor sich selbst zu schützen und ärgert sich über ihr unprofessionelles Verhalten. Dabei erkennt sie aber auch die monumentale Einsamkeit, die diese Garland umgibt und ihren anhaltenden, wenn auch vergeblichen Kampf, um Balance und Liebe. Und dann gibt es noch diesen schön ausgedachten Moment, wenn Judy spontan den Abend mit zwei ihrer Fans, einem schwulen Paar (Andy Nyman, Daniel Cerqueira), in deren Wohnung verbringt. Sie essen zusammen, scherzen wie alte Freunde und singen später Get Happy in Form einer emotionalen Abhandlung über die Härte des Lebens, die einen mit voller Wucht trifft, wenn man als anders in dieser Welt gilt.

Judy baut sich nicht um einen Mythos auf, sondern bleibt dicht dran an einer komplexen Persönlichkeit, die stets alles für alle sein wollte, so viel Freude und Hoffnung auf ihr Publikum übertragen hat und dabei selbst an der Unerreichbarkeit des einfachen Glücks zerbrochen ist. Come Rain or Come Shine. „The walking has to be enough”, realisiert sie nüchtern und doch mit Zuversicht bei ihrem letzten Auftritt. An große Träume und die Magie der Bühne glaubt sie noch immer und vielleicht zum ersten Mal gibt ihr der Raum mehr zurück, als sie selbst noch zu geben imstande ist. Man wird sie nicht vergessen.

Judy (2019)

Ein Biopic über die legendäre Performerin Judy Garland. Der Film beginnt im Winter 1968, als Garland nach London kommt, um eine Reihe von ausverkauften Konzerten zu geben.

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