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Mit dem Dokumentarfilm Zeit für Utopien träumt der Regisseur Kurt Langbein von einer Alternative zum wachstumsorientierten Kapitalismus. Auf seiner Suche reist er um die ganze Welt und findet viele Ideen – nicht alle davon passen wirklich zusammen.

Zeit für Utopien (2018)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Zu viel des Guten

„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, wird Helmut Schmidt zitiert. Der Dokumentarfilm Zeit für Utopien wäre demnach ein Film voller Patienten. Doch Kurt Langbeins filmische Suche nach einer Alternative zum wachstumsorientierten Kapitalismus zeigt nicht nur Träumer, die eine bessere Welt herbeireden wollen, sondern auch Menschen mit sehr konkreten Vorstellungen, wie eine solche zu erreichen wäre.

Der internationale Chor vieler Stimmen ergibt dabei kein einmütiges, kohärentes Argument. Es treten Widersprüche auf, die so bezeichnend wie erhellend sind. Sie verweisen auf das Spannungsfeld zwischen Idealismus und Materialismus, in dem die politische und ökonomische Linke der Gegenwart feststeckt. 

Wenn das Kino Utopien formuliert, dann indem es zeigt, wie eine andere, möglicherweise auch bessere Welt aussehen könnte. Indem es visuelle und intellektuelle Freiräume eröffnet. Langbeins Film beginnt mit glücklichen Ziegen auf saftigen grünen Weiden im Sonnenaufgang. Ein etwas landlustiges Kitschbild wie aus einem Werbespot für Bauernhofurlaub im Allgäu. Und tatsächlich ist die erste von verschiedenen Figuren, die an die Stelle eines auktorialen Erzählers treten, eine Werbefachfrau: Petra Wähning lobpreist die solidarische Landwirtschaft wenig anders, als sie es zuvor mit der ProSieben-Sat.-1-Gruppe getan haben muss. Ihre bibeldramaturgische Saulus-Paulus-Geschichte fügt sich stimmig ins Gesamtbild. 

Der Film verharrt jedoch nicht in Bayern. Es zieht ihn nach Südkorea, wo die Genossenschaft Hansalim in 220 Geschäften über 1,5 Millionen Menschen mit regionalen Bioprodukten versorgt. Die Kamera folgt Laura Gerritsen vom niederländischen Unternehmen Fairphone durch Uganda und den Kongo, auf der Suche nach einem besseren, faireren Bergbau. In Frankreich wird eine ehemals dem Konzern Unilever zugehörige Teefabrik präsentiert, die nach Jahren des Kampfes den Mitarbeitern gehört und als Genossenschaft Scop-Ti weiter betrieben wird. Ein ähnliches Projekt in Dresden wird kurz vorgestellt, zwei Ökonomen sollen die Einzelpunkte in größere Zusammenhänge setzen. Wie ein Fremdkörper wirkt die Züricher Wohngemeinschaft Kalkbreite, die als Zukunft des öffentlichen Zusammenlebens präsentiert wird, dabei aber so revolutionär wie der Prenzlauer Berg wirkt. Oder wie J. G. Ballards High-Rise mit Gemeinschaftsgefrierfach.

Der Regisseur hebt die Schönheit aller Schauplätze hervor, warmes Licht und fröhliche Menschen soweit man sieht. Die Betriebe werden in einem Maße idyllisch und konfliktlos präsentiert, dass man fast fragen will, was gerade verheimlicht wird. Ein wenig zu sorglos bedient man sich an der (Bild)Sprache jener Strukturen, die man zu überwinden oder zumindest zu verbessern sucht. Wenn die Kamera langsam gen Himmel steigt, um malerisch im Sonnenuntergang erstrahlende Lindenblüten in Szene zu setzen, und die Off-Stimme einer sympathischen alten Dame schwärmt, man habe wirklich den Eindruck „Honig […] und Sonne in der Tasse zu haben“, dann reicht das noch nicht. Denn kurz darauf beginnen die Arbeiter gemeinsam zu singen, lachend sitzen sie im Kreis, als wäre die Utopie längst Realität.

Es sind apodiktische Bilder, die wohl überzeugender gewesen wären, wenn zumindest anklingen würde, warum wir nicht schon längst in diesen offensichtlich besseren Zuständen leben. Eine Ökonomin betont, man müsse aufpassen, den Übergang zum Post-Wachstums-Kapitalismus zu schaffen, ohne die Bürger einem Diktator in die Hände zu treiben. Wieso die Transformation dieses Risiko in sich birgt, wird nicht erläutert. 

Immer wieder verweigert sich der Film den Herausforderungen, welche die Gegenwart seinen verschiedenartigen Ideen entgegensetzt. Mit Schlagwörtern wie „Nachhaltigkeit“ und „fair“, oder mit Bildern von glücklichen Nutztieren argumentieren längst auch McDonalds und Nestlé. Warum ist ein Slogan überzeugender als der andere? Die angestrebten Veränderungen verspricht auch jedes neue Start-Up im Silicon Valley, wo der klassische Kapitalismus Disruption um Disruption zerstört und neu geboren werden soll. Seit Jahren wird diskutiert, ob eine neue Form des Konsums den bestehenden Problemen nicht lediglich ein buntes Mäntelchen überstülpt, ob „Fair Trade“ und „Bio“-Siegel nicht eigentlich Blendwerk sind. Kann es wirklich einen Konsumismus geben, der auch „inneren Reichtum“ bietet, wie eine Befragte hofft, oder werden lediglich die Träume und Wünsche der Menschen kommodifziert? Und was ist mit Prozessen wie der zunehmenden Automatisierung, die Landwirte in naher Zukunft möglicherweise um ihr Geschäft bringt? 

Die im Film propagierte Genossenschaft hingegen stellt nicht unbedingt einen dramatischen Umbruch oder gar eine Neuerung dar, sondern vielmehr eine Betriebsform, die sich bis zu Frühsozialisten wie Robert Owen zurückverfolgen lässt. Es wird nicht deutlich, wieso sich diese Herangehensweise gerade jetzt durchsetzen sollte, beziehungsweise, welche Schritte dazu nötig sind. Können sie die Industrieproduktion wirklich ersetzen und effektiv auch jene versorgen, die sich keine Zürcher Genossenschaftswohnung leisten können?

Zeit für Utopien fühlt sich ein wenig veraltet an. Vor dreißig oder vierzig Jahren, als filmische Ausformulierung und Fortführung der Thesen des Club of Rome, hätte der Dokumentarfilm sicher besser funktioniert als im Jahr 2018. Zeitgenössisch sind lediglich die Drohnenaufnahmen, die in ausladenden Auf- und Abstiegsbewegungen visuell den Versuch der Doku abbilden, Makro- und Mikro-Ebene miteinander zu verknüpfen. Das gelingt nur selten, und so nimmt man disparate, oft gegenläufige Versuche wahr, eine neue Welt zu schaffen, für die es keine gemeinsame Vision gibt, sondern nur tausend Ansätze auf dem Spektrum von Weltrevolution bis Biomettwurst.

Zeit für Utopien (2018)

Wie 1,5 Millionen Menschen mit regionaler, frischer Biokost versorgt werden, wie urbanes Wohnen mit einem Bruchteil der Energie möglich ist, wie ein Smartphone fair produziert wird und wie eine ehemals dem Unilever-Konzern gehörende Teefabrik in Selbstverwaltung funktioniert. 

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