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Seit 15 Jahren lebt Darío Aguirre in Deutschland, dann kommt ein Brief des Regierenden Bürgermeisters von Hamburg mit der Einladung sich einbürgern zu lassen: Anlass für den Filmemacher zu seinem Film Im Land meiner Kinder. Eine Reise durchs Niemandsland dessen, der zwei Heimaten hat.

Im Land meiner Kinder (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust

Darío Aguirre lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Mit Stephanie. Und mit der Ausländerbehörde. Denn 15 Jahre als Ausländer in Hamburg bedeutet den jährlichen Gang zur Visumsverlängerung, inklusive Unterschrift der Ehegattin und Lebensunterhaltsbestreitungsnachweis. Dann kommt im Jahr 2013 ein netter Brief vom Herrn Regierenden Bürgermeister Olaf Scholz, der seine ausländischen Mitbürger einlädt, sich einbürgern zu lassen – eine Liebeserklärung? Ach, schreibt Scholz, das gehe ganz einfach, unkompliziert und unbürokratisch… Ein paar Monate später schleppt Aguirre einen Riesenhaufen Papierkram aufs Amt, „Das sieht doch schon mal ganz gut aus“, meint die Sachbearbeiterin – und zwischendrin, zwischen Einladungsbrief und Einbürgerungsantrag, liegt eine kleine Reise, liegt dieser Film: „Im Land meiner Kinder“ ist Darío Aguirres Reise durch die Befindlichkeiten derer mit zwei Heimaten.

Seine Stephanie hat Darío damals in Ecuador kennengelernt, sie war als Austauschschülerin ein Jahr in seiner Familie. Danach wollte er nach Deutschland. Hat es schließlich geschafft – und ist erstmal bei ihren Eltern in Zittau untergeschlüpft. Das war nicht leicht: Keiner konnte den anderen verstehen, und dass Darío Kunst machen wollte und in Videos oder Performances seine Situation abstrakt verarbeitete, war auch nicht wirklich nachvollziehbar für die Gast- bzw. Beinahe-Schwiegereltern. Jetzt kehrt Darío zu ihnen zurück, weil er Informationen braucht. Nicht nur über seine Herkunft: Namen, Hochzeitsdatum seiner Eltern –, sondern auch die Daten seiner Schwiegereltern. Ganz klar: Damals war DSGVO noch lange nicht mal angedacht…

Darío nutzt also den Brief, um sich und seinen eigenen Status erstmal grundsätzlich zu klären. Das ist der Anlass für seinen Dokumentarfilm, der eine persönliche Geschichte erzählt und dabei von seiner Situation ausgehend die Existenz in der Entwurzelung beschreibt, das Dasein in der Verunsicherung, den Zustand zwischen zwei Ländern, Nationalitäten, Lebensmittelpunkten. Darío ist aus Ecuador nach Deutschland gekommen, er ist hier geduldet, er muss sich aber stets erklären, gegenüber den Behörden und gegenüber seinen Mitmenschen. Er spricht mit Akzent, er macht Kunst, Stephanie verdient offenbar den Lebensunterhalt. Aber Darío lebt hier, ist hier zuhause, fühlt sich – ja: auch als Deutscher. Jetzt darf er’s ganz offiziell werden, und er hat noch Glück, sagt die Frau Sachbearbeiterin: Als Ecuadorianer hat er keine Möglichkeit, seine andere – erste – Staatsangehörigkeit abzulegen, darf also ein Doppelpassler sein!

