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Alexander McQueen war eine Legende, sein Leben keine klassische Aufstiegsgeschichte, sondern eher ein unentwegtes Auf und Ab. Der perfekte Stoff für einen mitreißend dynamischen Dokumentarfilm.

Alexander McQueen (2018)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Die Schönheit des Totenkopfs

Die Insignien des McQueen-Stils – golden glänzende Ornamente, ein Totenkopf, stilisierte Blüten vor dunklem Hintergrund – sondern eine Aura heiliger Reliquien ab. Der Vorspann erinnert an Serienintros à la Game of Thrones oder The Crown. Dazu royal getragene Streichermusik wie von Henry Purcell, nur einen Tick getriebener, mit einer unverkennbaren Tendenz zum Irrsinn.

Die Geschichte von Lee Alexander McQueen ließe sich tatsächlich gut in Serienform erzählen – die  unwahrscheinliche Aufstiegsgeschichte eines Jungen aus eher unglamourösen Verhältnissen, 1969 in London geboren. Ein Schulabbrecher, der durch seinen unkonventionellen Karriereweg einen unvergleichlich frischen Blick mitbringt, der Kultur aufsaugt wie ein Schwamm. Der sich oftmals besser auskennt als die eigenen Dozenten, aber gezwungen ist, seine Stoffe von Arbeitslosengeld zu bezahlen. Der in der Savile Row angefangen hat und Körpermaße mit den Augen nehmen kann. Doch Ian Bonhôte erzählt seinen Dokumentarfilm nicht als klassische Aufstiegsgeschichte, sondern als eine, in der ein permanentes Auf und Ab – ein kometenhafter Aufstieg, gerümpfte Nasen, sprudelnde Kreativität, zerstörte Freundschaften, in den Himmel hebende Kritiken, Depression und Drogensucht, obszöner Reichtum, die HIV-Diagnose – neben der Genialität des Protagonisten die einzige Konstante bleibt. 

Die zahlreichen Dramen in Lee Alexander McQueens Leben montiert Bonhôte in schnellem, dynamischem Tempo, schustert vor unseren Augen eine regelrechte Materialcollage zusammen: Steckbrief-Animationen auf texturiertem Papier, private Amateurvideos, talking heads, animierte Fotos, Negative, Kontaktabzüge, Mitschnitte alter Fernsehinterviews und natürlich der Schauen. Auf diese Weise imitiert der Film McQueens Bestreben, mithilfe seiner experimentellen Mode, seiner ungewöhnlichen Schnitte neue Silhouetten und Volumen zu kreieren. Stücke, die Emotionen freisetzen wie 1999, als er ein weißes Babydoll-Kleid im Finale einer Modenschau von zwei Roboterarmen mit Farbe bespritzen ließ. Damals stand die Modewelt Kopf.  

Die ungestüme Dramaturgie von Alexander McQueen — Der Film bietet also das passende filmische Äquivalent zur Persönlichkeit des britischen Modeschöpfers. Zugleich erinnert sie aber auch daran, wie bedeutend in der Beurteilung von Personen und ihrer Arbeit der Kontext ist. Misogynie wurde McQueen unterstellt, als er seine Models für die Highland Rape Collection Fall/Winter 1995 blutverschmiert und in zerrissenen Tartanstoffen über den Laufsteg stolpern ließ. Bonhôte liefert die Hintergründe: Als Kind hatte McQueen, dessen Stammbaum sich bis zu alten schottischen Highland-Clans zurückverfolgen lässt, selbst Missbrauch erlebt und bei den Frauen in seiner Familie gesehen. Später wollte er Frauen zeigen, die aus Gräuel und Elend gestärkt hervorgehen. Es sei Provokation um der Provokation willen, entrüstete sich später ein Teil der Presse, als er Hosen so tief auf die Hüfte rutschen ließ, dass das Schamhaar der Models zu sehen war. Dabei ging es ihm in erster Linie darum, die Proportionen des menschlichen Körpers neu zu denken.

Solche Innovationen waren es, die die Modenschauen Alexander McQueens so eindrucksvoll machten, die sie im Gedächtnis bleiben ließen. Sie sind wohl das Einzige, das in Alexander McQueen — Der Film ein wenig kurz kommt. Man würde sich gern noch ein bisschen länger fallen lassen in die Mode, die Choreografien, die Musik. Aber Bonhôte will nicht nur McQueens Talent nachspüren, ihm liegt auch daran, ein Bild der entfesselten Industrie zu zeichnen, in der sich der Modeschöpfer in den 1990er Jahren bewegte. Die Persönlichkeiten auf Podeste hob, um sie kurz darauf wieder fallenzulassen. Schon treibt er uns weiter zum nächsten Drama. Die Schauen stehen schließlich auch auf YouTube.

Alexander McQueen (2018)

Dem 1969 geborenen Briten Alexander McQueen ist der Aufstieg in der Modebranche gelungen. Er sorgte mit seinen Kreationen immer wieder für Kontroversen. Regisseur Ian Bonhôte porträtiert den Fashion-Designer in all seinen Facetten.

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