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Die Gesetze des Marktes lassen Stéphane Brizé nicht los – und so erzählt er abermals mit Vincent Lindon in der Hauptrolle von dem Kampf der Arbeiterschaft gegen Entlassungen und für eine Zukunft.

Streik (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Arbeitskampf

„Das Gesetz des Marktes“ hieß wörtlich übersetzt der vorherige Film von Stéphane Brizé (La loi du marche), der in Deutschland unter dem Titel Der Wert des Menschen in die Kinos kam. Und das wäre eigentlich auch ein überaus zutreffender Titel für sein neues Werk En Guerre, das im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes 2018 zu sehen war: Abermals spielt Vincent Lindon einen einfachen Mann aus der Arbeiterschicht, der angesichts der Auswirkungen eines aggressiven Kapitalismus mit den Folgen der Globalisierung kämpfen muss.

Trotz weitreichender finanzieller Zugeständnisse und einer vor zwei Jahren unterzeichneten Vereinbarung, die den Schutz der Arbeitsplätze garantieren sollen, haben die Bosse anders entschieden: Das Werk des Autozulieferers Perrin in einer strukturschwachen Gegend Frankreichs soll schließen – so wurde es beim deutschen Mutterkonzern beschlossen. Damit ist die Zukunft von 1100 Arbeiter*innen gefährdet, denn andere Jobs gibt es in dieser Region kaum. Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten: Unter Führung des Gewerkschafters Laurent Amédéo (Vincent Lindon) formiert sich der Widerstand. Die Arbeiter gehen auf die Barrikaden und fordern sowohl die französische wie deutsche Geschäftsleitung zu Gesprächen auf. Und dank ihrer Hartnäckigkeit gelingt es ihnen immer wieder, kleine Teilsiege zu erringen – trotz enttäuschender Signale aus der Justiz und einem Engagement der Politik, das sich allenfalls auf symbolische Handlungen beschränkt. Doch eine einzelne siegreich verlaufene Schlacht bedeutet keinesfalls einen gewonnenen Krieg, zumal sich auch die Arbeiterschaft keinesfalls einig ist. So geraten die Arbeiter, aber auch Laurent, immer mehr unter Druck, während die Manager sich immer wieder der Verantwortung entziehen und auf die abstrakten Gesetze des Marktes verweisen, denen man unterworfen sei.

Wüsste man es nicht besser und wäre Vincent Lindon nicht so ein bekannter Darsteller, könnte man ihn tatsächlich für einen echten Gewerkschafter halten – so glaubhaft ist er in dieser Rolle eines einfachen und aufrechten Mannes, der für das Wohl der Arbeiter kämpft, der anpackt, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, der sich aber manchmal auch so sehr über die offensichtlichen Ungerechtigkeiten aufregt, dass er die Fassung verliert. Man meint sogar, genau diese Art von Mensch zu kennen – und ja, man mag diesen Mann instinktiv, auch wenn er nicht frei von Fehlern ist. Man bewundert seine Aufrichtigkeit, seine Unnachgiebigkeit, seine Ausdauer und leidet förmlich mit ihm mit, wenn sich wieder einmal das Schicksal gegen ihn und die Arbeiter verschworen zu haben scheint.

En guerre mag vielleicht auf den ersten Blick ein wenig etwas übertriebener Titel sein, doch zumindest macht der Film deutlich, dass an dieser Metapher durchaus etwas dran ist. Sparsam im Musikeinsatz (das ist schon eine Seltenheit im derzeitigen Kino) sind die Gespräche, die hitzigen Diskussionen, das Geschrei der Demos und Kundgebungen derart prägnant, dass der Film immer wieder Gefahr läuft, den Zuschauer zu nerven. Und es ist zu vermuten, dass En guerre genau das auch beabsichtigt: Er will aufrütteln, er will keine Ruhe geben, sondern zeigen, was sich hinter dem verbirgt, was wir häufig in den Nachrichten zu sehen bekommen – das willkürliche Wirken internationaler Konzerne, die Niederlassungen und Arbeitskräfte scheinbar nach Belieben und allein am Shareholder Value ausgerichtet hin und her verschieben, die Ohnmacht und die Wut der Arbeiter, die Hilflosigkeit der Politik, die allenfalls große Reden schwingt, aber letztendlich nichts tun kann gegen das Primat der Wirtschaft. Ein scheinbar schmuckloses Werk, das im Stil einer TV-Reportage gedreht seine Wirkung vor allem durch seine unnachgiebige Haltung entfaltet – und das am Ende mit einer Szene schockt, die einen wie betäubt aus dem Kino entlässt. Im Krieg gegen die Gesetze des Marktes bleiben die Gewinner abstrakt. Aber dank Vincent Lindon und Stéphane Brizé erhalten wenigstens die Verlierer ein Gesicht.

Streik (2018)

Nachdem Vincent Lindon 2015 für seine Rolle in Stephane Brizés Der Wert des Menschen / La loi du marché die Palme als bester Hauptdarsteller hatte entgegennehmen können, wirkt er auch im neuesten Film des Regisseurs mit, der abermals im Wettbewerb an der Croisette zu sehen sein wird. Und auch hier geht es wieder um den Kampf der sogenannten kleinen Leute gegen Ungerechtigkeit. 

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