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Spannend wie ein zeitgeschichtlicher Krimi ist Gert Kroskes „SPK Komplex“ über das in Heidelberg gegründete Sozialistische Patientenkollektiv, das sich mit antiautoritärem Furor gegen die Praktiken der Psychiatrie wandte.

SPK Komplex (2018)

Krankheit als Waffe

Das Kürzel SPK oder auch der Name, der sich dahinter verbirgt — die Buchstaben stehen für „Sozialistisches Patientenkollektiv“ -, sagt heute nur noch den wenigsten Menschen etwas. Während der Existenz der Gruppe in den frühen 1970er Jahren hatte diese aber einen beinahe legendären Ruf.

Und das liegt nicht allein an der radikalen Programmatik, mit der sich deren Begründer Dr. Wolfgang Huber gegen die Lehre und Praktiken der Psychiatrie und Psychotherapie wandte, sondern auch an den Verbindungen zur RAF. Der Dokumentarfilmer Gert Kroske hat aus diesem ungeheuren, verschütteten Stoff einen mehr als nur sehenswerten Film geformt, der durch unermüdliche Recherche und intensive Gespräche mit Beteiligten ein dichtes Bild der unruhigen Jahre nach 1968 in der Bundesrepublik zeichnet.

Gleich zu Beginn taucht der Film ab in der Archive der Universität Heidelberg, wo ein Archivar die Immatrikulationspapiere von Dr. Wolfgang Huber präsentiert. Der aus Stuttgart stammende Huber hatte Medizin und Philosophie studiert, 1962 promoviert und war dann Assistenzarzt in der Psychiatrischen Universitätsklinik geworden. Doch die herkömmlichen Methoden der Psychiatrie, die vor allem aus Wegsperren und zur damaligen Zeit immer noch aus Elektroschocks bestanden, missfielen Huber und seiner gleichfalls als Ärztin tätigen Frau immer mehr, zumal sie in psychischen Erkrankungen kein Individualleiden, sondern Auswirkungen einer krankmachenden kapitalistischen Gesellschaft sahen. Und während die Psychiatrie versuchte, „die Patienten wieder fit für eine krankmachende Gesellschaft zu machen“, forderten Huber und seine Mitstreiter, zuerst müsse die Gesundung der Gesellschaft hergestellt werden, bevor in dieser Gesellschaft überhaupt eine Gesundung möglich sei.

Gemeinsam mit Patienten und Pflegern gründeten sie daher am 12. Februar 1970 das „Sozialistische Patientenkollektiv“, das in einer besetzten Wohnung in der Rohrbacher Straße praktizierte, die sich — Ironie des Schicksals — genau gegenüber einer Polizeiwache befand. Da die Gruppe bald schon ins Visier von Polizei und Staatsschutz geriet, setzte später eine gegenseitige Überwachung ein, die aufgrund der Nähe beinahe schon komische Aspekte in sich trug.

Dass die Gruppe ins Visier der Behörden kam, mag dazu beigetragen haben, dass die Schriften und sonstigen Äußerungen des SPK immer radikalere Züge annahmen. Schnell machte der Slogan von der „Krankheit als Waffe“ die Runde. Nach Durchsuchungen im Jahr zuvor kam es 1972 zum Prozess gegen einige SPK-Mitglieder; im Zuge der Verurteilungen verlor unter anderem Wolfgang Huber seine Approbation und wurde gemeinsam mit seiner Frau zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Während dieser Prozess aber auf einer eher dünnen Faktenlage basierte, vollzogen andere Mitglieder des SPK dann doch den Marsch durch die revolutionären Institutionen. Im Nachhinein betrachtet scheint es nur folgerichtig, dass einige der SPK-Aktivisten später den Weg zur zweiten Generation der RAF fanden — so nahmen etwa zwei frühere Mittglieder des SPK  an der Geiselnahme des Kommandos „Holger Meins“ in der deutschen Botschaft in Stockholm 1975 teil.

Minutiös und mit journalistischer Trennschärfe zeichnet Gert Kroske in SPK Komplex (der Titel ist sicher nicht zufällig gewählt, sondern bildet einen Verweis auf Stefan Austs Der Baader Meinhoff Komplex, aus dem die bis heute kaum widersprochene Zuschreibung der Gruppe als Rekrutierungsfeld der RAF stammt) den Weg des SPK nach und erschafft so das präzise und widersprüchliche Bild einer bewegten Epoche, die auch heute noch fasziniert und erschreckt. Auch vielen der Interviewten merkt man heute noch ihr Erschrecken darüber an, welchen Weg einzelne Mitglieder nahmen und welche Eigendynamiken sich entwickelten.

Dennoch bleibt eine Leerstelle: Ausgerechnet Wolfgang Huber selbst, die Initiator des SPK, bleibt ein Phantom; sein Aufenthaltsort ließ sich trotz intensivster Recherchen nicht ausfindig machen. Wenn es überhaupt ein Manko an Kroskes ebenso informativem wie spannendem Film gibt, dann ist es vielleicht dieses. Andererseits passt dieser blinde Fleck aber gut zu einer Geschichte, die von blinden Flecken geradezu überzogen zu sein scheint und deren eigentlich radikaler Gehalt manchmal fast unterzugehen droht: Ihre Umdeutung von Krankheit als Produkt einer krankmachenden Gesellschaft verdient gerade in Zeiten einer rasanten Zunahme von Burn-outs und Depressionen Gehör.

SPK Komplex (2018)

1970 begründete der Arzt Wolfgang Huber in Heidelberg gemeinsam mit Patienten das antipsychiatrische »Sozialistische Patientenkollektiv« (SPK). Umstrittene Therapiemethoden, politische Forderungen und der massive Zulauf von Patienten, die der üblichen »Verwahr–Psychiatrie« tief misstrauten, führten zum Konflikt mit der Universität Heidelberg und der Landesregierung, der sich in der Radikalisierung des SPK mündete …

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Meinungen

Sebastian Haffner · 07.11.2018

Alles in allem doch sehr enttäuschend. Man erfährt viel weniger über das SPK als die Rezensionen vermuten lassen. Hauptsächlich Selbstbeweihräucherung der interviewten "Protagonisten", die sich bereits dadurch disqualifizieren, dass sie allesamt mit den Vorstellungen und Methoden des SPK gebrochen haben, damals schon. Sie haben halt viel zu erzählen, hauptsächlich darüber, was sie DENKEN, dass das SPK gewesen sei. Da hol ich doch lieber meine schon leicht ausgebleichte Ausgabe von "Aus der Krankheit eine Waffe machen" aus meinem Bücherregal.

Ernst Hinrich Litta · 22.04.2018

Bißchen verwirrend, das Ganze, auch wenn man schon drauf vorbereitet ist, aber so war das damals wohl, sind jedenfalls sehr wertvolle und umfassende Informationen, die an uns Schauende herangetragen werden. Und wie haben sich die Zeiten doch gewandelt seit damals!

Franz Bär · 26.02.2018

Hab gerade meine alten Büchern durchforstet und doch tatsächlich eine 136seitige (damals verbotene) Agitationsschrift vom SPK aus dem Jahre 1972 gefunden mit dem Titel: "SPK, Aus der Krankheit eine Waffe machen" mit einem Vorwort von J.P. Sartre . (Trikont-Verlag).

Bernd Kolbe · 20.02.2018

Sehr guter spannender Film,ein Thema von dem ich zuvor nie gehört habe.Empfehlenswert!

Lobo · 19.02.2018

Den Film selbst konnte ich noch nicht sehen und habe deshalb zuerst mal nach dem SPK gegoogelt. Das SPK hat eine eigene Internetseite, es gibt es also noch. Ich war total baff von der Menge an Texten, in allen möglichen Sprachen, und wusste erst gar nicht, wo ich da anfangen sollte. Auf einer Seite, die hieß Neues oder Aktuelles oder so habe ich dann sogar etwas über den Flim bzw. den Regisseur gefunden. Darin heißt es, dass das SPK jede Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt habe. Ich denke, wer sich für das alles interessiert, sollte sich das auf jeden Fall mal anschauen. Nachdem ich das gelesen habe, habe ich erstmal die Lust verloren, in den Film zu gehen.

So, ich habe es wieder gefunden, es heißt „Gattungsgifter am Werk“ und der Link ist
http://spkpfh.de/Achtung_Gattungsgifter_am_Werk.htm
(ich hoffe, man kann hier einen Link machen).

PS: Ich bin selbst Patient und kriege jeden Tag mit, welche Scheiße hier abläuft. Das SPK ist echt ein Lichtblick. Dei schreiben sogar Tun und Glücken kraft Kranksein, wie abgefahren ist das denn.