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Die Ruinen der antiken Tempelanlagen von Palmyra stemmten sich in der syrischen Wüste lange gegen den Verfall. Doch 2015 zerstörte sie die Terrormiliz IS fast vollständig. Der Essayfilm, der sich auch kritisch mit dem westlichen Kulturbegriff auseinandersetzt, basiert auf 2008 gedrehtem Material.

Palmyra (2016)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die ambivalente Faszination für Ruinen

Die antike Stadt Palmyra in Syrien war jahrzehntelang eine touristische Attraktion. Das archäologische Interesse des Westens an den Tempeln, Säulengängen und Reliefs hatte schon Anfang des 20. Jahrhunderts einen Boom erlebt. Im Jahr 2015 sprengte die Terrormiliz Islamischer Staat einige Tempelanlagen in der Absicht, Palmyra vollständig zu zerstören. Der Dokumentarfilmer Hans Puttnies hatte Palmyra bereits 2008 mit der Kamera besucht. Sein 2017 fertiggestellter Essayfilm verfolgt jedoch nicht nur die Absicht, das frühere Antlitz der Ruinenstadt zu überliefern, sondern hinterfragt auch kritisch den Kulturbegriff des Westens.

Das Interesse des Westens an Palmyra, das einst zum römischen Reich gehörte, setzte im 18. Jahrhundert mit den ersten Forschungsexpeditionen ein. Es erschienen Bücher mit detaillierten Zeichnungen der Tempel und ihrer Ornamente. Um im 20. Jahrhundert systematische Ausgrabungen zugunsten europäischer Museen zu erleichtern, wurden die Bewohner Palmyras kurzerhand umgesiedelt. So entstand die nahegelegene Stadt Tadmor. In dieser gab es schließlich in der Ära Hafiz al-Assads, des Vaters des jetzigen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, auch ein berüchtigtes Foltergefängnis. Hans Puttnies kratzt am einseitig auf die geistige Rekonstruktion des antiken Palmyra ausgerichteten Erkenntnisinteresse westlicher Forscher und Bildungsreisenden. Er verweist an vielen Stellen darauf, dass Palmyra, das 1980 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, eine lange Geschichte der Veränderungen erlebte. 

Die frühen Bewohner der bereits in vorrömischer Zeit gegründeten Handelsstadt Palmyra kannten etwa 60 Gottheiten. Aber außer den Säuleninschriften aus römischer Zeit gibt es so gut wie keine schriftlichen Zeugnisse des Alltagslebens. Die sich bis 2015 wunderschön in den blauen Himmel reckenden, uralten Torbögen verraten dem Laien nicht, dass schon in frühen Jahrhunderten Christen, später Muslime ihre Gotteshäuser in den Tempelanlagen einrichteten. Und sie erzählen vor allem auch nichts über die Menschen, die während langer Epochen hier lebten, ohne geschichtliche Spuren zu hinterlassen. 

Während seines Drehs lernte Puttnies einige Einheimische aus der Region kennen, die beispielsweise als Souvenir- und Schmuckhändler auf Geschäfte mit Touristen hofften. Einem von ihnen, dem 15-jährigen Beduinen Mohamad, stellte er aus dem Off Fragen, über seine Erfahrungen mit den Touristen, über seine Zukunftspläne. Dem Presseheft ist zu entnehmen, dass Mohamad später vom IS gefoltert wurde, ihm aber die Flucht nach Dänemark gelang. 

Puttnies verwendet in seinem Film auch Ausschnitte aus Propaganda-Videos des IS, die die Zerstörung Palmyras dokumentieren, aber auch tödliche Grausamkeit gegen Menschen in der Region. Auf dem letzten Foto, das es vom Baalschamin-Tempel gibt, sind bereits die Sprengsätze auf den Säulensockeln zu sehen. Puttnies, der lange an der Hochschule Fotografie und grafische Gestaltung lehrte, greift überhaupt viel auf Fotografien und Standbilder zurück. Aber auch die Aufnahmen der Säulen und antiken Torbögen an früheren Stellen seines Films wirken statisch, wie eine ästhetische Huldigung an die Fähigkeit der filigranen Ruinen, der Erosion jahrtausendelang zu widerstehen. Nur selten kommt einmal ein Mensch ins Bild, die Anlage wirkt meistens so verlassen, wie sie sich das westliche, an der Kultur der Antike interessierte Publikum wohl gerne vorstellt. 

Mit der Entscheidung, den Originalton weitgehend auszublenden, grenzt sich Puttnies eigenwillig vom dokumentarischen Genre ab. Zu hören sind entweder sein gedankenreicher Voice-Over-Kommentar oder eine elektronische, experimentell klingende Musik. Dieser Stil schafft einerseits Distanz zum Objekt, hebt es andererseits aus der Realität heraus, signalisiert, dass es in der Betrachtung und Interpretation verändert, verfremdet wird. Dieses Mittel der Gestaltung passt zur Aussage, dass die westliche Rezeption das Leben an diesem Ort schon allzu lange ausgeblendet hat. 

Aber der Film bricht auch nicht wirklich mit dieser Tradition, so sehr sich Puttnies in seinem Kommentar und auch in Aufnahmen aus der Stadt Tadmor sowie vom Gefängnisgelände darum bemüht. Er nimmt nur selten Menschen ins Visier, spricht nicht mit ihnen, sondern über sie. Indem außer Mohamad kein Einheimischer zu Wort kommt, wird die Chance weitgehend vertan, den Ort als Teil einer lebendigen Umgebung zu zeigen. Mit der Betonung des Essayistischen verweist Puttnies zugleich auf die Subjektivität und auch die Lückenhaftigkeit seines kontemplativen kulturgeschichtlichen Ausflugs.

Palmyra (2016)

Im Sommer 2015 wurden die berühmten Tempel von Palmyra in Syrien durch den „Islamischen Staat“ zerstört. Die meisten Menschen begriffen nicht, daß nun ein viel größeres Verbrechen begann: das Assad-Regime bombardierte rücksichtslos die direkt daneben liegende moderne Stadt Tadmor und machte die Familien, die von den Denkmälern gelebt hatten, zu Flüchtlingen in Europa.

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