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Trotz eines namhaften Ensembles schafft es Justin Kurzels neuer Film nicht in die deutschen Kinos. Wer mehr über Australiens berühmt-berüchtigten (Anti-)Helden erfahren will, muss ins DVD-Regal greifen. Doch wie viel Wahrheit steckt in dieser Romanadaption?

Outlaws - Die wahre Geschichte der Kelly Gang (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein heldenhafter Halunke

Der Bushranger Ned Kelly ist nicht nur Down Under in die Geschichtsbücher eingegangen. Der australische Western „The Story of the Kelly Gang aus dem Jahr 1906 gilt als erster Langfilm der Historie. Darin spielte Frank Mills den nur 25 Jahre alt gewordenen Strauchdieb, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen die britische Herrschaft zur Wehr setzte. Berühmte Namen folgten. Auch Mick Jagger und Heath Ledger verkörperten Kelly. Unter der Regie von Justin Kurzel schlüpft George MacKay in die Rolle und liefert die nächste unvergessliche Darbietung in seiner noch jungen Karriere ab. Der Titel führt derweil in die Irre.

Denn mit der Wahrheit nimmt es weder der Film noch dessen Vorlage so genau. Im ersten von drei Kapiteln, schlicht „Boy“ benannt, lernt der junge Ned Kelly (Orlando Schwerdt) die ganze Härte des Lebens kennen. Um ihre Familie zu ernähren, bietet sich Neds Mutter Ellen (Essie Davis) anderen Männern an. Der in Ellen (Essie Davis) verliebte Sergeant O’Neil (Charlie Hunnam) scheut dabei keine Gewalt. Neds Vater Red (Ben Corbett) sieht tatenlos zu. Wie die Bäume um sie herum sind auch die Figuren innerlich abgestorben. Und wie in dieser kargen und doch blühenden Landschaft gehen im gesamten Film der Tod und das Leben, das Hässliche und das Schöne, Grauen und Freude Hand in Hand.

Nach Reds Tod verkauft Ellen ihren Sohn an den Gesetzlosen Harry Power (Russell Crowe). Der bringt Ned das Raub- und Mordhandwerk bei. Gemeinsam mit diesem Beutel- und Halsabschneider färbt Ned den Schnee einer eiskalten Winterlandschaft rot. In seiner ersten großen Rolle steht Orlando Schwerdt dem großen und endlich einmal wieder großartig aufspielenden Russell Crowe in nichts nach. Von dessen Figur bekommt die seine schließlich das Credo vermittelt, das der Handlung übergeordnet ist.

„Every man should be an author of his own history“, dass jeder Mensch seine eigene Lebensgeschichte schreiben sollte, ist der zentrale Satz dieses Films. Denn Ned Kelly, der von den einen als Freiheitskämpfer und Nationalheld verehrt, von den anderen als Halunke, Pferdedieb, Räuber und Mörder verteufelt wird und schon von der Linken wie von der Rechten vor den politischen Karren gespannt wurde, erobert sich in Kurzels tollkühnem Genre-Experiment seine eigene Lebensgeschichte zurück.

Kurzels Film basiert auf Peter Careys Buch True History of the Kelly Gang (2000), das in Deutschland unter dem Titel Die wahre Geschichte von Ned Kelly und seiner Gang erschienen ist. Der Roman ist eine fiktionalisierte Autobiografie, die der australische Rebell an seine noch ungeborene, ebenfalls fiktive Tochter richtet. Im Film bekommt der nun zum jungen Mann gereifte und von George MacKay gespielte Kelly sie mit Mary Hearn (Thomasin McKenzie). Nicholas Hoults Constable Fitzpatrick stellt Ned und Mary einander vor und hat selbst ein Auge auf Neds Schwester geworfen. Wie alle Figuren im Film ist auch seine eine zutiefst ambigue und dadurch finster funkelnde.

Für seinen vierten abendfüllenden Spielfilm ist der im Bundesstaat South Australia geborene Justin Kurzel in sein Heimatland zurückgekehrt. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Essie Davis, die die weibliche Hauptrolle spielt, und seinem Bruder Jed, der wie immer in Kurzels Filmen die fantastische, dieses Mal sehr zurückhaltende Musik verantwortet, hat der inzwischen 46-jährige Regisseur sein ambitioniertestes, reifstes und gelungenstes Werk vorgelegt.

Allein das blendend aufgelegte Ensemble, die atemberaubende Landschaft und eine Geschichte voller Leid und Herrlichkeit machen diesen Film sehenswert. Das i-Tüpfelchen ist die Form. Denn Kurzel hat nicht nur Ned Kelly, sondern auch den Historienfilm von Zuschreibungen befreit. Kelly trägt ganz bewusst und den Fakten widersprechend keinen Bart. Unter die historisch korrekten Kostüme mischen sich zeitgenössische Kleidungsstücke, Tattoos und Graffiti. Mal ist die Nacht, durch die Ned Kelly auf dem Rücken eines Pferdes hetzt, nur vom Mond-, mal von Schwarz-, schließlich von Stroboskoplicht erhellt.

All das hat Methode. In einem ausführlichen Interview im Bonusmaterial der DVD und Blu-ray verrät Kurzel, dass Ned Kelly und dessen Gang in Aussehen und Auftreten an eine Punkband oder australische Musikgruppen der 1970er Jahre wie AC/DC erinnern sollten. Dafür formten MacKay und seine Mitstreiter vor den Dreharbeiten eigens eine Band, komponierten Songs und absolvierten einen Auftritt. Die Dynamik überträgt sich mühelos auf den Film. Ihre rotzige Attitüde verleiht dem so häufig angestaubten Historiengenre etwas Erfrischendes. Und weil Kurzel diese schon in früheren Filmen erprobten Spielereien dieses Mal ganz dezent einsetzt, gehen sie um Längen besser auf als in der Vergangenheit.

Wie kein anderer Film seines noch überschaubaren Werks drängt dieser auf die große Leinwand. Die Bilder, erstmals unter Kurzels Regie von Kameramann Ari Wegner eingefangen, sind noch atemberaubender als in Assassin’s Creed (2016). Die Figuren sind noch überlebensgrößer als in der Shakespeare-Adaption Macbeth (2015). Die Handlung, die ihren Ausgang in den düsteren Dynamiken einer dysfunktionalen Familie nimmt und in Missbrauch und Mord und Totschlag mündet, erinnert indes unweigerlich an Kurzels Debüt, das Psychogramm Die Morde von Snowtown (2011).

Für das Publikum ist es ein Verlust, dass es dieser Film in Deutschland nicht in die Kinos geschafft hat. Wem sich zu Hause die Gelegenheit bietet, dieses pulsierende Erlebnis in ansprechender Größe zu sehen, sollte sie unbedingt nutzen.

Outlaws - Die wahre Geschichte der Kelly Gang (2019)

Basierend auf Peter Careys Tatsachenroman, erzählt Justin Kurzel die wahre Geschichte des aus Irland stammenden Ned Kelly, der sich im Australien der 1870er Jahre gegen die britische Herrschaft auflehnt und der sich dabei von der legendären irischen Widerstandsbewegung der Sons of Sieve inspirieren lässt. Angefeuert durch die Inhaftierung seiner Mutter, entfachen Kelly und seine Gefolgsleute die größte Rebellion, die der australische Kontinent bis dahin erlebte. 

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