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In seinem Hybrid aus Experiment und Essay erkundet Benjamin Schindler den schmalen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion und legt Schicht um Schicht die verschiedenen Ebenen und Abgründe des amerikanischen Selbstverständnisses frei.

Playland USA (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Land der unbegrenzten Fiktionen

Selbst wenn sich die globalen Machtverhältnisse momentan komplett verschieben, geht von den USA und den Mythen, die in die Gründungs-DNA dieses Landes eingeschrieben sind, immer noch eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus - auch wenn spätestens seit der Präsidentschaft Donald Trumps der Glanz des Landes erheblich bröckelt. In seinem filmischen Essay Playland USA nähert sich Benjamin Schindler auf sehr eigene und ebenso kühne wie kühle Weise an die USA beziehungsweise den Mythos an, der von Anfang an die Gründung der Weltmacht umgab und der bis heute im kollektiven Gedächtnis der Nation nachwirkt.

Der Film setzt ein mit Porträtaufnahmen von Menschen, die auf den ersten Blick  — abgesehen von der Tatsache, dass die überwiegend älter sind — wenig gemeinsam haben. Erst mit der Zeit stellt sich heraus, was sie miteinander verbindet: Sie alle arbeiten in historischen Themenparks, in Museen oder Museumsdörfern, wo das Publikum wichtige oder zumindest bekannte Ereignisse aus der Geschichte der USA präsentiert bekommt. Und damit verdeutlicht sich bereits der besondere Ansatz der filmischen Arbeit Benjamin Schindlers in Playland USA: Es geht nicht um historische Korrektheit und eine Abbildung der Fakten, sondern um die Inszenierung der Geschehnisse. Der Film analysiert nicht das, was war, sondern die Art, wie es gezeigt und damit auch vermittelt und geglaubt wird.

Dementsprechend enthält sich der Film völlig eines einordnenden Kommentars und vertraut allein auf die Komposition seiner Bilder und Fragmente, den Aussagen und Selbstauskünften der Menschen, mit denen er sich beschäftigt, der Rhythmik seiner Montage und dem bemerkenswerten Score, die Playland USA fast schon in die Nähe einer sinfonischen Dichtung rückt.

Der Unabhängigkeitskrieg gegen die Engländer, die Eroberung des Westens, die sich bis heute in der Frontier-Idee im kollektiven Bewusstsein einer Nation gehalten hat, die Verdrängung der indigenen Bevölkerung, die Schießerei am O.K. Corral, aber auch die Area 51, der fast kindliche Glaube an Superhelden, die Mondlandung und andere reale wie fiktive Stationen sind es, die Playland USA abschreitet. Da ist zum Beispiel ein trauriger Weihnachtsmann-Darsteller zu sehen, der der Kamera erzählt, welches Kindheitserlebnis ihn prägte.

Die Stoßrichtung, die weg vom Narrativen mehr hin zum Assoziativen geht — auch wenn der Film einer groben zeitlichen Chronologie der Geschichte Amerikas folgt -, ergibt sich vermutlich aus Benjamin Schindlers Herkunft aus der Kunst. Und so sind die Bilder auch häufig wie Gemälde arrangiert, erinnern in Bildausschnitt und -aufbau an Tableaus, fangen Lichtstimmungen und Texturen ein, fungieren häufig als eine Art psychologisches Stillleben, in denen animatronische Puppen, Aliens, Männer in Superheldenkostümen auf dem Times Square eine Ahnung davon geben, wie sehr das Leben und das Denken in den USA von Mythen und Legenden, von Inszenierungen und vor allem von den zahlreichen Kinobildern geprägt werden, mit denen der Film virtuos spielt. 

Playland USA ist in all seiner vor allem formalen Detailversessenheit und im absichtlichen Nebeneinanderstellen von scheinbar Unverbundenem kein einfacher Film. Er erfordert die aktive Teilnahme der Zuschauer und deren Bereitschaft, sich auf die hypnotischen Bewusstseinsströme der Narration einzulassen und sich selbst einen Weg durch die vielen Zeichen und Phänomene zu schlagen.

Playland USA (2019)

Eine poetische Zeitreisefantasie durch die imaginierte Geschichte der Vereinigten Staaten als moderne Märchenwelt, entlang der Spuren unserer Sehnsucht nach Illusion und Eskapismus –– gefangen zwischen Fakt und Fiktion, getrieben von den allgegenwärtigen Realitätsverschiebungen in den USA.

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