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Die Brutalität islamistischer Terrormilizen und ihr tödlicher Hass auf sämtliche als Ungläubige beschimpfte Andersdenkende entsetzt Menschen auf der ganzen Welt. Der Dokumentarfilm von Talal Derki bietet die seltene Gelegenheit, den Familienalltag eines syrischen Dschihadisten zu beobachten.

Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats (2017)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein Junge, bestimmt für den Dschihad

Der im Exil in Berlin lebende syrische Filmemacher Talal Derki (Return to Homs) hat für seinen neuen Dokumentarfilm zweieinhalb Jahre lang den Alltag einer Familie in Nordsyrien geteilt. Als ihr Gast beobachtete er vor allem das Leben der Kinder in Hör- und Sichtweite der Gefechte. Dass es sich um die Familie eines islamistischen Milizionärs handelt, verleiht dem Werk einen besonderen Seltenheitswert. Das Publikum lernt einen Dschihadisten von seiner privaten Seite kennen, im Umgang mit seinen Söhnen, die er auf ihre Bestimmung als Kämpfer für ein islamistisches Kalifat vorbereitet. Der Film erhielt auf dem Sundance Film Festival 2018 den Grand Jury Prize in der Kategorie World Cinema.

Derki bezeichnet sich selbst als Atheist, gibt sich aber als Kriegsfotograf aus, der Sympathien für die Islamisten hegt, als er die Höhle des Löwen betritt. Er erlebt dort, wie dieser salafistische Kämpfer, der im Film Abu Osama genannt wird, seine Kinder radikalisiert. Als Vertreter der Generation, auf der Syriens Hoffnungen auf Frieden liegen, schauen die Jungen der Zukunft seelisch und mental belastet entgegen. Wenn sie sie überhaupt erleben – der Epilog des Voice-Over-Kommentators Derki verrät Erschütterndes. Der 45-jährige Hausherr zählt zu den Gründern der Al-Nusra-Front, eines syrischen Zweigs der Terrororganisation Al-Qaida. Er erzählt voller Stolz, nach welchen Vorbildern er seine Söhne – etwa den 13-jährigen Osama – benannte und wie froh er ist, dass einer von ihnen an einem 11. September geboren wurde. 

Osama und seine Brüder hängen an den Lippen des geliebten Vaters, der zärtlich und verspielt sein kann. Stolz verkündet Osama, er habe einem Spatz den Kopf abgetrennt, so wie der Vater es mit einem Mann gemacht habe. Osama hat viel Zeit, denn seit einem Streit mit dem Lehrer lässt der Vater die Söhne nicht mehr zur Schule. Nach und nach, beim Beobachten der spielenden Kinder, der Interaktionen mit dem Vater daheim, häufen sich Szenen der Gewalt. Der Vater schlägt, die Jungen raufen. Ein Hammel wird geschlachtet, der Vater sagt in Gegenwart der Söhne, dass er sie jetzt wohl opfern müsste, hätte Gott Abraham nicht erlaubt, das Tier als Ersatz für seinen Sohn zu geben.

Nicht nur bei dieser Gelegenheit wirken die Kinder erschrocken und verstört wegen der heraufbeschworenen Gefahr für Leib und Leben. Der Vater betätigt sich unter anderem als Minensucher und zahlt eines Tages blutigen Tribut. Osama und sein jüngerer Bruder kommen in ein Al-Nusra-Trainingscamp. Auch dort filmt Derki Erschütterndes. Die Kinder werden konditioniert, sich vor Kugeln, die direkt neben ihnen einschlagen, nicht zu fürchten.  

Die weiblichen Mitglieder der Familie halten sich systematisch von der Kamera fern. Ein-, zweimal richtet der Hausherr das Wort an Osamas unsichtbare Mutter, verachtend und drohend. Offenbar verdammt dieser Islamist Frauen und Mädchen zu einem sklavenähnlichen Dasein im Hintergrund. Sein Weltbild gründet hauptsächlich auf archaischen religiösen Schriften, selbst die Zukunft hält er für bereits prophezeit. 

Dennoch, und das ist die besondere Qualität dieses Films, wird der Familienvater immer wieder auch als Mensch mit sympathischen Zügen sichtbar. Er denkt, dass er das Richtige tut, wenn er Osama zum Al-Nusra-Kämpfer bestimmt. Der Inbegriff von Männlichkeit ist für ihn der siegreiche Held oder Märtyrer. Osamas jüngerer Bruder hat Glück, weil er sich im Camp nicht gut machte, darf er wieder zur Schule gehen. Derki erklärt nicht, woher die radikalen Ansichten dieses Familienvaters kommen, stellt ihm keine Fragen, die ihn misstrauisch machen könnten. Er konfrontiert das Publikum roh und unverhüllt mit einer Realität, die zu Syrien und anderen Teilen der arabischen Welt gehört und gegen die es keine Patentrezepte zu geben scheint.

Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats (2017)

Abu Osamas ganzer Stolz sind seine Jungs, die in nicht allzu ferner Zukunft auch im Jihad gegen die syrischen Machthaber kämpfen sollen. Zwei seiner acht Söhne besuchen schon das Sharia-Camp, hier bekommen sie mit 12 Jahren Koran-Unterricht, ebenso wie Militär-Training. Von einer Kindheit im Kalifat, dicht an den Frontlinien, erzählt Talal Derkis Dokumentarfilm.

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