Log Line

Zugegeben: Organspende mag auf den ersten Blick nicht wie ein spannendes, aber gleichwohl wie ein sehr wichtiges Thema für einen Spielfilm erscheinen. Doch Katell Quillévéré hat aus diesem Stoff ein enorm kluges und zu Herzen gehendes Drama geschaffen, das den Blick schärft und sowohl die Situation des Empfängers wie auch jene des Spenders verdeutlicht.

Die Lebenden reparieren

Ein Herz, in dem sich Schicksale kreuzen

Ein frühmorgendlicher Ausflug ans Meer zum Surfen bildet den Auftakt zu Katell Quillévérés Drama Die Lebenden reparieren, das in beeindruckender Manier das komplexe Thema der Organspende greifbar und in allen emotionalen Facetten nachvollziehbar macht.

Auf der Rückfahrt von diesem Ausflug verunglückt das Fahrzeug, in dem sich auch der 17-jährige Simon befindet, schwer. Der Junge, der nicht angeschnallt war, verletzt sich so schwer, dass die Ärzte im Krankenhaus von Le Havre nur noch den Hirntod feststellen können. Nun stehen seine Eltern Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) vor der vielleicht schwersten Entscheidung ihres Lebens: Da es ausgeschlossen ist, dass er jemals wieder aus dem Koma erwacht, stehen sie vor der Frage, wie lange er noch künstlich am Leben erhalten werden soll. Und daran schließt sich eine weitere Frage an, mit der die Eltern in ihrer Schockstarre ebenso wenig umgehen können: Können sie sich vorstellen, die noch intakten Organe ihres Kindes für eine Transplantation freigeben? Die Frage, die der junge Assistenzarzt (Tahar Rahim) nach der Aufklärung über den Zustand ihres Kindes anspricht, kommt ihm nur stockend über die Lippen – und stößt dabei zunächst auf Ablehnung, ja Aggression. Doch die Zeit drängt, denn ewig lässt sich Simons Herz nicht in diesem fragilen Zustand zwischen Leben und Tod halten, wenn es einer Organspende zugeführt werden soll. Und so müssen sich die eigentlich zerstrittenen Eltern entscheiden, wie sie über den Körper ihres Sohnes, wie sie über dessen Organe verfügen.


Dann, ziemlich genau zur Hälfte des Filmes, bricht die Erzählung ab und wechselt zu einer neuen Perspektive: Es ist die Sicht auf das Leben der herzkranken Claire (Anne Dorval) aus Paris, die später das Herz von Simon erhalten wird. Sie ist durch ihre Erkrankung bereits so geschwächt, dass sie sich von einem wildfremden Mann die Treppen eines Konzerthauses hochtragen lassen muss, um der Klavieraufführung ihrer früheren Geliebten beizuwohnen. In kurzen, aber eindringlichen Szenen zeichnet der Film mit Leichtigkeit eine Skizze ihres Lebens, der Sorge der beiden Söhne, der Sehnsucht nach Normalität und Gesundung. Und dann, auf den einerseits verschlungenen, andererseits mit logistischer Akribie durchorganisierten Pfaden eines durchdachten und gut funktionierenden Systems, kommen die beiden Geschichten zusammen – in einem Operationssaal, in dem eine Geschichte zu Ende geht und eine andere einen hoffentlich glücklichen Ausgang nimmt.

Katell Quillévéré lässt sich Zeit mit ihrem Film, der auf dem gleichnamigen Roman von Maylis de Kerangal beruht. Trotz der berstenden Energetik des frühmorgendlichen Ausflugs, mit dem Simon zu seiner letzten Reise aufbricht, hat der Film fast immer etwas Ruhiges, Getragenes, beinahe schon Souveränes und ungeheuer Respektvolles, dem nicht einmal die bisweilen etwas aufdringliche und zu süßliche Klaviermusik von Alexandre Desplat etwas anhaben kann.

Gekonnt spielt der Film die gesamte Bandbreite zwischen einem zutiefst analytischem und einem in manchen Momenten fast schon poetischen Blick aus, verwandelt die Ansicht einer Straße in Bilder von Wellen und dem Meer, mutet den Zuschauern mit seiner Schilderung der Operationen einiges zu, bleibt ganz nah dran an den von Schmerz, Leid und Verlust gezeichneten Gesichtern und ist dennoch wie aus einem Guss. Zumindest dann, wenn man ihm den harschen Perspektivwechsel in der Mitte verzeiht, der absolut notwendig ist, um beiden Seiten der Geschichte nahezukommen. Das leichte Bedauern, das man darüber zunächst empfindet, ist zugleich ein exzellenter Indikator dafür, wie nahe einem die Figuren aus dem ersten Teil gekommen sind.

Auf diese ganz ruhige, bedachte und sorgfältige Weise entwickelt Die Lebenden reparieren eine stetige Kraft und emotionale Tiefe, der man zwar durchaus die Dringlichkeit des Appells für die Organspende anmerkt. Zugleich aber verharrt der Film nicht in diesem Aufforderungsgestus, sondern bringt uns Menschen nahe, deren Schicksale sich im Schlagen eines Herzens, in dessen Verstummen und Wiederbeleben, in seiner ganzen Verletzlichkeit kreuzen.
 

Die Lebenden reparieren

Ein frühmorgendlicher Ausflug ans Meer zum Surfen bildet den Auftakt zu Katell Quillévérés Drama „Die Lebenden reparieren“, das in beeindruckender Manier das komplexe Thema der Organspende greifbar und in allen emotionalen Facetten nachvollziehbar macht.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen