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Eine Postapokalypse-Erzählung von einer brutaldarwinistischen Männergesellschaft, archaisch und mystisch: Wobei leider das filmische Erzählen mit der überwältigenden, überhöhenden Musik- und Kameraarbeit nicht mithalten kann.

Ende Neu (2018)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Nach dem Ende ist vor dem Ende

Bilder von Wäldern, von verlassenen Häusern, von Wasser. Ein paar Vögel fliegen auf, Menschen sind nicht zu sehen. Kalt und feucht, ein Winter, der ewig währt: Wir sind in ein postapokalyptisches Setting geworfen, eine Welt, in der scheinbar nur die Männer überlebt haben, und von denen auch nur die stärksten. Überwucherte Betonstraßen, ein paar Trucks, halbautomatische Gewehre: Die Truppe des Anführers beherrscht die Gegend. Der Arzt ist der enge Verbündete, er haust in einer Villa, halb verrottet, aber gut brauchbar als Liebesnest für diverse Lustknaben, die der Anführer dem Arzt zukommen lässt. Im Gegenzug erwartet er Hilfe, denn eine Krankheit, ungenannt, aber schrecklich, breitet sich aus.

Die Bilder von Ende neu führen uns ein in diese Welt – und ein Voice-Over-Kommentar, der alles erklärt, der im Überschwang erzählt. In seinem ersten Teil wirkt der Film wie ein Hörspiel, doch die Erzählung ist literarisch, in feiner Sprache, und so hat auch dieses an sich unfilmisch wirkende Element seine Berechtigung. Zumal die Stimme verstummt nach der Exposition, wenn wir hineingeraten in die Konstellationen archetypischer Figuren, die nach ihrer Funktion benannt sind: Der Arzt und seine Freunde, der Anführer und seine Soldateska. Ein Heiler, der ins Land kommt mit seinem Sohn, der alles verändern wird. Und auf einer Insel: Eine Mutter und ihre Tochter, abgeschlossen von der darwinistischen, gewalttätigen Männerwelt. Zwischen diesen Welten: Ein Zwerg, der unbeachtet beobachtet, klein und von allen übersehen.

Eine archaische Welt etabliert Leonel Dietsche mit archaischen Figuren, aufs pure Überleben bedacht und auf das Ausagieren ihrer Triebe. Wenn einer krumm guckt, kann es schon mal sein, dass der Anführer ihm lachend den Hals umdreht. Der Arzt bietet Zugang zu süßen Drogenträumen und verlangt dafür Befriedigung. Der Heiler strebt nach höheren Dingen, er will einen Tempel errichten am Platz der Villa des Arztes, hier seien die spirituellen Kräfte stark …

In Kapitel eingeteilt erzählt Dietsche, jedes Kapitel ein Block, nur vage verbunden mit den anderen Blöcken, weniger eine durchgehende Handlung als ein Panorama des Vergehens. Die Tochter verlässt die Insel, der Arzt soll die kranke Mutter kurieren, doch sie gerät in die Mühle von Brutalität und Vergewaltigung, ein bitteres Spiel von Trieben, von Macht und Lust; zugleich weiß der Heiler sich des Anführers zu bedienen, um an die begehrte Villa zu kommen – doch gerade im letzten Drittel, wenn die Handlungen kulminieren, wenn sie aufeinander einwirken, verlässt den Film seine Stärke, die in der monolithischen Inszenierung liegt. Wieder der Erzähler, der allwissende Zwerg, der nun wichtige Handlungspunkte erklärt, die nicht gezeigt werden: Sicherlich Teil des elliptischen Konzepts, wirkt es leider doch unbeholfen, wenn einige alles verändernden Todesfälle vermeldet werden und die Geschichte allzu simpel in eine „Und dann, und dann“-Schilderung des Geschehens mündet.

Womit der Film aber punkten kann, das ist einmal die Musik: Eine bombastische, elegische, gerade in ihrem Übermaß überwältigende Synthesizermusik, die so ähnlich auch bei Werner Herzog hätte auftauchen können – wie ohnehin der ganze Film wirkt wie der Versuch, Herzog, Tarkovskij und Haneke zu verschmelzen. Eine Musik ist das, die nicht nur überhöhend wirkt, sondern sich auch auf ganz besondere Weise mit den Bildern verbindet – die Bilder nämlich sind das zweite Element, das Ende neu zu einem aufregenden Erlebnis werden lässt. Und so ist diese starke 70 Minuten dauernde Abschlussarbeit der Filmakademie Ludwigsburg vielleicht weniger eine gelungen gestaltete Visitenkarte des Regisseurs Dietsche als vielmehr ein Vorgeschmack auf kommende Großtaten von Komponist Antimo Sorgente und vor allem von Kameramann Roland Stuprich, der eine mystisch-romantische Atmosphäre schaffen kann wie kaum ein zweiter – das hat er auch schon vor einigen Jahren in Timm Krögers leider kaum je gezeigtem, gleichwohl grandiosen Ludwigsburg-Abschlussfilm Zerrumpelt Herz bewiesen.

Ende Neu (2018)

In einer post-apokalyptischen Welt scheinen nur die Männer überlebt zu haben. Das Recht des Stärkeren herrscht. Unter ihnen ist ein Arzt, der sich in einem verlassenen Sanatorium zurückgezogen hat. Als ein selbsterklärter Heiler und dessen Sohn sich aufmachen, um die Macht an sich zu reißen, geraten die Dinge fatal aus dem Gleis. Gibt es noch Hoffnung? Ein kleinwüchsiger Mann wandert unter den Verlorenen und weiß als einziger, dass auf einer kleinen Insel im Fluss, tief in den dortigen Wäldern, eine Frau im Geheimen lebt und ihr Kind beschützt… 

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