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Ruth Beckermanns persönliches dokumentarisches Essay erinnert an ein innenpolitisches Erdbeben, das Österreich im Jahre 1986 erschütterte, als die NS-Vergangenheit von Kurt Waldheim bekannt wurde, der später zum Bundespräsidenten gewählt wurde.

Waldheims Walzer (2018)

Der Kandidat

Die Filmemacherin Ruth Beckermann gehört zu den profiliertesten und scharfsinnigsten Regisseurinnen Österreichs. Wer sich intensiver mit ihrem Werk auseinandersetzt, weiß, dass es ihr immer auch um Zustandsbeschreibungen ihres Heimatlandes geht — und die legen immer wieder den Finger in die Wunden des Vergessens und Verdrängens. Anhand der unglaublichen Geschichte des früheren UN-Generalsekretärs und späteren österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim demaskiert sie nicht nur dessen Vergangenheit, sondern auch den nach wie vor virulenten Mythos von Österreich als „erstem Opfer der Nationalsozialisten“.

Im Jahre 1986 steht die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten an, insgesamt bewerben sich eine Kandidatin und drei Kandidaten auf das höchste Amt im Staate — und einer von ihnen ist Kurt Waldheim, der von 1968 bis 1970 Außenminister und dann von 1972 bis 1981 Generalsekretär der Vereinten Nationen gewesen war. Mitten im Wahlkampf, den Waldheim mit dem Motto „Der Mann, dem die Welt vertraut“ führte, veröffentlicht der Jüdische Weltkongress gemeinsam mit der New York Times und dem Nachrichtenmagazin Profil  Papiere und Unterlagen, die zweifelsfrei belegen, dass Waldheims Autobiografie erhebliche Lücken aufweist. Entgegen der eigenen Beteuerungen war Waldheim keineswegs frühzeitig im Krieg verwundet worden, sondern hatte vielmehr nach der Verletzung in einer Einheit gedient, die sich schwerer Kriegsverbrechen schuldig machte. Zudem war er bereits früh — nämlich im Jahre 1938 — der SA beigetreten. Auch hierüber hatte er zuvor den Mantel des Schweigens gedeckt. Schon seit 1968 gab es Mutmaßungen über Waldheims Vergangenheit, doch der hatte sich immer wieder aus der Schlinge winden können — auch weil viele es nicht wissen wollten oder die Beteiligung Österreichs an Kriegsverbrechen aktiv zu vertuschen trachteten. 

Doch statt den Vorwürfen nachzugehen, wehrten sich Waldheim und die ihn unterstützende ÖVP mit allen Mitteln, sprachen von einer „Schmutzkübelkampagne“, beschimpften den Jüdischen Weltkongress als ehrlose Gesellen und reaktivierten so antisemitische Reflexe ihrer Landsleute, die teilweise zu heftigen Auseinandersetzungen und einem innenpolitischen Erdbeben führten. Unter den Protestierenden auf dem Wiener Stephansplatz befand sich übrigens auch Ruth Beckermann.

An den Anfang ihres teils aus eigenen Videoaufnahmen der damaligen Zeit, teils aus Archivmaterialien und Fernsehbildern vor allem ausländischer Sender komponierten Filmes hat sie ein Zitat Abraham Lincolns gestellt, das nicht nur auf auf die Affäre Waldheims passt wie die Faust aufs Auge, sondern das geradezu wie ein Menetekel auch über unserer Gegenwart zu stehen scheint:

„Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht.“

Wer als Zuschauer nicht mit der österreichischen Politik vertraut ist, dürfte zwar an manchen Stellen Schwierigkeiten haben, dem Geschehen und den Auftretenden immer zu folgen. Dennoch wirft der Film ein bezeichnendes Schlaglicht auf das Selbstverständnis vieler Österreicher, sich ihrer politischen wie historischen Verantwortung nicht zu stellen. Und das ist gerade angesichts der derzeitigen politischen Lage ebenso mutig wie bitter nötig — in Österreich wie anderswo. 

Waldheim wurde zwar in der Stichwahl tatsächlich in das oberste Amt des Staates gewählt, doch die Wahl trieb Österreich (ähnlich wie man es derzeit im Falle der USA beobachten kann) in die internationale Isolation. Es wäre wünschenswert, wenn dieser mutige und schockierende Film zumindest einige Zuschauer zum Nachdenken bringt, was derzeit eigentlich unmittelbar vor ihren Augen und Ohren geschieht. Die Leugner, die Vertuscher und geistigen Brandstifter sind längst wieder aktiv.

Waldheims Walzer (2018)

Während des Wahlkampfs des früheren UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim, der 1986 für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten kandidierte, wurde dessen Verschweigen seiner NS-Vergangenheit aufgedeckt, was zu Unruhen, antisemitische Ausschreitungen und schließlich zur Wahl Waldheims führte. Ruth Beckermann zeichnet in ihrem Film Waldheims Walzer die Affäre nach und entlarvt damit Lebenslügen, die noch und gerade heute wieder virulent sind.

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