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Mit seinem Debütfilm „The Last Black Man in San Francisco“ gelingt Joe Talbot eine Hymne auf die Freundschaft, das Leben, die Lieben, die Lügen und die Enttäuschungen — und nicht zuletzt auch auf San Francisco.

The Last Black Man in San Francisco (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom Suchen und Finden eines Platzes in der Welt

Dass das US-Studio A24, zu dem auch ein Verleih gehört, gerade einen Lauf hat, ist wohl gelinde gesagt eine ziemliche Untertreibung: Fast scheint es so, als würde sich jeder Film, den Daniel Katz, David Fenkel, John Hodges und ihre Mitarbeiter*innen produzieren oder verleihen, sich auf magische Weise in pures Gold verwandeln — wenn schon nicht in Deutschland, dann doch auf dem internationalen Markt: Neben Moonlight und The VVitch zählen The Killing of a Sacred Deer, Hereditary und It Comes at Night zu den produzierten und vermarkteten Filmen aus dem Portfolio von A24. Und es zeigt sich, dass bisher noch kein Ende dieser Glückssträhne in Sicht ist.

Neben Ari Asters neuem Werk Midsommar und dem in Cannes frenetisch gefeierten The Lighthouse sowie Uncut Gems, dem neuen Film der Safdie-Brüder, ist vor allem Joe Talbots in Sundance uraufgeführter The Last Black Man in San Francisco ein heißes Eisen im Feuer . Und das dürfte auch daran liegen, dass der Film im Gegensatz zu vielen anderen Filmen des Studios keinerlei Horrorelemente aufweist, sondern sich vielmehr naht- und bruchlos weltweit an ein Arthouse-Publikum verkaufen lässt. 

Jimmie (Jimmie Fails) und Montgomery (Jonathan Majors) leben in der heruntergekommenen Gegend von Hunter’s Point in San Francisco, wo Jimmie bei seinem Freund (einem bisher erfolglosen Dramatiker) und dessen blindem Großvater (Danny Glover) Unterschlupf gefunden hat. Doch es gibt die Verheißung auf ein besseres Leben, ein früheres. Im Filmore-District von San Francisco, das — so will es die Familienlegende — kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Jimmies Großvater im viktorianischen Stil vergangener Tage mit den eigenen Händen erbaut wurde. Dass das Haus nicht an einen Bau der späten 1940er Jahre erinnert, sondern vielmehr an die vielen painted old ladies der Gegend, die allesamt viel älter sind, fällt Jimmie nicht auf, dafür aber einem Fremdenführer, der eine Gruppe von Segway-Touristen durch das Viertel führt. Aber Jimmie lässt sich davon ebenso wenig beirren wie von den derzeitigen Besitzern, die seine kleinen Handwerksdienste am Haus mit gezielten Croissant-Würfen zu verhindern versuchen. 

Als das Paar dann doch eines Tages ausziehen muss — die beiden Geschwister können sich in einer Erbschaftsangelegenheit nicht einigen — hat Jimmies Stunde endlich geschlagen; Mit Feuereifer und der Hilfe von Montgomery besetzt er kurzerhand das leerstehende Haus in einer Gegend, in der er mit seiner Hautfarbe die absolute Ausnahme ist. Alle Versuche, seinen Status als zumindest gefühlter Besitzer des Hauses zu legalisieren, scheitern aus verschiedensten Gründen. 

Joe Talbots Debütfilm, der lose auf autobiografischen Erlebnissen des Hauptdarstellers Jimmie Fails beruht, aus denen dessen Jugendfreund Talbot und Rob Richert ein feinfühliges Drehbuch voller Wärme und Empathie gossen, ist eine filmische Wundertüte im besten Sinne. Angereichert mit magischen Realismus und angesiedelt in einer unbestimmten Zwischenzeit zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, kombiniert mit Sozialkritik (zumal über ein komplexes Thema wie Gentrifizierung) mit viel Empathie und dem Feiern einer Freundschaft, die sich fast eher wie eine Liebesgeschichte ausnimmt. 

Immer wieder findet der Film zu wunderschönen Bildern und Szenen, die so zahlreich sind, dass man am Ende des Filmes diesen sofort ein zweites Mal sehen möchte: Wenn Jimmie und Montgomery zu zweit auf dem Skateboard durch die Stadt rollen, dabei die Abstoßbewegungen des rechten Beines vollkommen synchronisiert haben und der eine dem anderen ganz selbstverständlich die Hand auf die Schulter legt oder wenn eine herzzerreißende Coverversion von Scott McKenzies San Francisco (Be Sure to Wear Flowers in Your Hair) ertönt, dann schwebt dieser Film bis in den Himmel und wieder zurück und singt eine Hymne auf die Freundschaft, die Hoffnungen und die Enttäuschungen, die Lieben und die Verluste und all das, was man Leben nennt.

The Last Black Man in San Francisco (2019)

Jimmie Fails wird von einer großen Hoffnung angetrieben: Das stolze viktorianische Haus wieder in Besitz zu nehmen, das sein Großvater einst baute. Woche für Woche unternimmt er mit seinem einzigen Freund Montgomery eine Pilgerreise quer durch San Francisco, um dem Anwesen einen Besuch abzustatten. Bis die beiden eines Tages feststellen, dass das Haus völlig leer steht. Klar, dass Jimmie das Haus wieder in Besitz nehmen will, doch seine Träume von einstiger Größe und Bedeutung machen ihn blind für die Realität.

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