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Die Menschen in den Anden haben ihre eigene Glaubenswelt: Sie verehren die Mutter Erde, sie huldigen den Bergen. Wie aber fängt man filmisch den Glauben dieser Menschen ein? Rodrigo Otero Heraud hat eine eigene Filmsprache für die Dokumentation der Andenkultur in Die Augen des Weges entwickelt.

Die Augen des Weges (2016)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Audiovisuelle Meditation

„Die Augen des Weges“ ist ein Film fürs Kino: Atemberaubende Gebirgsansichten, Blickwinkel auf die Anden in ihrer bunten Vielfalt, viele Panorama-Shots sind die Kennzeichen des Films. Natürlich präsentiert er auch die Anden als Bergwelt, allerdings geht es ihm vor allem um die dort ansässige Kultur, die dort lebenden Menschen und deren Glauben. Der Film von Rodrigo Otero Heraud ist ein audiovisuelles Gedicht über die Kulturen der Anden.

Hauptfigur des Films ist Hipólito Peralta Ccama. Er tritt als Sprecher auf und führt mit seinen Erklärungen, Gedanken und Ansichten durch den Film. Das Publikum nimmt er mit ans Wasser, über die Berge und Felder, zeigt, wie die einfachen Menschen auf dem Land Kartoffeln ernten und mit heißen Steinen ein Festmahl zubereiten. Er treibt Lamas über die Hänge und präsentiert die Feierlichkeiten der Volkskultur. Dabei wird deutlich, dass der Grundschullehrer aus Andahuaylillas in Cusco ein durch und durch spiritueller Mensch ist und seinen eigenen Blick auf die Welt hat.

Er spricht direkt mit der Kamera, rezitiert seine Glaubenssätze und spricht von alten Weisheiten – wohl auch deshalb wirkt der Film wie eine einzige Meditation über das Leben, die Welt, das Sein. Untermalt wird das Gesagte und Gezeigte durch ganz unterschiedliche, aber immer spirituell anmutende Musik: mal sphärisch, mal volkstümlich sind die Klänge, die mal mit Instrumenten, mal nur mit Stimmen erzeugt werden. Und sie passen auf kongeniale Weise zu den Bildern, die Otero Heraud auf die Leinwand wirft: die vielen Bergansichten, aber auch die Bilder, die das Leben der Menschen in den Anden dokumentieren und insgesamt wie eine Mischung aus Stillleben und Ethnofilm wirken. Eine eigenartige Mischung, die eine – eben meditative – Sogwirkung entfaltet.

Hipólito Peralta Ccama macht in seinen Erzählungen aber auch bewusst, dass die lange Tradition der Andenvölker ausstirbt. Natürlich werden noch die Volksfeste gefeiert, Waren zwischen den Bauern getauscht, Kartoffeln mit der Hand geerntet, aber die Kulturen in den Anden scheinen fragil angesichts von Globalisierung und Digitalisierung wie auch der Landflucht, welche die beiden ersteren beschleunigt. Konsum verdrängt Spiritualität, und der Glaube der Andenvölker verschwindet zusehends.

Immer wieder predigt Hipólito, wie wichtig es sei, der pachamama, also der Mutter Erde, zu danken, weil sie es sei, die die Menschen ernähre, sie stille, sie mit Leben erfülle. Und er unternimmt eine Reise zu den verschiedenen Dörfern der peruanischen Sierra, auf der Suche nach den wichtigsten Apus, den heiligen Bergen, die den Menschen mit besonderen Kräften ausstatten können. Er folgt Bachläufen und spricht über das Wasser, steigt Berge empor und sucht zwischendurch den Kontakt zu den Menschen in den Bergen, die ihm von ihrem Alltag erzählen, aber auch davon, wie ihr Glaube allmählich schwindet. Dadurch untersucht er, wie es um die andinen Kulturen bestellt ist, und er erahnt ihre ungewisse Zukunft.

Die Augen des Weges – fast gänzlich auf Quechua gedreht – ist ein audiovisuelles Gedicht über die Andenwelt und ein beeindruckender Blick auf die jahrtausendealten Kulturen, die im tiefen Einklang mit der Natur leben, aber bedroht sind von der Gegenwart. Dabei taucht Hipólito schemenhaft zwischen den Gebirgszügen auf, erscheint wie ein Geist, der einen letzten Blick auf die heiligen Berge werfen möchte, bevor sie aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden.

Die Augen des Weges (2016)

Die Augen des Weges erkundet die Welt der Anden durch die Augen eines Mannes, der  in verschiedenen Regionen der Kordilleren auftaucht und wieder verschwindet, wie ein Geist, der einen letzten Blick auf die heiligen Berge werfen möchte, und sich mit dem Wasser, den Felsen, den Männern unterhält, um eine bessere Vorstellung davon zu haben, unter welcher Krankheit die Menschheit der Gegenwart leidet.

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