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Pünktlich zum Streit um die europäische Urheberrechtsreform kommt ein Dokumentarfilm in die Kinos, der die Frage stellt, wem die Bilder, die uns umgeben, eigentlich gehören. Wenn jedes Bild schon jemandem gehört, ist dann nicht jeder Film illegal?

Der illegale Film (2018)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Essayistische Bilderflut

Vom ersten Entwurf bis zum fertigen Schnitt haben Claus Wischmann und Martin Baer etwa fünf Jahre an ihrem neuen Dokumentarfilm gearbeitet. Mit der Debatte um Uploadfilter, die im Frühjahr 2019 in Europa schwelt, hat das nur am Rande zu tun, dafür viel mit unserem Verständnis von (Ab-)Bildern und Realität. Einer Realität, die stärker als je zuvor eine Bilderwelt ist.

Um dem Titel auf den Grund zu gehen, lohnt es sich den Film von hinten zu betrachten. Der Abspann ist mehr als vier Minuten lang. Nicht, weil so viele Mitarbeiter daran beteiligt waren, sondern weil Wischmann und Baer jede der circa 400 verwendeten Quellen benennen mussten. Abseits des narrativen roten Fadens um den professionellen Kameramann Baer und dessen Tochter Mascha, die gerade die Fotografie für sich entdeckt, ist Der illegale Film ein Found-Footage-Feuerwerk, eine mitunter wagemutig montierte Fundgrube aus im Internet geklauten Bildschnipseln aller Art und Form.

Wischmann und Baer führten bereits bei Kinshasa Symphony (2010) gemeinsam Regie. Zur Orientierung hat das Duo seine jüngste Zusammenarbeit in Kapitel eingeteilt, die von steinalten religiösen Bilderverboten („Der Pinsel der Natur“) bis zu Zukunftsträumen und -alpträumen – über künstliche Intelligenz („Computer Visionen“), Überwachung und Privatsphäre („Überwachung“, „45 Milliarden Kameras“) und virtuelle Realitäten („See You in the Future“) – reichen. Ein kurzer, wilder, teils essayistisch assoziativer Ritt durch die Geschichte der Bildmedien, vornehmlich der Fotografie.

Die Absurditäten des Urheberrechts betreffen den Film dabei mehrfach direkt. Die Kindheitserinnerungen, die Baer mit dem Dschungelbuch (1967) verbindet, darf er nicht bebildern. Der Walt Disney Konzern, dessen Gründer sich an fremden Kulturerzeugnissen noch schamlos bediente, ist heute einer jener Vertreter, die allerorten Bilderverbote erteilen. Ein Querverweis zu Religionsführern liegt auf der Hand. Was das Kinopublikum draus macht, bleibt ihm selbst überlassen.

Seit Menschengedenken machen sich Menschen ein Bild von der Welt. Doch wie wird dieses künftig aussehen? Und wird es noch menschengemacht oder maschinenerdacht sein? Im Jahr 2020 wird es rund um den Globus voraussichtlich 45 Milliarden Kameras geben. Im Schnitt besäße jeder Erdenbewohner 5,7 davon. Heute schon machen wir damit jeden Tag mehr Bilder als im gesamten 20. Jahrhundert. Doch was stellt diese Bilderflut mit uns an? Wird unsere von Selfies geprägte Gesellschaft immer selbstsüchtiger? Und ist der Iconic Turn, die Wende der Weltkommunikation von der Schrift hin zum Bild, längst vollzogen, wie es Medienwissenschaftler Norbert Bolz in einem Interview im Film behauptet? (Und warum lesen Sie, liebe Leser*innen, dann überhaupt noch diesen Text?)

Der illegale Film stellt unzählige Fragen, auf die er keine (eindeutigen) Antworten gibt, mit denen er aber ungemein zum Nachdenken anregt. Viele davon sind uralt, manche überraschen. Nimmt die Fotografie dem Abgebildeten etwas weg? Erinnern wir uns besser an Ereignisse, wenn wir ein Foto davon machen? Werden sich in Zukunft Erinnerungen (und Träume) in Fotos umwandeln lassen? Und wie verhalten wir uns zu einer Realität, die von ihren Abbildern nicht mehr zu unterscheiden sein wird? (Oder spielt das dann überhaupt noch eine Rolle?) Diese Utopien oder Dystopien, je nach Blickwinkel, sind bereits näher, als manchem*r Betrachter*in lieb sein mag.

Der illegale Film (2018)

Kameras ersetzen unsere Augen. An einem einzigen Tag machen wir mehr Fotos als im gesamten 20. Jahrhundert. Unsere Welt verwandelt sich in ihr eigenes Abbild. Was machen wir mit all den Bildern. Und was machen all die Bilder mit uns? Wie kann ich mir ein Bild von der Welt machen, wenn ich von Bildern umgeben bin?

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