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Die Schweizer Filmemacherin Anja Kofmel begibt sich auf Spurensuche und recherchiert in ihrem Dokumentar-Animationshybrid die Hintergründe des Todes ihres Cousins, der als Journalist in den Jugoslawienkrieg zog und dort ums Leben kam – in der Uniform einer zwielichtigen Söldnertruppe.

Chris the Swiss (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tod auf freiem Feld

Als Kind habe sie ihn immer bewundert, ihren um einige Jahre älteren Cousin Christian Würtenberger – bis eines Tages im Januar 1992 die Nachricht von seinem Tod die Familie erreichte. Er starb auf einem Feld in Kroatien, in der Uniform einer Söldnertruppe von zweifelhaftem Ruf, die auf der Seite der Kroaten gegen die Serben kämpfte. Er war erwürgt worden. Weil vieles an dem Tod rätselhaft war und bis heute geblieben ist, hat sich Anja Kofmel in einer Mischung aus eindrucksvollen animierten Bilder in Schwarz-Weiß und dokumentarischen Aufnahmen auf Spurensuche begeben und dabei nicht nur persönliche Erkenntnisse gewinnen, sondern auch politische Zusammenhänge aufgedeckt.

Denn neben nationalistisch gesinnten Kräften spielte offensichtlich auch die ultrakatholische Bewegung Opus Dei eine wichtige Rolle, die Kroatien stets als Abwehrbollwerk gegen die serbisch-orthodoxe Kirche und – viel schlimmer noch – den Islam verstand. Ganz aufgeklärt werden kann die ganze Affäre zwar am Ende nicht, weil der Hauptverdächtige in diesem Fall selbst einem Mord zum Opfer fiel, aber die Lösung, die Anja Kofmel aufgrund der vielen Gespräche gefunden hat, erscheint insgesamt recht plausibel.

Wie bereits in Another Day of Life, der in diesem Jahr außer Konkurrenz an der Croisette gezeigt wurde und der im Prinzip eine recht ähnliche Geschichte erzählt, wählt auch Anja Kofmel für ihren Film einen Mix aus realen Bildern und ausgedehnten Animationssequenzen, die das narrative Gerüst bilden. Zwar ist die Stilistik in Chris the Swiss ganz anders geraten als in dem Werk von Raul de la Fuente und Damian Nenow, viel düsterer, expressiver und reduzierter in ihrer ausschließlichen Verwendung von Schwarz, Weiß und Grautönen, dennoch sind die Gemeinsamkeiten unübersehbar. Beide Werke handeln von einem jungen Kriegsberichterstatter, der in einen schrecklichen Krieg gerät und dort nicht nur um die eigene Unversehrtheit kämpft, sondern auch um die persönlicher Haltung zu diesem Krieg und gegen den Verlust der Balance und der Unschuld.

Am Ende bindet sie die einerseits persönliche, andererseits weit zurückliegende Geschichte hinein in die Gegenwart. Denn auch heute ziehen wieder junge Schweizer in einen Krieg, der nicht der ihre ist. In ein fremdes Land unter einer fremden Fahne. Vielleicht wird es bald Filme über sie geben müssen. Chris the Swiss deutet an, wie solche individuellen Traumata verarbeitet werden können. Filme leisten hier wertvolle Erinnerungs- und Trauerarbeit – und es steht zu befürchten, dass der Bedarf an diesem Formen der Aufarbeitung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht abreißen wird.

Chris the Swiss (2018)

Kroatien, Januar 1992. Mitten in den Jugoslawienkriegen wird Chris, ein junger Schweizer Journalist, unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Zum Zeitpunkt des Todes trug er die Uniform einer internationalen Söldnergruppe. Anja Kofmel, seine Cousine bewunderte diesen stattlichen jungen Mann als kleines Mädchen. Als erwachsene Frau beschliesst sie, seiner Geschichte nachzugehen und versucht zu verstehen, was Chris’ tatsächliche Beteiligung an diesem Konflikt war …

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