Patriot war er nie. Es ist sehr lustig, wie er mit der Kamera eine Reise nach Berlin begleitet, wo erstmals ein Präsident aus Ecuador in Deutschland empfangen wird. Der hält eine flammende Rede über die Vorteile von Ecuador und singt dann ein schnulziges Volkslied – das würden wir hier von Steinmeier oder Merkel nun wirklich nicht verlangen wollen. Das Ganze wirkt vollkommen absurd, und Aguirre hat ein paar schöne Momente dieser Absurdität eingefangen, die mit dem ganzen Einbürgerungs- und Heimaterweiterungsprozedere zu tun hat. Den Schwiegervater zeigt er mal vor einer großen Reihe von Mülleimern in unterschiedlichen Mülltrennungsfarben und sein erster Akt nach der Einbürgerung ist, Buchsbaumsträucher schön in Kugelform zu schneiden. Einer der schönsten Momente im Film: Wie Darío damals ankam in Deutschland, das hat Aguirre in einer Aquarell-Animation eingefangen (gibt ja keine Bilder davon), und dabei ein herrliches deutsch klingendes Kauderwelsch darüber gelegt – so, wie er die neue Sprache eben empfunden hat.

Insgesamt aber hat sich Aguirre doch fast ein bisschen viel vorgenommen mit dem Film. Er reist zu seinem Vater nach Ecuador, gut und schön – nimmt aber auch noch eine Szene rein, in der ein seltsames Mama-Loblied gesungen wird, wohl in Andenken an die verstorbene Mutter. Er wird Vater in der Zeit des Films. Das hat aber in der Weise, wie es hier filmisch aufgenommen wird, doch nur sehr tangential mit dem Thema zu tun, zumal einige Gespräche mit der Ehefrau mutmaßlich gescripted sind, um die Handlung voranzubringen. Und andererseits wäre es nicht uninteressant gewesen, wenn Aguirre in seinem ja ohnehin subjektiv gefärbten Film darauf eingegangen wäre, warum der Dreh und die Fertigstellung so lange gebraucht haben: Von 2013 bis heute hat sich schließlich in Fragen der Einwanderung in Deutschland, der Integration und der geforderten Anpassung so einiges getan.

Im Land meiner Kinder (2018)

Eigentlich war Dario wegen Stephanie aus Ecuador nach Deutschland gekommen, aber die Behörden gehörten vom ersten Tag zu ihrer Beziehung dazu. In den folgenden 15 Jahren sollten sie ihm insgesamt 10 Visa ausstellen – eine lange Spur aus Papieren, Stempeln, Genehmigungen und Einschränkungen verband Dario mit Deutschland und hielt ihn doch auch immer auf Abstand. Und dann das: Der Erste Bürgermeister von Hamburg lädt Dario ein, Deutscher zu werden. 

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Meinungen

Christian · 12.08.2021

Hallo Herr Mühlbeyer,
was ist denn das bitte schön für ein Veriss? Sie können ja froh sein, dass es kein "Genre" Filmkritik - Kritik gibt, ansonsten sähe es schlecht aus für Ihren Text. Vielleicht gibt es dieses Genre ja doch => Besucherzahlen der Webseite.

Hier mal ein kurzer Auszug, damit Sie auch verstehen was ich meine:
- "das würden wir hier von Steinmeier oder Merkel nun wirklich nicht verlangen wollen" - wer oder was ist denn das WIR? Gibt es etwa ein heimliches Protokoll für unsere Politiker, welches unter anderem auch ich unwissentlich unterzeichnet habe?
- Aquarell-Animation eingefangen (gibt ja keine Bilder davon) - Verstehe ich irgendwie nicht? Ist das jetzt etwas gutes oder etwas schlechtes Aquarelle als Stilelement zu nutzen? Ich persönlich fand diesen Abschnitt besonders ansprechend.
- wenn Aguirre in seinem ja ohnehin subjektiv gefärbten Film - Wie soll denn bitte eine Biographie-Doku sonst gefärbt sein, wenn nicht subjektiv. Versteh Ihren Denkansatz nicht.

Auch wenn ich mir hier harsch Ausdrücke fassen Sie das bitte nicht als persönlich Angriff auf, sondern eher als ehrliche und direkte Kritik Ihrer Filmkritik. ;-)

Viele Grüße